Zur Zeit des Kaisertums Österreich wurde Temeschwar zu einer Festungs- und Garnisonsstadt ausgebaut, der zentrale Platz erhielt den Namen Paradeplatz, heute ist es der Freiheitsplatz.

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Veszprém in Ungarn galt in der Renaissance als wichtige Handelsstadt.

Foto: IMAGO/Martin Fejer

Von der antiken Ausgrabungsstätte bis hin zur Bilderbuchbucht hat Eleusis einiges zu bieten.

Foto: APA/AFP/ARIS MESSINIS

Auf der Fassade des Kunstmuseums in Temeschwar tanzen Figuren. Die Umrisse der Silvesterpartygäste werden von Projektoren auf das Gemäuer geworfen. Ein Vorgeschmack auf 2023? Eigentlich hätte das Zentrum des rumänischen Teils des Banats bereits 2021 Kulturhauptstadt sein sollen, doch dann "intervenierte Gott mit einem Virus aus Wuhan und gab uns zwei Jahre mehr", wie der Vizebürgermeister Ruben Lațcău scherzend meint. Tatsächlich wäre damals noch wenig vorbereitet gewesen. Temeschwar bekam 2016 den Zuschlag, danach sei drei Jahre in der Stadtregierung gestritten worden, so Lațcău. Vor allem Projekte von Personen mit guten Kontakten zum Rathaus seien angenommen worden.

Doch im September 2020 gewann dann die reformorientierte liberal-progressive USR-Plus die Wahlen. Temeschwar, das 1989 die Revolution vorantrieb, was zum Ende des stalinistisch-kommunistischen Regimes unter Ceaușescu führte, ist seitdem wieder Vorreiter der Demokratisierung und Öffnung Rumäniens. Der neue Bürgermeister Dominik Fritz und sein Team krempelten die Stadt – und die Organisation des Kulturhauptstadtjahres – um.

Liebe zur Oper, Nähe zu Wien

Ein Projektzentrum wurde gegründet und Experten angeworben, es ging vor allem darum, international renommierte Künstler mit einzubeziehen – was vorher nicht geschehen war. Die Kulturszene war bis zu diesem Zeitpunkt heillos zerstritten gewesen. Viele dachten, dass man ohnedies nichts zuwege bringen würde. Doch nun sind viele Projekte am Laufen – vier Kinos werden gerade renoviert. Eines war davor von einer christlichen Gemeinde genutzt worden – diese hat das Gebäude nun für künftige Filmvorführungen verlassen. Im Kino Studio wird gerade ein Laboratorium für Filmschaffende eingerichtet, die dort mithilfe neuer technischer Ausrüstung an ihren Projekten werden arbeiten können.

Gerade ist eine Ausstellung des Cartoonisten, Zeichners, Schriftstellers und Performance-Autors Dan Perjovschi im Kunstraum Indecis Off Space zu sehen. Seine humorvollen und emphatischen Zeichnungen sind auch ein Abbild davon, für welche Anliegen sich die lebendige Zivilgesellschaft in Rumänien einsetzt: sexuelle Minderheiten, Umweltschutz, Arbeitsrecht und die Erhaltung der Wälder.

Eines der Kunstzentren, das Multiplexity in einer ehemaligen Straßenbahnremise aus den 1910er-Jahren, wird bis 2025 ausgebaut. Das Zentrum wird auch mit der Universität zusammenarbeiten, wenn es um Projekte der "virtuellen Realität" geht. Ein weiterer Kunstort ist der ehemalige Wasserturm außerhalb des Zentrums im Stadtteil Iosefinum.

Jazzfestival im Sommer

Noch können sich Kulturveranstalter für das Kulturhauptstadtjahr bewerben, das offiziell im Februar eröffnet wird. Zu den Highlights werden aber zweifellos die Ausstellungen im Kunstmuseum gehören, die mit einer Werkschau des Malers Victor Brauner beginnen und in deren Zentrum die Vorstellung von – auch noch niemals gezeigten – Arbeiten des Vaters der Moderne, des Bildhauers Constantin Brâncuși, steht.

Auch das Jazzfestival im Sommer gilt sicherlich als ein Höhepunkt. Für Massenveranstaltungen fehlt es derzeit aber noch an räumlichen Möglichkeiten in Temeschwar – das Fußballstadion wird gerade abgerissen. Ein Besuch in der Stadt, die auch Klein-Wien genannt wird, kann auch gut mit einem Opernbesuch verbunden werden.

Der Direktor der Temeschwarer Oper, Cristian Rudic, ein überaus unterhaltsamer ehemaliger Sänger, spricht ein Schönbrunn-Deutsch, wie man es in Österreich kaum mehr hören kann. Er führt auf den Balkon des Opernhauses, von wo aus die Führer des Protests die Bevölkerung im Winter 1989 überzeugten, dass die Revolution zu gewinnen sei. "Das ist für uns ein heiliger Platz", meint Rudic, "der Ort der Freiheit der idealistischen und verrückten Temeschwarer."

"Wunder der Akustik"

Die Oper wurde 1871 nach den Plänen der Wiener Architekten Hermann Helmer und Ferdinand Fellner erbaut, nach einem Brand kam 1920 ein neuer Fassadenteil im neobyzantinischen Stil hinzu. Rudic, der auch den Tonfall des ehemaligen Wiener Staatsoperndirektors, Ioan Holender – übrigens auch ein Temeschwarer – brillant imitieren kann, verweist auf das "Wunder der Akustik" seines Musiktheaters.

In Temeschwar überwiegt der Klassizismus, aber in den 1910er-Jahren wurden viele Fassaden vom rumänischen Jugendstil geprägt, der in seiner blumigen Verspieltheit mit den Keramikkacheln stark an den spanischen und französischen Sezessionismus erinnert. Die Stadt ist aber auch wegen ihrer Multikulturalität faszinierend. Im Banat leben 23 Minderheiten. Ein Priester in Temeschwar muss mindestens drei Sprachen beherrschen. "Hier gab es immer schon ein kleines Europa vor dem vereinten Europa", hört man bei einer Führung durch die Stadt.

Das ungarische Veszprém: Die fünf Hügel am Balaton

Veszprém in Ungarn galt in der Renaissance als wichtige Handelsstadt.
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Nicht wie die Ewige Stadt Rom auf sieben Hügeln wurde es erbaut, aber zumindest auf fünf. Und von der Geschichte her ist das Städtchen Veszprém in Westungarn mit seiner bis ins fünfte Jahrtausend vor Christus zurückreichenden Besiedelung dennoch kein Niemand. Es war ein bedeutender Bischofssitz, im Dom St. Michael, der ältesten bischöflichen Kathedrale Ungarns, wird der Thronstuhl ungarischer Königinnen wie der seligen Gisela aus Passau aufbewahrt.

In der Renaissance blühte Veszprém als zeitweilige Handelsstadt auf, der Stadtkern aus dem 18. und 19. Jahrhundert wurde in der Zeit der Doppelmonarchie zum üppigen Barockensemble ausgebaut. Im Zweiten Weltkrieg schwer in Mitleidenschaft gezogen, rekonstruierte man die Stadt im Wiederaufbau mit viel Detailgenauigkeit. Die auf einem Hügel thronende mittelalterliche Burg wird aktuell für das Kulturhauptstadtjahr modernisiert und zweckmäßig instandgesetzt.

60.000 Einwohner hat Veszprém heute. Und obwohl man nur gut 20 Autominuten vom Plattensee (Balaton), dem für den Sommertourismus bedeutendsten Steppensee Europas, entfernt liegt, hat die Stadt so ihre Problemchen: Abwanderung und touristische Flaute in der kalten Jahreszeit setzen dem Ballungsraum zu.

Ein Ganzjahreskulturprogramm soll im besten Fall Jobs schaffen und auch in der "toten" Zeit Touristen anlocken. Man setzt stark auf Musikfestivals aller Sparten und will diese stärker überregional positionieren. Stolz ist man in Veszprém auch auf seine Weine. Dass man diesen Lockruf gerade in Richtung des Nachbarlandes Österreich aussendet, muss wohl gar nicht erst dazugesagt werden.

Das griechische Eleusis: Mysterienkult sucht seine Erben

Von der antiken Ausgrabungsstätte bis hin zur Bilderbuchbucht hat Eleusis einiges zu bieten.
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Wer in der Antike ausgelassen über die Stränge schlagen wollte, tat dies nicht in der Hauptstadt, sondern etwas außerhalb. Die Elite Roms vergnügte sich in Baiae, die Athener gaben sich zum jährlichen Frühlingsfest in der Vorstadt Eleusis die Ehre. "Geheimnisse des Übergangs" ("Mysteries of Transition") ist das Motto der griechischen Kulturhauptstadt, die 20 Kilometer östlich von Athen liegt. Bekannt für ihren Mysterienkult, stand die Stadt ansonsten stets im Schatten der Metropole.

Im 19. Jahrhundert erlebte Eleusis noch einmal einen Aufschwung, als Kornkammer und wichtiger Industriehafen Griechenlands, dann aber folgte der Abstieg. Nach und nach wanderten alle wichtigen Wirtschaftszweige nach Piräus und Athen ab. Eleusis wurde zum Friedhof für Schiffswracks, was Fans des "Dark Tourism" zwar ansprechen dürfte, zufriedengeben will sich Eleusis aber nicht damit. 30.000 Einwohner zählt das Städtchen heute nur noch, die Aussicht auf gute Jobs ist trist, jene auf das Meer hingegen wie aus dem Bilderbuch: ein wunderschöner Panoramablick über die Bucht eröffnet sich etwa von der antiken Ausgrabungsstätte aus, wo die Mysterien der alten Griechen anschaulich erforscht wurden.

Einheimische Touristen

Den Resten der glanzvollen Vergangenheit will man nun zeitgenössische Akzente hinzufügen. Ähnlich wie in der Co-Kulturhauptstadt Veszprém sollen auch in Eleusis mit einem ganzjährigen Kulturprogramm nicht nur internationalen Touristen, sondern auch jene aus dem Inland gelockt werden. Seit einigen Jahren schon verfolgt das Kulturhauptstadtprogramm schließlich die Strategie, provinziellere Städte zuvorderst bei Einheimischen attraktiv zu machen. (Adelheid Wölfl aus Temeschwar, Stefan Weiss, 5.1.2023)