Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) vor Beginn der Regierungsklausur.
Foto: APA/Roland Schlager

Was sie von der Klausur erwarte, wurde Energieministerin Leonore Gewessler bei ihrem Marsch vorbei an den Kameras und hinein in das Seminarhotel in Mauerbach hinterhergerufen. "Viel Arbeit", war der kurze Kommentar der Grünen am Dienstag. Es ist der Leitspruch des Zusammentreffens, das Regierungsmitglieder konsequent "Arbeitsklausur" nennen: Die Koalition ist tätig. Schließlich soll erst 2024 wieder gewählt werden.

Arbeiten mussten ÖVP und Grüne dann tatsächlich noch. In der Vergangenheit waren Regierungsklausuren oft gut inszenierte Showveranstaltungen für Medien und Öffentlichkeit – die zu präsentierenden Ergebnisse standen bereits im Vorfeld weitgehend fest. Diesmal betonten zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Regierungsmitgliedern, dass mehrere größere Themenbrocken wirklich bis zuletzt noch verhandelt werden mussten. "Es ist noch nicht alles fix und fertig", betonte auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der gemeinsam mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Hotel eintrudelte. Ansonsten gab sich die Regierungsspitze vorerst wenig auskunftsfreudig. Am Mittwoch sollen Beschlüsse im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert werden.

Eine Einigung wird bei der Reform des Korruptionsstrafrechts erwartet. Darüber hinaus sollen Neuerungen im Bereich Energiesicherheit verkündet werden – etwa die seit längerem in der Warteschleife hängende Novelle der sogenannten Umweltverträglichkeitsprüfung, die schnellere Genehmigungen von Großprojekten zum Ziel hat. Angekündigt wurde ein ganzes "Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungspaket". An anderen Stellen – etwa bei arbeitsmarktpolitischen Vorhaben der ÖVP – spießt es sich hingegen noch.

Am Dienstag waren zur Klausur auch externe Fachleute geladen. "Experteneinschätzungen sind Grundlage für unsere Arbeit im bevorstehenden Jahr", sagt Nehammer. Verbund-Vorstand Michael Strugl, einer der Eingeladenen, betonte im Vorfeld, Österreich müsse sich bereits auf die nächste Wintersaison vorbereiten – und sich dafür Lieferanten und Leitungen sichern.

1. Im Namen der Energiewende

Nun haben sie sich doch zusammengerauft. Um die Energiewende zu befeuern, wie es die zum Jahreswechsel von der EU-Kommission erlassene Verordnung vorsieht, werden die Genehmigungsverfahren für Erneuerbaren-Verfahren beschleunigt. Zentraler Baustein ist die Novelle zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, die schon deshalb kommen muss, um zwei Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission aus dem Weg zu räumen.

Wie umfangreich und wirksam die angestrebten Beschleunigungsmaßnahmen sein werden, ist unter Verwaltungsrechtsexperten umstritten. Die auf 18 Monate befristete EU-Verordnung gibt diesbezüglich einiges an Tempo vor – bis hin zu automatischen Genehmigungen von Solaranlagen (bis 50 kW), wenn die zuständige Behörde nicht binnen vier Wochen entscheidet. Der neue Entwurf der liegengebliebenen UVP-Novelle wird auch hinsichtlich Erleichterungen für die energetische Umrüstung von Industrieanlagen mit Spannung erwartet.

Kritisch sehen mit der Materie vertraute Fachleute, dass im Zuge von Umweltprüfungen künftig der Flächenverbrauch eingedämmt werden soll. Damit will der Bund in eine ureigene Domäne von Ländern und Gemeinden eindringen: die Raumordnung.

Gleiches gilt für das Thema Energiesicherheit, das auf der Agenda der Klausur in Mauerbach steht. Zentral wird bei diesem Thema die Gasversorgung, für die in Österreich de facto keine Institution zuständig ist. Auch hier ist Eile angesagt, denn die nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eilig geschaffene strategische Gasreserve muss bis Herbst wieder aufgefüllt werden. Beobachter erwarten, dass die Befüllung der Gasspeicher einer zu schaffenden Koordinierungsstelle überantwortet wird, die wiederum Versorger und die OMV-Gashandelstochter OGMT mit der Beschaffung beauftragt. Die von OMV ventilierte Verstaatlichung der OGMT (samt russischen Gasverträgen bis 2040) wird nicht nur von der Regulierungsbehörde E-Control extrem kritisch gesehen. (Luise Ungerboeck)

2. Endlich kommt die Lex Ibiza

Rasch nach dem Erscheinen des Ibiza-Videos war für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft klar: Im österreichischen Strafrecht existiert eine Gesetzeslücke. Denn die Versprechungen, die der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Vize Johann Gudenus auf Ibiza der falschen Oligarchennichte gemacht haben, waren nicht strafbar. Der Grund dafür ist einfach: Die beiden sprachen gegenüber "Alyona Makarowa" davon, was sie als Mitglieder einer künftigen türkis-blauen Regierung tun würden. Strafbar war bislang aber nur, was man als tatsächlicher, nicht als potenzieller Amtsinhaber verspricht. Und zum Zeitpunkt des Ibiza-Videos waren Strache und Gudenus "nur" Abgeordnete.

Auch der zweite Teil der Reform im Korruptionsstrafrecht hat mit Strache zu tun: Kurz nach Erscheinen des Ibiza-Videos im Mai 2019 tauchten weitere Fotos auf, die Strache belasten sollen. Sie zeigten Bargeld im Kofferraum seines Autos. Dabei habe es sich nach Aussagen eines FPÖ-Sicherheitsmitarbeiters um Schmiergeld aus der Ukraine gehandelt. Dort ansässige Oligarchen hätten 2013 damit ihrem Geschäftspartner Thomas Schellenbacher ein Mandat im Nationalrat verschafft. Die FPÖ sei quasi dafür bezahlt worden, Schellenbacher auf einem wählbaren Listenplatz zu platzieren. Auch das war bislang nicht strafbar, da Parteien aus freien Gründen entscheiden dürfen, wie sie ihre Listen aufsetzen.

Sowohl der "Mandatskauf" als auch die "Ibiza-Regelung" gelten seit Beginn der türkis-grünen Koalition als fixe Gesetzesreformen. In der Praxis gestaltete sich die Umsetzung jedoch knifflig, die ÖVP soll auf die Bremse gedrückt haben. Bei der Klausur soll eine Einigung verkündet werden – jedoch ohne eine tiefergehende Präsentation.

Verhandelt wird nun auch wieder intensiver über das sogenannte Informationsfreiheitsgesetz, das unter anderem die Abschaffung des Amtsgeheimnisses beinhaltet. Mit einer raschen Einigung ist hier allerdings nicht zu rechnen. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid)

3. Kanzlerpartei will Hauskäufer entlasten

Sich eine Wohnung oder ein Haus zu kaufen ist für viele Menschen in den letzten Jahren unerschwinglich geworden. Nun will Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) die Grunderwerbsteuer und die Grundbucheintragungsgebühr beim Ersterwerb einer Immobilie bis zu einer Höchstgrenze von 500.000 Euro abschaffen oder zumindest reduzieren.

Der Steuersatz für die Grunderwerbsteuer liegt bei 3,5 Prozent des Kaufpreises, jener für die Grundbucheintragung bei 1,1 Prozent. Ist die Immobilie mit einer Hypothek belastet, fallen weitere 1,2 Prozent des Pfandrechts für die Eintragung ins Grundbuch an. Insgesamt also ein ordentlicher Brocken, der auf den Kaufpreis draufgeschlagen wird. Rund 2,8 Milliarden Euro hat der Staat damit im Vorjahr eingenommen.

Beispiele, wie es anders funktionieren könnte, gibt es. In manchen Ländern zahlen Erstkäufer und Erstkäuferinnen keine oder eine reduzierte Grunderwerbsteuer, in einigen Ländern gibt es einen Unterschied beim Steuersatz zwischen dem Kauf als Selbstnutzerin und dem Kauf als Anleger.

Melanie Mischkreu, Immobilienexpertin bei der TPA Steuerberatung, findet den Vorstoß der ÖVP sinnvoll. Dadurch würde auch die Bemessungsgrundlage für Treuhandkosten sinken. Und bei der seit vergangenem August geltenden verpflichtenden Eigenmittelquote von 20 Prozent bei Wohnkrediten werden auch die Neben kosten eingerechnet. Fallen diese weg, "könnte das manche in einen Bereich pushen, wo sie sich den Kredit wieder leisten können". Zwischen 15.000 und 25.000 Euro Ersparnis würden beim Kauf einer 75 Quadratmeter großen Wohnung winken, sollte es zu einem Freibetrag von 500.000 Euro bei der Grunderwerbsteuer und einer weitgehenden Streichung der Grundbuchgebühr kommen, hat das Neos Lab, Thinktank der Oppositionspartei, ausgerechnet.

Details stehen aus. Etwa dazu, wie viele "Ersterwerber" betroffen wären, wie man diese definiert und wie man Umgehungen verhindern möchte. Bei den Grünen gibt es Vorbehalte gegen den Plan, eine Einigung bei der Klausur wird deshalb nicht erwartet. (Martin Putschögl, Franziska Zoidl)

4. Umstrittene Konzepte gegen Arbeitskräftemangel

Diskussion ja, Einigung eher nein: Darauf standen die Zeichen zu Redaktionsschluss am Dienstagabend bei einem Projekt, das die ÖVP in die Regierungsklausur hineingetragen hat. Die Kanzlerpartei drängt auf Anreize, damit mehr ältere Menschen neben der Pension weiterarbeiten und damit ein wachsendes Problem der heimischen Wirtschaft lindern. Denn vom Hotel bis zum Möbelbauer beklagen Unternehmen, nicht mehr ausreichend geeignetes Personal zu finden.

Konkret richtet sich das türkise Modell an Seniorinnen und Senioren, die zwar das reguläre Pensionsalter – Männer 65 Jahre, Frauen derzeit noch 60 Jahre – erreicht haben, aber neben dem Bezug der Pension noch weiter arbeiten könnten. Das ist schon jetzt ohne Verdienstgrenze möglich. Doch künftig soll der Staat in solchen Fällen auf die fälligen Beiträge für die Pensionsversicherung verzichten. Nach ÖVP-Vorstellungen würde das nicht nur für die 10,25 Prozent gelten, die Arbeitnehmer vom Einkommen abzwacken müssen, sondern auch für die 12,55 Prozent der Arbeitgeber.

Das Zuckerl könnte viele pensionierte Fachkräfte motivieren, nach Personal suchenden Firmen aus der Patsche zu helfen, glaubt Ingrid Korosec, die seit Jahren für diese Idee kämpft. Doch was die Chefin des Seniorenbunds der ÖVP als "Win-win-win-Modell" preist, stößt in der kleineren Regierungspartei auf Widerstand. Als Gegner outet sich Markus Koza, grüner Sozialsprecher im Parlament. Bleiben, wie vorgeschlagen, auch den Arbeitgebern die Versicherungsbeiträge erspart, dann kämen Pensionistinnen und Pensionisten plötzlich deutlich billiger als jüngere Arbeitskräfte: "Da droht ein absurder Verdrängungswettbewerb."

Denkbar wäre stattdessen, arbeitenden Pensionisten etwa via Freibeträge einen Teil der Lohn- und Einkommensteuer zu ersparen, sagt Koza: "Aber eine Lohnnebenkostensenkung für Unternehmen zulasten des Pensionssystems wollen wir nicht."

Korosec nennt die Einwände vorgeschützte Argumente. In aller Regel würden die Pensionisten ja nicht Vollzeit weiterarbeiten, sondern für einige Wochenstunden aushelfen und dabei ihr Know-how an Nachfolger weitergeben, hält sie entgegen. Von Verdrängung könne keine Rede sein.

Umstritten ist eine weitere Anreizidee, die bei der Klausur gewälzt wird. Die Industriellenvereinigung will, dass künftig nicht nur zehn, sondern 20 Überstunden pro Monat steuerfrei gestellt werden. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) hegt Bedenken, dass dies noch mehr Menschen ins Burnout treiben könnte. Auch aus der Geschlechterperspektive gibt es Einwände: Schließlich würden wohl vielfach Männer die Gelegenheit nutzen – und dann noch weniger zu Kindererziehung und Co beitragen. Sozialsprecher Koza: "Eine Dauerlösung kann das nicht sein." (Gerald John)

5. Besetzungstestfall am Gericht

Auf der Agenda der Regierungsklausur steht sie zwar nicht, aktuelles Thema ist sie aber: die Besetzung des Präsidenten- bzw. Präsidentinnenpostens am Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Geht es nach dem Sideletter der türkis-grünen Koalition, stünde das Nominierungsrecht der ÖVP zu – so wie es aussieht, könnte es aber anders kommen. Die Regierung will sich nicht dem Vorwurf der parteifreundlichen Bestellung aussetzen, Ministerin Alma Zadić hat erklärt, sich an den Vorschlag der Personalkommission halten zu wollen – an das gesetzlich vorgesehene Auswahlverfahren für die zwölf Bewerber.

Die Personalkommission hat inzwischen einen Dreiervorschlag erstellt, nach den Hearings in der Woche vor Weihnachten. Dem Vernehmen nach soll auf dem Dreiervorschlag Sabine Matejka an erster Stelle stehen. Das hört man in der Justiz, auch die Vorarlberger Nachrichten (VN) haben vorige Woche davon berichtet. Matejka, 48, ist derzeit Vorsteherin des Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf und bereits seit Herbst 2017 Präsidentin. Und zwar jene der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter, eine Funktion, in die sie 2021 wiedergewählt wurde.

Auf Platz zwei und drei des Vorschlags stehen laut VN der Chef der BVwG-Außenstelle Linz, Mathias Kopf, und der einstige Vorsitzende der Kammer für Fremdenwesen und Asyl des BVwG und nunmehrige Gruppenleiter im Innenministerium, Christian Filzwieser. Sollte das so stimmen und sich die Regierung an ihre guten Vorsätze halten, wäre ÖVP-Favorit Alexander Pirker aus dem Rennen. Er ist Chef der Präsidialsektion im Justizministerium, Cartellverbandsmitglied und war zu Beginn der 2000er im Vorstand der Jungen ÖVP.

Nach dem Justizministerium ist nun das Beamtenministerium unter Werner Kogler (Grüne) am Zug, das den Vorschlag im Ministerrat einbringen muss. Nach einstimmiger Entscheidung der Regierung wird dann der Bundespräsident die BVwG-Chefin oder den BVwG-Chef ernennen. (Renate Graber)