Polnisches Recht schützt noch keine selbstständigen LGBTIQ-Personen vor Diskriminierung.

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Sieben Jahre lang war der Mann beim staatlichen polnischen TV-Sender TP beschäftigt. Immer auf Basis von Werkverträgen, aber in unmittelbar aufeinanderfolgenden Abständen. Dann folgte ein Youtube-Video, in dem er sich vor Weihnachten 2017 mit seinem Lebensgefährten zeigte und für Toleranz für homosexuelle Paare eintrat. Die Verantwortlichen bei TP löschten daraufhin bereits vergebene Schichten und gaben sie einem anderen Mitarbeiter. Ein neuer Vertrag für Jänner 2018 wurde nicht mehr gewährt.

J. K. – wie der Betroffene in den Gerichtsakten bezeichnet wird – klagte dagegen vor dem Gericht in Warschau wegen Diskriminierung aufgrund seiner sexuellen Orientierung und will Schmerzensgeld und Schadenersatz. Doch TP entgegnete, dass es keine Garantie gebe, dass ein Werkvertrag verlängert werde, und dass deshalb auch keine Diskriminierung vorliegt.

Die Richterinnen und Richter in Warschau waren sich unsicher, ob die sperrig bezeichnete europäische Richtlinie 2000/78 – jene für die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – auch für Selbstständige gilt. Dort ist auch die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung untersagt. Im polnischen Gleichbehandlungsgrundsatz besteht das Recht auf "freie Wahl des Vertragspartners" nur dann, "sofern sie sich nicht auf das Geschlecht, die Rasse, die ethnische Herkunft oder die Nationalität stützt". Demnach wären Homosexuelle nicht geschützt.

Frage für Luxemburg

Das Gericht in der polnischen Hauptstadt rief deshalb den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg an. Dieser urteilte nun, dass die sexuelle Ausrichtung keinen Grund darstellen darf, aus dem der Abschluss eines Vertrags mit einem Selbständigen abgelehnt werden darf. Denn wenn man zuließe, "dass die Vertragsfreiheit es erlaubt, den Abschluss eines Vertrags mit einer Person wegen ihrer sexuellen Ausrichtung abzulehnen", so würde dies "dem Verbot jeder Diskriminierung" ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Bereits zuvor war sich die Generalanwältin bei ihrem Schlussantrag sicher: Die europäische sticht die ihr entgegenstehende polnische. Die EU-Staaten Belgien, Niederlande und Portugal sowie die EU-Kommission unterstützten während des Verfahrens den Kläger.

Arpo Avetisyan, Leiterin der Rechtsabteilung bei der LGBTQI-Schirmorganisation Ilga, nennt das EuGH-Urteil eine "Möglichkeit, um die Spannweite und praktische Anwendung des Prinzips der Nichtdiskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung" auch auf Selbstständige festzulegen. Sollten die Richterinnen und Richter in Luxemburg dem Kläger nicht recht geben, befürchtet sie, dass Arbeitgeber künftig vermehrt auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Werkvertrag setzen, um leichter diskriminieren zu können. (bbl, red 12.1.2023)