Kauernde Venus trifft Emanzipation aus dem Häuslichen: Rosemarie Trockel verband 1994 in der Schwarz-Weiß-Fotografie "Sabine" Klischees der 1950er-Jahre und antike Frauendarstellungen.

Foto: MMK

Gleich am Anfang ein Selbstporträt. Blaue Strickmuster, per Siebdruck auf die Wand gebracht, dominieren den Eingangssaal des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt am Main. Die Dehnung könnte Risse verursachen, die gleichmäßige Struktur ins Wanken bringen. Prisoner of Yourself heißt die Arbeit aus dem Jahr 1998, in der sich die "Strickkünstlerin" Rosemarie Trockel als Gefangene ihres Erfolgs darstellt, bedroht von der Gefahr, im Selbstzitat zu erstarren.

Damit es nicht so weit kommt, nimmt sie sich in dem Film Continental Divide nebenan selbst gefangen. Die Doppelgängerin wird von ihr angeschrien und misshandelt, weil sie die richtige Antwort auf die Frage "Who is the best artist?" verweigert. Und die lautet nicht Andreas Gursky, Luc Tuymans oder Nan Goldin, sondern Rosemarie Trockel.

Man mag über so viel Selbstironie schmunzeln, die gleich zu Beginn der großen Retrospektive in Frankfurt an den Tag gelegt wird, aber hinter dem Verhör verbirgt sich die Sorge einer weltbekannten Künstlerin um den eigenen Status im Kunstbetrieb, ein lange von Männern dominiertes Ranking, das wie ein mörderischer Schatten über dem Werk der 1952 geborenen Deutschen hängen bleibt.

Olymp der Konzeptkunst

Aber wie viel Selbstbeobachtung steckt wenige Schritte weiter in dem weißen Hemd auf einem Podest? Fast hätte man es vor der weißen Ausstellungswand übersehen, wenn da nicht das Etikett wäre. Die Inschrift "Justine Juliette – Collection Desir" lässt sogleich die innere Assoziationsmaschine rattern.

Konzeptkunst wäre aber nicht Konzeptkunst, wenn sich hinter dem Objekt nicht eine raffinierte Verortung verbergen würde. Justine und Juliette verweisen auf zwei Romane des Marquis de Sade, des Lieblings all jener intellektuellen Umstürzler, die der bestehenden Ordnung den Kampf angesagt haben, von den Surrealisten über Sartre bis zu Foucault. Der Verfasser gewaltpornografischer Romane wurde 1801 zu lebenslanger Haft verurteilt, nachdem er noch 1789 in den Wirren der Revolution aus dem Gefängnis befreit worden war. Die sich unter Napoleon neu konsolidierende Gesellschaft lehnte Ausschweifungen jeder Art ab, besonders, wenn sie aktiv von Frauen mitgetragen wurden, wie etwa in dem Lebensbericht von Juliette. Die Kleinfamilie war jetzt das alte neue Ideal.

Das Werk von 1988 gehört zu den frühen Arbeiten der stilistisch erfreulich ausufernden, von Direktorin Susanne Pfeffer treffsicher kuratierten Frankfurter Retrospektive. Wie auch Made in Western Germany von 1985 ist es eine der vielen über die drei Stockwerke verteilten Strickarbeiten, mit denen Trockel, die vergangenen November 70 Jahre alt wurde, in den Olymp einer Markenkünstlerin aufstieg.

Kampfansage an Rollenzuweisungen

Und das, obwohl sie trotzig den Handschriften belohnenden Kunstmarkt unterlaufen wollte, indem sie das Stricken, eine wenig geschätzte "Frauenarbeit", auf den Spuren von Duchamp zur Kunst erklärte. Flankiert von ihren Herdplattenreliefs, auf den ersten Blick minimalistische Plastiken, zugleich aber auch Symbol der Verbannung der Frau in die häusliche Sphäre. Wenn einige von ihnen, angeschlossen an eine Steckdose, zu glühen beginnen, ist das als eine Kampfansage an jede Rollenzuweisung zu verstehen, so wie die Fotoarbeit Misleading Interpretation, auf der die derangierte Trockel mit einer blutigen Nase zu sehen ist.

Rosemarie Trockel "Misleading", Interpretation, 2014.
Foto: Der Standard

Dass sie gerade ein Opfer von Gewalt geworden ist, bezweifelt man angesichts der herausfordernden Körperhaltung, die man auch mit einer Täterin verbindet. Und die wohl auch all den in der Genderdebatte zunehmend autoritär auftretenden Verächtern von Ambivalenzen gelten könnte. Dazu passt, dass die längst über ihre Anfänge hinausgewachsene Trockel öffentliche Auftritte meidet, dafür aber humorvolle Bildtitel wie Leichtes Unbehagen 1 & 2 umso mehr sprechen lässt. Wenn sie auf Replace Me Courbets Skandalbild Ursprung der Welt von 1866 zitiert, dann tut sie das genüsslich mit einer die Vulva zudeckenden Vogelspinne, als ob sie männliche Ängste vor der "giftigen" Frau geradezu stimulieren möchte.

Hellwacher Eigensinn

In allen Medien behält Trockel stets die gesellschaftlichen Problemzonen im Blick: ob Keramiken, die an rohes Fleisch erinnern, "typisch weibliche" überdimensionale Haarnadeln, Blaise Pascals Wette als Wandarbeit oder Bildwände, auf denen der Politiker Franz Josef Strauß auf den Provokateur Michel Houellebecq trifft – die Schau glänzt mit dem Willen zum Eigensinn, der den längst vollzogenen Einstieg in den Kanon vergessen lässt, zumal die neuesten Werke keine Spur von Altersmüdigkeit verraten.

Allen voran das großartige Polyptychon Anonymous aus dem Jahr 2022, das auf Andy Warhols Most Wanted Men mit Digitalprints von trauernden Witwen à la Jackie Kennedy antwortet, inklusive des Witwenmachers Wladimir Putin in der Ecke. Auch er ein Gefangener seiner selbst? Eher der menschlichen Hybris, schaurig eingebunden in eine Parodie westlichen Klassifizierungswahns. (Alexandra Wach aus Frankfurt am Main, 3.1.2023)