In der NS-Zeit wurden auch jenische Frauen zwangssterilisiert, zu Kindswegnahmen kam es auch noch nach 1945.
Foto: Isabel Peterhans

Jenisch wird nuvos mehr tibert – Jenisch wird nicht mehr gesprochen. Dieser bittere Entschluss fällt am 31. August 1939 auf einer Waldlichtung im Süden Österreichs. Bei der nächtlichen Zusammenkunft geht es um nichts weniger als um die eigene Unsichtbarkeit.

Die Geschichte der Jenischen ist über Jahrhunderte hinweg von Gewalt und Ausgrenzung geprägt, in der NS-Zeit erreicht ihre Verfolgung einen Höhepunkt. Von den Nazis werden die Jenischen, die als Hausierer und Marktfahrer durchs Land ziehen, zwar nicht als "fremdrassig" eingestuft, sie gelten aber als "Asoziale, Arbeitsscheue, Staatsfeinde" und "Schädlinge im Volkskörper".

Das Leugnen der eigenen Identität wird zur Überlebensstrategie, doch auch sie vermag unzählige Angehörige der jenischen Minderheit nicht vor Deportation, Ermordung, "Umerziehung", systematischen Kindswegnahmen und Zwangssterilisierungen zu schützen.

Tabuisierte Themen

Das erfährt auch Anna Nobbel, Protagonistin aus Simone Schönetts Roman Re:mondo (2010), der man nun in der Graphic Novel Novus Baloch, novus Cholom, Schein-Schallerei. Kein Himmel, kein Traum, Tagesmusik wiederbegegnet. Auch die Waldszene markierte bereits im Roman einen tragischen Wendepunkt in der Geschichte der Jenischen.

Waldszene: Tragischer Wendepunkt in der Geschichte der Jenischen.
Foto: Isabel Peterhans

Die von Isabel Peterhans hinreißend gestaltete Graphic Novel ist jedoch keine Romanillustration, sondern behauptet sich als eigenständige Erzählung, die den Bogen bis in die Gegenwart und zu den Bemühungen um Anerkennung als Volksgruppe auf österreichischer sowie auf europäischer Ebene spannt.

Schönett, selbst aus einer jenischen Familie in Kärnten stammend, hat die Geschichte und die Kultur der Jenischen immer wieder literarisch in den Fokus genommen. Die Zusammenarbeit mit Peterhans, die bereits Texte der jenischen Schweizer Autorin Mariella Mehr illustriert hat, erweist sich als Glücksfall: In reduzierten Farbtönen und teils beklemmender Nahsicht verarbeitet sie bis heute tabuisierte Themen wie Zwangssterilisierung und den langen Arm staatlicher "Fürsorge": Bis in die 1970er wurden jenische Kinder Familien entrissen und in Heime gesteckt, wo sie oft Missbrauch und Gewalt erfuhren.

Von den Nazis werden die Jenischen zwar nicht als "fremdrassig" eingestuft, sie galten aber als "Asoziale, Arbeitsscheue, Staatsfeinde" und "Schädlinge im Volkskörper".
Foto: Isabel Peterhans

Digitale Vertiefung

Leider gibt es die Graphic Novel bislang nicht in gedruckter Form, dafür eröffnet der digitale Raum Möglichkeiten der Vertiefung: Online eingebettet ist die Erzählung nämlich in das 2021 von der Initiative Minderheiten Tirol gegründete Jenische Archiv, das auch Dossiers über das Schicksal jenischer Deserteure oder Kontinuitäten nach 1945 umfasst.

Die Instanzen der Macht haben stereotype Zuschreibungen weitergepflegt: "Äußerst wenige Jenische konnten daher wie andere Opfergruppen eine Wiedergutmachung im Sinne eines Opferfürsorgegesetzes in Anspruch nehmen", so Historiker Horst Schreiber. "Sie galten nicht als Opfer, sondern wurden als Kriminelle und sogenannte Asoziale in ein Lager oder Gefängnis eingeliefert, so die offizielle Sicht in der Republik Österreich und in der Tiroler Landesverwaltung, die somit die Verfolgungspraxis der NS-Behörden im Nachhinein legitimierten." (Ivona Jelcic, 11.1.2023)