Die Dieselklagen in Österreich sind der Worst Case. Nach fünf Jahren gibt es für Geschädigte noch immer nichts.

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Wien – Elendslange Verfahren wie im Volkswagen-Dieselskandal sollten bald der Vergangenheit angehören. Zumindest wenn es nach der EU-Kommission und dem Europaparlament geht, die 2020 eine Richtlinie für sogenannte Verbandsklagen beschlossen haben, mit denen der kollektive Rechtsschutz für Konsumentinnen und Konsumenten verbessert wird.

Geschehen ist in der Sache in Österreich bis dato nichts. Die EU-Richtlinie über "Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher" wurde noch nicht in nationales Recht umgesetzt, es gibt noch nicht einmal einen Begutachtungsentwurf, über den diskutiert werden könnte.

Die 16 Sammelklagen im Namen von rund 10.000 betroffenen VW-, Audi-, Škoda- und Seat-Fahrzeughaltern, die der Verein für Konsumenteninformation (VKI) im September 2018 eingebracht hat, gelten inzwischen als ein Lehrbeispiel dafür, wie die Kollektivinteressen von Verbrauchern im österreichischen Rechtssystem nicht ausreichend geschützt sind.

16 Klagen statt einer

Die Klagen mussten in der Folge abhängig vom Ort des Ankaufs beziehungsweise der Fahrzeugübergabe auf 16 Landesgerichte aufgeteilt werden, mit jeweils eigener Beweisaufnahme und der Bestellung von Sachverständigen, die zu teils sehr unterschiedlichen Erkenntnissen gelangten – obwohl die Fälle im Prinzip gleichartig sind: Volkswagen hatte die Abgaswerte seiner Fahrzeuge geschönt, indem bei der Typprüfgenehmigung illegale, verharmlosend als "Thermofenster" bezeichnete Abschalteinrichtungen eingebaut waren. Die vielen Verfahren verursachen unnötig hohe Kosten, und je länger sie dauern, desto weniger Schadenersatz wird Betroffenen bleiben. Sie haben zwar kein Risiko, aber der Aufwand des beigezogenen Prozesskostenfinanzierers steigt.

Musterfeststellungsklage

Anders als in Deutschland, wo sich der Bundesverband der Verbraucherzentralen Ende Februar 2020 mit Volkswagen im Rahmen einer Musterfeststellungsklage verglich, was den rund 260.000 Geschädigten je nach Modell und Alter ihres Autos zwischen 1.350 und 6.257 Euro Entschädigung brachte, bekamen die in den Sammelklagen versammelten österreichischen VW-Kunden bis dato nichts. Im Jahr acht nach dem Dieselskandal schlagen sich die Anwälte des VKI mit Sachverständigen-Gutachten herum, obwohl Gerichte bis hin zum deutschen Bundesgericht in Karlsruhe und dem Europäischen Gerichtshof arglistige Täuschung längst attestiert haben. Auch der Untersuchungsbericht des deutschen Kraftfahrt Bundesamtes KBA, das die Softwareupdates angeordnet hatte, war eindeutig

Die Schlüsselfrage ist nun, mit welchen Instrumenten die türkis-grüne Regierung den kollektiven Rechtsschutz in Österreich verbessern will. Eine Neuerung im Zivilrecht ist dabei fix, denn die EU-Richtlinie sieht nicht nur Unterlassungsklagen (und damit einhergehende Unterlassungsurteile) vor, sondern auch eine Abhilfeklage, wie es sie in Österreich bis dato nicht gibt. Qualifizierte Einrichtungen wie etwa der gemeinnützig organisierte und öffentlich finanzierte Verein für Konsumenteninformation (VKI) sollen "die Möglichkeit erhalten, für Verbraucher eine Klage auf Leistung, also Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung etc., zu erheben", skizziert Anwalt Patrick Mittlböck von Brandl Talos Rechtsanwälte die wichtigste Neuerung.

Rein oder raus?

Offen lässt die EU-Richtlinie 2020/1828, wie die Verbraucher bei einem solchen Verfahren an Bord geholt werden. Es gibt zwei Möglichkeiten: Bei "opt-in" müssen sich Betroffene anmelden, um vom Erfolg einer Verbandsklage zu profitieren und Wiedergutmachung oder Schadenersatz zu bekommen. Die Alternative ist "opt-out", das nach dem US-Vorbild "class action" grundsätzlich alle Geschädigten umfasst und eine aktive Abmeldung vorsieht, wenn jemand explizit nicht partizipieren will. Letzteres scheint in Österreich nicht umsetzbar, denn im Wirtschaftsflügel der ÖVP wird seit geraumer Zeit mehr oder weniger offen betont, die als Krücke bewährte, vom VKI entwickelte "Sammelklage österreichischer Prägung" reiche völlig aus.

Wettbewerbsvorteile

Dieser saloppe Zugang freilich ist inzwischen versperrt, denn in der EU-Richtlinie wird klargestellt, dass Verbrauchern durch Verstöße gegen Unionsrecht Nachteile entstehen. Deshalb seien nicht nur wirksame Mittel notwendig, um unerlaubte Praktiken von Unternehmen und Verbänden zu beenden und für Verbraucher Abhilfe zu schaffen, sondern auch den sohin von Unternehmen rechtswidrig erlangten Wettbewerbsvorteilen einen Riegel vorzuschieben.

Zwischen diesen Polen die Balance zu finden dürfte in der Umsetzung nicht einfach werden. Denn einerseits muss Missbrauch etwa durch mehrfache Erfassung einzelner Geschädigter ausgeschlossen oder zumindest weitgehend hintangehalten werden, andererseits ist sicherzustellen, dass die vor Gericht erstrittene Abhilfe tatsächlich bei den Betroffenen ankommt, und zwar ohne erheblichen Aufwand oder bürokratische Hürden. Und: Ohne tragfähige Verfahren würden Unternehmen von unerlaubten Praktiken nicht abgeschreckt, mahnen Verbraucherschutzverbände.

Nur noch sechs Monate

Wie die Regierung diesen Spagat schaffen wird und vor allem bis wann, bleibt abzuwarten. Die Zeit drängt, denn das Gesetz soll nach dem Willen der EU am 25. Juni 2023 in Kraft treten. Die Frist zur Umsetzung hat Österreich – übrigens im Konzert mit zahlreichen anderen EU-Staaten – längst gerissen. Die Verbandsklagen-Richtlinie sollte eigentlich bis zum 25. Dezember 2022 umgesetzt sein.

Spannend wird auch, welche Organisationen künftig Sammelklagen führen dürfen: nur der VKI oder auch andere wie der Verbraucherschutzverein VSV oder Cobin Claims, die bereits Interesse angemeldet haben. Im Justizministerium gibt man sich verschlossen: Der Entwurf sei bereits erarbeitet und werde derzeit "politisch abgestimmt", heißt es in einer knappen Stellungnahme. (Luise Ungerboeck, 2.1.2023)