Munter weiterwerken in der Pension? Die türkis-grüne Koalition ringt um eine Einigung.

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In der politischen Debatte finden sich Pensionistinnen und Pensionisten oft als finanzielle Belastung für den Staat wieder. Doch nun ruht plötzlich große Hoffnung auf dieser wachsenden Gruppe. Menschen im Ruhestandsalter sollen helfen, ein lautstark beklagtes Problem der heimischen Wirtschaft zu lindern: Vom Hotelier bis zum Möbelbauer berichten Unternehmer, auf der Suche nach geeignetem Personal zu scheitern.

Wie das Kunststück gelingen soll, berät die türkis-grüne Koalition derzeit bei ihrer Klausur in Mauerbach am Westrand Wiens. Treibende Kraft ist dabei die ÖVP, etwa in Person von Seniorenbundchefin Ingrid Korosec, die selbst zwar nicht in der Regierung sitzt, aber seit Jahren Druck macht. Ein passender Anreiz, erläutert sie, könnte viele pensionierte Fachkräfte motivieren, den nach Personal suchenden Firmen aus der Klemme zu helfen.

Auch Unternehmer profitieren

Konkret richtet sich das Modell an Seniorinnen und Senioren, die zwar das reguläre Pensionsalter – Männer 65 Jahre, Frauen derzeit noch 60 Jahre – erreicht haben, aber neben dem Bezug der Pension noch weiterarbeiten könnten. Das ist schon jetzt ohne Verdienstgrenze möglich. Doch künftig soll der Staat in solchen Fällen auf die fälligen Beiträge für die Pensionsversicherung verzichten. Nach ÖVP-Vorstellungen würde das nicht nur für die 10,25 Prozent gelten, die Arbeitnehmer vom Einkommen abzwacken müssen, sondern auch für die 12,55 Prozent der Arbeitgeber.

Laut Studien wolle immerhin ein gutes Drittel der neu angetretenen Pensionistinnen und Pensionisten der Erwerbsarbeit treu bleiben, sagt Korosec, wenn auch in reduziertem Ausmaß. Doch was die Langzeitpolitikerin als "Win-win-win-Modell" preist, stößt in der kleineren Regierungspartei auf Widerstand.

Grüner Einspruch

Offen als Gegner deklariert sich Markus Koza, grüner Sozialsprecher im Parlament. Bleiben, wie vorgeschlagen, auch den Arbeitgebern die Versicherungsbeiträge erspart, dann kämen Pensionistinnen und Pensionisten plötzlich deutlich billiger als Arbeitskräfte vor dem Pensionsalter, wendet er ein: "Da droht ein absurder Verdrängungswettbewerb."

Ganz ähnlich argumentiert der sozialdemokratisch dominierte ÖGB: Menschen im erwerbsfähigen Alter drohten damit schlechtere Chancen, obwohl diese dringender einen Job brauchten als Pensionisten.

Denkbar wäre stattdessen, arbeitenden Pensionisten etwa via Freibeträge einen Teil der Lohn- und Einkommensteuer zu ersparen, sagt Koza: "Aber eine Lohnnebenkostensenkung für Unternehmen ist ein ungeeignetes Rezept, das zulasten des Pensionssystems geht."

Worauf der Parlamentarier mit letzterem Hinweis anspielt: Weil die Beitragssenkung auch Leute betreffen würde, die so oder so weitergearbeitet hätten, entginge dem Pensionssystem Einnahmen – womit der Staat noch mehr Steuergeld wie bisher zuschießen müsste. Pikanterweise sind es gerade die Vertreter der von der diskutierten Entlastung profitierenden Unternehmen, die gerne das "Pensionsloch" anprangern.

Türkiser Konter

Miterfinderin Korosec interpretiert diese Einwände jedoch als vorgeschützte Argumente. In aller Regel würden die Pensionisten ja nicht Vollzeit weiterarbeiten, sondern für einige Wochenstunden aushelfen und dabei ihr Know-how an Nachfolger weitergeben, hält sie entgegen. Von Verdrängung könne deshalb keine Rede sein.

Und die fehlenden Einnahmen für die Pensionsversicherung? Da müsse man schon auch eine Gegenrechnung anstellen, so die Argumentation des Seniorenbundes. Schließlich dürfe sich der Staat dank mehr werktätiger Menschen gleichzeitig auf höhere Steuereinnahmen freuen.

Alles-oder-nichts-Mentalität

Christine Mayrhuber beurteilt die Wirkung des Modells allerdings weniger optimistisch als die Urheber. Ob Pensionistinnen und Pensionisten weiterarbeiten, liege nicht nur am Einkommen, sondern auch an den Arbeitsbedingungen, sagt die Expertin vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). So brauche es die Möglichkeit, dass ältere Beschäftigte die Zahl ihrer Wochenstunden reduzieren könnten – indem etwa Aufgaben auf Teams aufgeteilt werden. Doch in so manchem Unternehmen gebe es immer noch eine Alles-oder-nichts-Mentalität: Gefragt seien Ältere als Vollzeitkraft – oder gar nicht.

Allein dank arbeitender Senioren lasse sich der Arbeitskräftemangel ohnehin nicht bekämpfen, fügt Mayrhuber an. Längerfristig brauche es dafür etwa den Ausbau der Kinderbetreuung, um Teilzeit arbeitenden Frauen die Chance auf mehr Erwerbsstunden zu geben, sowie intensivere Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen, die sonst am Arbeitsmarkt scheitern. Die Ökonomin denkt da vor allem an jene Jugendlichen, die weder im Job stehen noch sich in einer Schule oder in Ausbildung befinden. Unter den 15- bis 24-Jährigen macht dieser Anteil immerhin 8,5 Prozent aus.

Natürlich brauche es noch weitere Schritte, sagt auch Korosec. Aber ob es angesichts der grünen Einwände überhaupt zum ersten kommt? Für die laufende Klausur rechnet sie eher mit keiner Einigung, sehr wohl aber für die nächsten Monate.

Umstrittene Überstunden

Umstritten ist auch eine weitere Anreizidee, die beim türkis-grünen Treffen gewälzt wird. Damit Unternehmen kurzfristig leichter Personallücken schließen können, fordert die Industriellenvereinigung eine stärkere Begünstigung von Überstunden – so sollen künftig nicht nur zehn, sondern 20 Stunden pro Monat steuerfrei gestellt werden.

Doch wieder hegen die Grünen Bedenken. Sozialminister Johannes Rauch (Grünen) warnt davor, noch mehr Menschen durch Überlastung im Arbeitsleben ins Burnout zu treiben. Und auch aus der feministischen Perspektive gibt es Einwände: Weil Männer hierzulande viel öfter Vollzeit arbeiten, währen Frauen auf Teilzeit fixiert sind, würden wohl vielfach Erstere die Gelegenheit nutzen – und dann womöglich noch weniger zu Kindererziehung und Hausarbeit beitragen. Das traditionelle Familienmodell droht somit zementiert zu werden. Der grüne Sozialsprecher Koza sagt: "Eine Dauerlösung kann das nicht sein." (Gerald John, 11.1.2023)