Weizenbrot ist das ägyptische Grundnahrungsmittel schlechthin.

Foto: EPA / Khaled Elfiqi

Als Präsident Abdelfattah al-Sisi im Mai vergangenen Jahres Ägyptern und Ägypterinnen riet, Blätter von Bäumen zu essen – weil das die Gefährten des Propheten Mohammed in der Not auch einmal getan hätten –, ging es ihnen noch besser als heute. Die Inflation hat im Dezember 21 Prozent überschritten, die Währung ist zusammengebrochen. Die Ratschläge gehen Sisi aber auch in der derzeitigen Krise nicht aus, in denen verzweifelte Menschen ihren Kindern kein Brot mehr kaufen können.

Der wohlgenährte Präsident, der der Bevölkerung auch einmal zu Diät und Dinner-Cancelling riet, empfahl ihnen zuletzt in einer Rede, das Jammern und Schwätzen zu beenden. Er fand das so lustig, dass er danach lachen musste.

Videoanalyse von 2021 anlässlich von zehn Jahren ägyptische Revolution.
DER STANDARD

Ägypten ist der größte Weizenimporteur der Welt, und es ist unbestreitbar, dass der russische Überfall auf die Ukraine einer der Gründe für die galoppierenden Weizen- und Speiseölpreise sind. Auch der abrupte Stopp des Tourismus durch die Covid-Pandemie war für die ägyptische Wirtschaft eine Katastrophe. Aber Analysten sind sich einig, dass die ägyptische Regierung auch selbst viel dazu beigetragen hat, um das Land an den wirtschaftlichen Abgrund zu treiben.

Teure Prestigeobjekte

Ein Markenzeichen Sisis, der 2014 zum ersten Mal gewählt wurde und bis mindestens 2030 Präsident bleiben will, sind die teuren Mega-Prestigeobjekte. Vom Bau der neuen Hauptstadt mit chinesischem Kapital in der Wüste unweit Kairos über die Erweiterung des Suezkanals, die sich finanziell weniger rentiert als projiziert, bis zu massiven Waffenkäufen oder dem Bau eines Atomkraftwerks durch Russland: Der Staat hat Geld ausgegeben – und nicht nur für die nötige Infrastruktur –, als gäbe es kein Morgen.

Auch tausende Moscheen wurden neu gebaut oder renoviert: Sisi, der 2013 – mit Zustimmung breiter Teile der Gesellschaft – Mohammed Morsi gestürzt hatte, zog zwar die Muslimbrüder aus dem Verkehr. Der Staat agiert jedoch umso mehr als Schutzherr der konservativen Moral und religiösen Werte.

Nun aber ist endgültig Feuer am Dach. Ägypten ist nach Argentinien bereits der zweitgrößte Schuldner des Internationalen Währungsfonds (IWF) und musste neues Geld aufnehmen, von dem man weiß, dass es nicht reichen wird. Es sind drei Milliarden US-Dollar auf 46 Monate. Und da wird es politisch interessant: Der IWF verlangt dafür nämlich strukturelle Reformen, die an den Interessen der wichtigsten Säule des Sisi-Regimes kratzen, der ägyptischen Armee.

Sonderrolle der Armee

Sie wurde unter dem General und Feldmarschall, der die Uniform abgelegt hat, mächtiger und reicher als je zuvor. Die Armee wurde zum Schaden der Privatwirtschaft mit der Durchführung vieler Projekte betraut, die Grenzen zwischen ihren eigentlichen Aufgaben und ihrem Unternehmertum sind verschwommen. In der Verfassung, die Sisi 2014 schreiben ließ – und die die Ägypter wie auch die Morsi-Verfassung von 2012 in einem Referendum abnickten –, hat sie eine Sonderrolle, es gibt keine Checks and Balances.

Der IMF verlangt nun eine Reduktion der Rolle von Staatsunternehmen, sie sollten Steuern zahlen, öffentliche Aufträge müssten kompetitiv vergeben werden. Um Reformen überhaupt in Angriff nehmen zu können, wird erst einmal Transparenz nötig sein. Dass das nicht von heute auf morgen geht, ist klar. Aber, wie Yezid Sayigh für die Carnegie Foundation schreibt, es wird schon nach Hintertüren gesucht, um die Macht des Militärs unangetastet zu lassen.

Schwierige Transparenz

Die Frage ist, ob sich Sisi politisch überhaupt leisten könnte, das Militär herauszufordern. Es hat sich Wünschen, die er selbst geäußert hat, bereits widersetzt. So hatte er wiederholt Börsengänge von Staatsunternehmen angekündigt, die dann nicht erfolgt sind. Allein die dafür nötigen Offenlegungen sind Armeefirmen nicht zu liefern bereit.

Der Status der Armee wird romantisiert. Auch als sie im Februar 2011 Hosni Mubarak nach 30 Jahren zum Abtritt zwang, tat sie dies nicht aus Liebe zum Volk, wie viele glauben wollten, sondern weil ihr Mubaraks Verbleib nicht opportun erschien. Mubarak selbst war ein Militär, wollte jedoch seinen Sohn, einen Geschäftsmann, zu seinem Nachfolger machen.

Premier Mostafa Madbouly, der öffentlich vorrechnete, wie viel es den Staat kostete, die Brotstützungen nicht zu streichen, gab indes auch Sparprogramme für die Regierung bekannt. So sollen Auslandsreisen von Ministern eingeschränkt und Projekte, für die Ausgaben in Fremdwährungen nötig sind, verlangsamt werden. Das ägyptische Pfund steht nach einer neuerlichen Entwertung vergangene Woche auf einem historischen Tief vis-à-vis dem US-Dollar.

Unter der Armutsgrenze

60 Prozent der auf mehr als 100 Millionen angewachsenen Ägypter und Ägypterinnen leben unter der Armutsgrenze. Ägypten hat das geringste Per-capita-Einkommen in der arabischen Welt. Für das Überleben vieler Familien sind die Überweisungen aus dem Ausland – allen voran aus arabischen Golfstaaten – wichtig, aber auch das wird schwieriger. Kuwait etwa will die Arbeitsmigrantenzahl beschränken. Bei den Migrationsflüssen nach Europa übers Mittelmeer steigt seit längerem die Anzahl der Ägypter.

Mit einer Fanfare eröffnete der Premier Madbouly zu Wochenbeginn eine Art Sozialmarkt mit dem Namen "Ahlan Ramadan", Willkommen Ramadan. Der islamische Fastenmonat – in dem nach Sonnenuntergang besonders viel konsumiert wird – beginnt Ende März, da sollen der Bevölkerung flächendeckend Grundnahrungsmittel zu Fixpreisen zur Verfügung stehen. Bis dahin muss sie sich durchfretten. (Gudrun Harrer, 17.1.2023)