Jordaniens Kronprinz Al Hussein (links) beim Manöver in den VAE.

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Auf den Besuch des neuen israelischen Sicherheitsministers Itamar Ben-Gvir auf dem Tempelberg – al-Haram al-Sharif für die Muslime – in Jerusalem reagieren auch jene arabischen Staaten scharf, die gute Beziehungen zu Israel pflegen. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), derzeit Mitglied im Uno-Sicherheitsrat, haben mit der Rückendeckung Chinas eine Sondersitzung verlangt, sie sollte bereits am Donnerstag stattfinden. Die VAE waren im August 2020 das erste von vier arabischen Ländern, die sich mit den "Abraham-Abkommen" zur Normalisierung mit Israel bekannt haben.

Abu Dhabi sprach in einem Statement davon, dass Ben-Gvir – dessen 13 Minuten dauernder Besuch Dienstagfrüh so überraschend kam, dass es keine nennenswerten Ad-hoc-Reaktionen von Palästinensern gab – den Tempelberg "unter dem Schutz von israelischen Sicherheitskräften" "gestürmt" habe. Israelische Medien meldeten, dass ein Besuch von Premier Benjamin Netanjahu in Abu Dhabi aus "technischen Gründen" verschoben wurde.

Die Friedensverträge Israels mit den VAE, aber auch mit Bahrain und Marokko – mit Nummer vier, Sudan, ist die Sache komplizierter – waren ein großer außenpolitischer Erfolg Netanjahus. Nach dessen Scheitern 2021 kam er den Premiers Naftali Bennett und Yair Lapid zugute. Das große Ziel für Netanjahu bleibt die Normalisierung mit Saudi-Arabien. Das reagierte auf den Besuch Ben-Gvirs empört, wie auch die Arabische Liga, Ägypten, die Türkei, die erst seit kurzem wieder eine Botschafterin in Israel hat, und etliche andere muslimische Staaten.

Als die VAE 2020 ihre guten Beziehungen zu Israel offiziell machten, war eines der Argumente Abu Dhabis, dass es damit die im damaligen Regierungsprogramm Netanjahus ventilierten Annexionspläne im Westjordanland gestoppt hätte. Alles, was die neue israelische Regierung in dieser Beziehung in Zukunft unternähme, würde einen Gesichtsverlust bedeuten und die Beziehung belasten. Das gilt auch für Marokko. Dessen König trägt den Titel "Emir der Gläubigen", er steht dem Jerusalem-Ausschuss der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) vor. Alles, was dort passiert, ist höchst sensibel.

Video zum Besuch Itamar Ben-Gvirs am Tempelberg.
DER STANDARD

Keine Veränderung des Status quo

Das gilt auch für Jordanien, unter dessen Kontrolle Ostjerusalem bis 1967 war und das eine administrative Rolle für die heiligen islamischen Stätten in Israel innehat. Der israelische Botschafter wurde in Amman einbestellt. Er versicherte den Jordaniern, dass der Besuch Ben-Gvirs keine Veränderung des Status quo des Tempelbergs bedeute und die Regierung auch keine vorhabe. Das gehört auch zu den Forderungen Washingtons an Netanjahu.

Über die Details der Funktion des haschemitischen Königreichs in Jerusalem sind sich Israel und Jordanien nicht einig, es kommt immer wieder zu Krisen. 2021 sagte der jordanische Kronprinz Al Hussein einen Besuch auf dem Tempelberg ab, weil es Streit um die Sicherheitsvorkehrungen gab. Aber auch nach schweren Krisen versuchte man immer wieder, sich zu arrangieren.

Für König Abdullah II. von Jordanien ist alleine die Rückkehr Netanjahus ins Premiersamt eine Herausforderung. Die Beziehungen sind auch auf persönlicher Ebene schlecht. Der König sprach schon vor Amtsantritt der Regierung von "roten Linien" und gab sich martialisch: Er scheue den Konflikt nicht.

Abdullah steht unter großem internem Druck. Jordanien leidet unter einer massiven Wirtschafts- und Energiekrise, die immer wieder zu sozialen Protesten führt: Erst im Dezember kam es dabei zu schwerer Gewalt, mehrere Sicherheitskräfte wurden getötet. 2021 zeigte die Festsetzung von Ex-Kronprinz Hamza, Sohn des 1999 verstorbenen Königs Hussein und Halbbruder Abdullahs, dass es auch familieninterne Konflikte gibt. Vor allem bei den früheren tribalen Hussein-Loyalisten sind der König und die Königin – eine Palästinenserin – unbeliebt.

Jordaniens Ängste

Früher wurde Jordanien als Teil der Sicherheit Israels angesehen und galt als unter besonderem US-Schutz stehend. Jordanien hat von diesem Gewicht viel eingebüßt. Auch Teile der Likud-Partei betrachten den östlichen Teil des früheren Palästina-Mandats als "eigentlichen" palästinensischen Staat – und das Königshaus sieht die Chancen auf einen Palästinenserstaat im Westjordanland schwinden.

Kronprinz Al Hussein nahm soeben an einem gemeinsamen Militärmanöver mit den Vereinigten Arabischen Emiraten teil: Die jordanische militärische Expertise war früher für die Golfstaaten unverzichtbar, die jedoch längst ihre eigenen Kapazitäten entwickelt haben. Sie haben auch ihre eigenen Beziehungen zu Israel aufgebaut: Die Vermittlerrolle Jordaniens – das seit 1994 einen Friedensvertrag mit Israel hat – wird nicht mehr gebraucht. Vom Abschluss der Abraham-Abkommen wurde Abdullah nicht einmal mehr vorab informiert. Ein destabilisiertes Jordanien, das vielleicht das Westjordanland mit sich reißt, kann sich jedoch niemand wünschen. (Gudrun Harrer, 4.1.2023)