Nur die Gänse sind heute ein wenig unleidlich. Dabei wird die Sonnenweide, kurz vor dem Jahreswechsel, ihrem Namen mehr als gerecht. Während über Eisenstadt eine dichte Nebelwolke hängt, ist keine 40 Kilometer südlich, in Weppersdorf, der schönste Tag, allerdings war es in der Nacht kalt. So ist nun zwar der Boden aufgetaut, aber der kleine See in der Weide, den die Gänse als ihr Spa ansehen, zugefroren. Weil nicht einfach sein kann, was ist, muss es für den unbrauchbaren Teich einen Schuldigen geben. Als Erstes wird eines der alten Schafe verhört und beschimpft, mit denen sich die Gänse unter anderem die Weide teilen.

Die Gänse suchen nach dem Schuldigen für den zugefrorenen Teich.
Foto: Guido Gluschitsch

Vorne, beim kleinen Bauernhaus, in dem Elisabeth und Andreas Nussbaumer wohnen, herrscht allerdings schönste Idylle. Elisabeth hat gerade einen Kübel Maiskörner im Hof verteilt. Rocky, der gerade noch mit den Vorderbeinen in einer Gemüsekiste mit etwas Heu stand, macht sich langsam auf den Weg. Die Hühner machen ihm Platz, wenn er kommt, als ob sie wüssten, dass Rocky blind ist. Für gewöhnlich geht er zwei, drei Runden im Kreis, um sich zu orientieren. Wenn mehr los ist, wie jetzt, wo Elisabeth und Andreas mit den beiden Hunden im Hof vor dem Haus sind, geht das anscheinend noch leichter. Und dann ist da noch Aida, die Pute, die mir anscheinend irgendetwas erzählen will. Sie redet bei jeder Gelegenheit auf mich ein, zupft am Zip der Jacke, stellt sich vor die Kamera, wenn ich die Schweine inmitten der Hühner fotografieren will, und redet, redet, redet.

Elisabeth und Andreas Nussbaumer mit Aida, Rocky und den beiden Hunden Emil und Milan.
Foto: Guido Gluschitsch

Freud und Leid

"Wir haben eine Zeitlang befürchtet, dass wir sie nicht durchbringen", gesteht Andreas. Nach einem Unfall musste Aida ein Flügel amputiert werden, und das hinterließ eine große Wunde. Aber so wie Aida heute unterwegs ist, tratscht und neugierig ist, merkt man ihr nicht an, dass es ihr schon einmal schlechter gegangen ist. "Das ist auch das, was uns wichtig ist", sagt Elisabeth, "wir wollen zeigen, wie gut es den Tieren jetzt geht, nicht was sie erlebt haben, bevor sie zu uns kamen. Die Tiere leben im Hier und Jetzt, und das ist gut so."

Aida ist nicht gleich grantig, wenn sie die Kamera nicht anschaut. Dann geht sie eben dorthin, wo die Kamera hinschaut.
Foto: Guido Gluschitsch

Elisabeth und Andreas kennen zwar die Geschichten der Tiere, die am Hof Sonnenweide ein neues Zuhause gefunden haben, erzählen sie aber nicht oder nur ungern. Und was noch auffällt, sie hegen keinen Groll oder gar Hass gegen die Vorbesitzer, denen sie die Tiere zum Teil teuer abkaufen mussten oder die ihnen mit den Worten "Wennsas net nehmts, daschieß i s’" gebracht wurden. "Hinter all diesen Geschichten stehen Schicksale, die wir nicht zur Gänze kennen", sagt Elisabeth, "wir versuchen da nicht zu urteilen."

Die Nandu-Dame Thelma schätzt viel Aufmerksamkeit in etwa so sehr wie Aida.
Foto: Guido Gluschitsch

Vor elf Jahren haben Elisabeth und Andreas den 3,5 Hektar großen Bauernhof gekauft, weil sich Elisabeth zum 35. Geburtstag einen Haflinger geschenkt hatte, und den wollte sie nicht länger in einem Einstellbetrieb, sondern bei sich zu Hause stehen haben. Außerdem war es Zeit, kürzerzutreten. Elisabeth hatte davor eine Personalberatungsfirma und das erste Tiersitterunternehmen in Wien, Andreas tingelte als Kommunikationstrainer den gesamten deutschsprachigen Raum ab. Beide haben gut verdient, aber Elisabeth wollte etwas Neues probieren – und Andreas spielte das durchaus in die Hand.

Mit dem großen Haflinger begann alles auf Hof Sonnenweide. Das Zepter auf der Weide neben dem Haus führt inzwischen aber schon lange das kleine schwarze Pony.
Foto: Guido Gluschitsch

Es war eher Zufall, dass der Hof zu dem wurde, was er heute ist. Und nein, es sei kein Gnadenhof, erklärt Elisabeth, während sie neben Rocky hockerlt, kleine Stücke von einem Apfel schneidet und sie ihm gibt. Es ist ein Lebenshof. Nach und nach brachten Menschen Tiere vorbei, weil sie diese nicht mehr brauchen konnten, nicht mehr wollten und die Nussbaumers eh so viel Platz hätten.

Rocky beim Apfelnaschen.
Foto: Guido Gluschitsch

Heute leben rund 150 Tiere auf dem Hof. Und abgesehen von ein paar Hühnern und den Tauben haben alle einen Namen. Wie aufs Stichwort fliegt eine Schar Tauben aus dem Verschlag, dreht drei Runden um das kleine Haus in der Mitte des Hofes und kehrt dann wieder zurück. "Sie fliegen eigentlich nur, weil sie fliegen wollen", erzählt Andreas. Sie wollen also nirgendwo hin, sondern kreisen nur um den Hof, bevor sie wieder zurückkommen. "Und sie lieben es, wenn der Wind geht und sie mit ihm spielen können."

Sie ist nur rausgekommen, weil Besuch da ist. Die anderen Schweine suchen im Wald hinterm Haus Eicheln oder graben den Gemüsegarten um.
Foto: Guido Gluschitsch

Der einst finanzielle Wohlstand hat sich in einen nachhaltigeren gewandelt. Sorgen ums Geld machen sich die beiden aber anscheinend kaum. Die Tiere erhalten sich inzwischen selbst, würde ein Zahlenfetischist sagen. Freunde des Hofes können Patenschaften für die Tiere übernehmen. Die beginnen mit 80 Euro pro Jahr für kleine Tiere wie Hühner, Tauben, Gänse, Truthühner und Enten. Für mittelgroße Tiere wie Schafe, Ziegen, Schweine, Nandus kostet die Patenschaft 120 Euro, für ein Pferd, Pony, Esel oder Rind 180 Euro im Jahr. Und auch für die beiden skurrilsten Tiere auf dem Hof, Elisabeth und Andreas, kann man eine Patenschaft abschließen – das macht aber kaum wer. Zudem gibt es die Möglichkeit, einen Futtermittelbeitrag zu leisten.

Die Gänse haben von den Schafen gelassen und suchen schon nach einem neuen Schuldigen.
Foto: Guido Gluschitsch

Man kann sich auch als Laie ausrechnen, dass es für jedes Tier mehrere Paten braucht, damit sich das übers Jahr gesehen ausgeht. Im Gegenzug dürfen Paten an den Besuchstagen vorbeikommen und die Tiere besuchen. Es gibt eine Jause und ein Lagerfeuer.

Rocky ist der größte Schmuser auf dem Hof Sonnenweide. Aida liebt die Kamera, falls Sie das noch nicht bemerkt haben.
Foto: Guido Gluschitsch

Urlaub daheim

Wenn Besuch kommt, dann sind das die wenigen Tage im Jahr, an denen Elisabeth und Andreas sagen, dass sie Urlaub haben, weil sie da eben keine großen Arbeiten erledigen können. Sie genießen die Besuchstage, die auch immer glatt ablaufen. Die Menschen, die hierherkämen, würden verstehen, wie man sich verhält, damit es den Tieren gutgeht – und auch der Bitte, die Tiere nicht zu füttern, wird Folge geleistet. "Wir wollen keine Tiere, die bei jedem Menschen um Futter betteln, und dass der Hof zu einem Streichelzoo verkommt", sagen die beiden, denn das wäre ja wieder keine gute Form der Tierhaltung. Während sich die Tiere durch Spenden und Freunde sozusagen selbst erhalten – die Finanzen seien für Mitglieder einsehbar – müssen Elisabeth und Andreas noch für ihr eigenes Auskommen sorgen. Das machen sie mit Gemüseanbau für den Eigengebrauch und den Verkauf.

Die Rinder haben ihre eigene Weide.
Foto: Guido Gluschitsch

Jetzt im Winter liegen die Felder brach. Dafür dürfen die Schweine dort wühlen und genießen das sichtbar. Nächstes Jahr soll hier aber schon Wintergemüse wachsen. Das wird die Schweine weniger freuen, aber Hauptsache, die Gänse kommen nicht her und verhören sie.

Anklage die Zweite.
Foto: Guido Gluschitsch

Die haben gerade einen Esel in Verdacht, für das Teichunglück verantwortlich zu sein. Igor ist das ziemlich egal. Er genießt die Fellmassage der Nandu-Dame Thelma, die in unaufhörlich pickt. (Guido Gluschitsch, 3.1.2023)

Thelma pickt Igor und reißt ihm dabei das Fell aus. Es schaut schmerzhaft aus, aber beide scheinen das sehr zu genießen.
Foto: Guido Gluschitsch