Wir zählen jährlich unsere Sorgen: Ökonomische Fragen haben Covid und Klimaschutz von der Spitze der Liste verdrängt

Linz – Ein neuerlicher Lockdown ist knapp drei Jahre nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie für die österreichische Bevölkerung kein Thema mehr. Nur acht Prozent haben dahingehend große Sorgen – 63 Prozent bekunden keinerlei Sorgen in dieser Hinsicht. Die übrigen Befragten haben etwas Sorge. Und nur elf Prozent machen sich große Sorgen, ob Corona-Impfungen auch gegen neue Mutationen des Virus schützen können – jeder Zweite verschwendet daran keinerlei besorgte Gedanken. Damit lieg das Corona-Thema am untersten Ende der Skala – "das ist also auf einem ähnlichen Niveau wie die Überlegung, ob die eigene Beziehung glücklich bleibt, worüber sich erfreulicherweise auch nicht allzu viele Leute Sorgen machen müssen", wie Market-Institutsleiter David Pfarrhofer als Vergleich anbietet.

Das geht aus der Neujahrsumfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor. Dazu wurden in der Woche vor Weihnachten mehr als 800 Wahlberechtigte befragt.

Die Liste der Sorgen wird von der in Österreich traditionell hohen Befürchtung einer sozialen Spaltung zwischen Armen und Reichen angeführt. Dies macht 52 Prozent große Sorgen, das ist der höchste gemessene Wert, seit Market diese Frage für den STANDARD erhebt. "2007 haben wir das schon als überraschend wichtig gesehen – damals hat das jeder Dritte sehr wichtig genannt, 48 Prozent haben ein bisserl Sorgen gehabt, 18 Prozent gar keine. Jetzt hat sich das in Richtung der großen Sorge verschoben, nur elf Prozent machen sich da gar keine Sorgen mehr", vergleicht Pfarrhofer.

Das hängt auch damit zusammen, dass die Menschen generell eher verzagt ins neue Jahr blicken: Nur 27 Prozent tun dies mit Optimismus, 42 Prozent bekunden Pessimismus. Wobei ein kleiner Hoffnungsschimmer zu erkennen ist: Die Optimismuskurve ist seit dem Tiefstwert im Oktober (18 Prozent) kontinuierlich um immerhin neun Prozentpunkte gestiegen, der bekundete Pessimismus gleichzeitig von 52 auf die erwähnten 42 Prozent gesunken. Was nichts daran ändert, dass die Mehrheit pessimistisch eingestellt ist. Besonders die Befragten über 50 sind weiterhin tief besorgt, was die nächsten Monate betrifft.

Zurück zur Verteilungsfrage: Die größten Sorgen um die Kluft zwischen Arm und Reich machen sich Freiheitliche (66 Prozent) und Sozialdemokraten (55 Prozent). Besonders in dieser Hinsicht besorgt zeigen sich Senioren und Menschen mit geringer formaler Bildung.

Weit oben auf der Liste der Sorgen steht auch die Frage, ob wieder mehr Flüchtlinge nach Österreich kommen – nur einem Fünftel der Bevölkerung (besonders Grünen-, Neos- und SPÖ-Wählern) macht das gar keine Sorgen. Die größten Bedenken in dieser Hinsicht haben FPÖ- und ÖVP-Anhänger. 48 Prozent haben da große Sorgen. 41 Prozent sind sehr besorgt, ob die Integration ausländischer Mitbürger gelingt.

In einer anderen Fragestellung erhob Market, welche Erwartungen die österreichischen Wahlberechtigten in der Flüchtlingspolitik 2023 haben. Dabei zeigt sich, dass 78 Prozent bezweifeln, dass es gelingen wird, alle nach Österreich gekommenen Flüchtlinge unterzubringen. Einzig in der Wählerschaft der Grünen gibt es einen hohen Anteil, der dies für realistisch hält. Noch geringer ist die Erwartung, dass es 2023 gelingen könnte, die Flüchtlinge in Europa gerecht zu verteilen: Damit rechnen nur elf Prozent – 87 Prozent halten das für unrealistisch.

Etwa gleichauf mit der Flüchtlingsfrage liegt die Sorge, "ob die Bundesregierung die richtigen Maßnahmen für die Zukunft Österreichs trifft" – 48 Prozent haben da große Sorgen, zehn gar keine. Sogar in der Wählerschaft der Kanzlerpartei ÖVP haben 21 Prozent große Sorgen, ebenso viele gar keine.

Ein ganzes Bündel von Sorgen tut sich auf, wenn man die Wirtschaft betrachtet.

Generell gehen 54 Prozent der Befragten davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage Österreichs im neuen Jahr verschlechtern wird – nur elf Prozent glauben, dass sie sich verbessern wird. Das ist ein etwa gleich trüber Ausblick wie vor einem Jahr (da lauteten die Vergleichszahlen 58 Prozent für Verschlechterung und zwölf Prozent für Verbesserung). Wirtschaftsoptimismus zeigen wiederum am ehesten die ÖVP-Wähler, während die Wählerschaft der Freiheitlichen besonders verzagt ist.

Fragt man mehr im Detail nach, dann zeigt sich:

  • 57 Prozent der Befragten erwarten, dass es 2023 zu einer Weltwirtschaftskrise kommen wird – "die Österreicherinnen und Österreicher sind da wesentlich furchtsamer als die Wirtschaftsexperten", merkt Pfarrhofer dazu an.
  • 43 Prozent haben massive Sorgen, dass durch die Inflation ihre Ersparnisse an Wert verlieren – im Vorjahr haben das bereits 38 Prozent geäußert. 35 Prozent bekunden große Sorge, dass ihr Einkommen heuer angesichts steigender Preise nicht ausreichen wird – diese Furcht lag in der Vergleichsumfrage im Vorjahr noch um neun Prozentpunkte niedriger. 29 Prozent sorgen sich allgemein, dass sie ihren Lebensstandard nicht halten werden können.
  • Gestiegen gegenüber dem Vorjahr ist die Erwartung, dass den Gewerkschaften höhere Lohnabschlüsse gelingen werden. Damit rechnen 43 Prozent, im Vorjahr waren es nur 24 Prozent, vor zwei Jahren gar nur 16 Prozent. Allerdings bleibt immer noch eine 57-Prozent-Mehrheit, die explizit sagt, dass der Gewerkschaft das nicht gelingen wird.
  • 40 Prozent fürchten "massive Steuererhöhungen zum Zurückzahlen der Staatsschulden", 37 Prozent ein Sparpaket aus demselben Grund. 73 Prozent erwarten jedenfalls, dass es heuer neue Ökosteuern, etwa auf Energie, geben wird – obwohl die Regierung gerade im Energiebereich Entlastungsmaßnahmen gesetzt hat.
  • 38 Prozent fürchten Verschlechterungen im Pensionsbereich, 36 Prozent allgemein im Bereich der sozialen Absicherung – bei beiden Items der höchste Wert seit neun Jahren. In einer anderen Fragestellung sagen sogar 64 Prozent, dass das Sozialsystem aus Gesundheitsversorgung und Pensionen 2023 nicht sicher sein würde. Diese Aussage hatte allerdings noch bei jeder Neujahrsumfrage eine Mehrheit – und die Befürchtung ist bisher nicht eingetreten.
  • Sehr gering sind allerdings die Sorgen um die Arbeitsplatzsicherheit: 49 Prozent der Beschäftigen machen sich da gar keine Sorgen, 34 Prozent geringe und nur 17 Prozent große Sorgen.

Zurückgegangen ist in den vergangenen Jahren die Sorge, ob wirkungsvolle Maßnahmen gegen den Klimawandel gesetzt werden: Das machte 2019 40 Prozent große Sorgen (und lag an erster Stelle der Liste), jetzt sind es nur 33 Prozent, was das Thema ins Mittelfeld verbannt.

Leicht abgenommen hat die Sorge vor staatlicher Überwachung, die vor zwei Jahren noch 29 Prozent belastet hat – jetzt sind es 22 Prozent.

Und wo haben die Wahlberechtigten die geringsten Sorgen? Dort, wo es ins Private geht: 64 Prozent haben keinerlei Sorge in ihrer Partnerschaft, 57 Prozent haben keine Sorge, ob sie genügend Freizeit für ihre Hobbys haben werden, und 52 Prozent brauchen sich nicht um die Zeit für ihre Familie zu sorgen. (Conrad Seidl, 1.1.2023)