Entdeck hatte man sie bereits vor 150 Jahren, doch erst jetzt gelang es, sie in der richtigen Verwandtschaft unterzubringen: Die größte bekannte urzeitliche Blüte, die in Bernstein konserviert die Jahrmillionen praktisch unbeschadet überdauert hat, war zunächst für eine Scheinkamelie gehalten worden – ein Irrtum, wie Paläontologinnen aus Wien und Berlin nun nachgewiesen haben. Analysen von Pollen aus der fast drei Zentimeter durchmessenden Blüte zeigten, dass das rund 35 Millionen Jahre alte Fossil in Wahrheit der Pflanzengattung Symplocos zuzuordnen ist.

Bernsteineinschlüsse von Blüten gibt es nur sehr wenige, und sie überschreiten selten die Größe von zehn Millimetern, schreiben Eva-Maria Sadowski vom Museum für Naturkunde Berlin und Christa Hofmann vom Institut für Paläontologie der Universität Wien in ihrer im Fachjournal "Scientific Reports" erschienenen Studie. Die größte bisher entdeckte Blüte misst dagegen vergleichsweise gewaltige 28 Millimeter.

Die drei Zentimeter große Blüte, für die Eva-Maria Sadowski und Christa Hofmann nun den neuen Namen Symplocos kowalewskii vorgeschlagen haben, wurde vor etwa 35 Millionen Jahren von Baumharz eingeschlossen.
Foto: Carola Radke, MfN Berlin

In "blauer Erde" entdeckt

Das Fossil wurde 1872 an der Ostsee bei Kaliningrad entdeckt, wo aus einer "blaue Erde" genannten Sedimentschicht sogenannter baltischer Bernstein abgebaut wird. Es handelt sich dabei um eine der größten Bernsteinlagerstätten weltweit. Für die "blaue Erde" und den darin enthaltenen Bernstein gibt es verschiedene Altersschätzungen, den neuesten Studien zufolge ist die Schicht rund 38 bis 34 Millionen Jahre alt, stammt also aus dem mittleren Eozän. Damals war es auf der Erde durchschnittlich mehrere Grad Celsius wärmer als heute, tropische und subtropische Klimazonen reichten bis weit in den Norden beziehungsweise Süden des Planeten.

Ursprünglich haben die Paläontologen die Blüte als Scheinkamelie (Stewartia kowalewskii) identifiziert, die zur Familie der Teestrauchgewächse gehört. Später kamen zwar Zweifel an dieser Zuordnung auf, eine eingehende Analyse der Bernsteinblüte aus der Sammlung der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Berlin wurde allerdings nicht durchgeführt.

Hofmann und Sadowski haben nun die Blüte erstmals eingehend untersucht. Sie entdeckten dabei zahlreiche Pollenkörner, die aus den Staubgefäßen der eingeschlossenen Blüte entwichen waren. "Eine so große Blüte im Bernstein zu finden, die darüber hinaus genau zum Zeitpunkt der Einbettung ins Harz ihren Pollen entlässt, ist sehr außergewöhnlich", meinte Sadowski.

Nahaufnahme von Symplocos kowalewskii. Winzige Pollen halfen nun bei der Identifizierung der Art.
Foto: Carola Radke, MfN Berlin

Pollen unter dem Rasterelektronenmikroskop

Die Forscherinnen holten mit dem Skalpell einige Pollenkörner aus dem Bernstein und untersuchten sie mit dem Rasterelektronenmikroskop. Damit lassen sich die winzigen morphologischen Details an der Oberfläche der mikrometergroßen Pollenkörner erkennen, anhand derer eine Pflanzenart bestimmt werden kann. In Kombination mit einigen Blütenmerkmalen zeigte sich eine starke Verwandtschaft mit asiatischen Symplocos-Arten. Diese Pflanzengattung ist im englischen Sprachraum auch als "sweetleaf" bekannt, weil die Blätter einiger Arten einen süßen Geschmack aufweisen. Ihre heute bekannten 250 bis 300 Arten umfassen Sträucher und kleine Bäume.

"Solche Pflanzeneinschlüsse sind wie eine Zeitkapsel, sie erlauben es, die Vegetation in verschiedenen Phasen der Erdgeschichte zu rekonstruieren", erklärte Hofmann. Konkret können die Wissenschafterinnen mit der Bernsteinblüte Rückschlüsse auf den baltischen Bernsteinwald ziehen, dem die beachtliche Größe der Bernsteinvorkommen im Ostseeraum zu verdanken ist.

Küstensümpfe, Moore und Mischwälder

Bei dem Blütenfossil handelt es sich um den ersten Nachweis der Gattung Symplocos in baltischem Bernstein. Gemeinsam mit anderen Pflanzeneinschlüssen unterstütze dies die Verwandtschaft der Flora des baltischen Bernsteinwalds mit immergrünen Laub- und Mischwäldern des heutigen Ost- und Südostasiens, schreiben die Forscherinnen. Damals sei es in Europa nicht nur wärmer, sondern auch regenreicher als heute gewesen, sodass sich viele Vertreter der Buchengewächse wie Scheinkastanien (Castanopsis) und Koniferen heimisch fühlen konnten. Gemeinsam formten sie ein vielfältiges Ökosystem, das aus Küstensümpfen, Mooren und gemischten Wäldern bestand. (red, APA, 12.1.2023)