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Den Jüngeren zeigen, wie es geht: In betagte Arbeitskräfte werden plötzlich große Hoffnungen gesetzt.

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Ältere Menschen sollen trotz Pension weiterarbeiten, um den Fachkräftemangel zu lindern: Zumindest die ÖVP-Hälfte der Koalition hält auf diese Idee große Stücke (der STANDARD berichtete). Bei der Regierungsklausur vergangene Woche setzte die Kanzlerpartei gegen die skeptischen Grünen zwar keinen Beschluss entsprechender Anreize durch, aber immerhin eine Arbeitsgruppe.

Diskussionsbedarf gibt es reichlich. Denn was Verfechter wie die türkisen Seniorenvertreter als Win-win-win-Situation preisen, ist in den Augen der Kritiker überflüssig bis schädlich. Die Arbeiterkammer (AK) hält den Ansatz für nichts anderes als eine Themenverfehlung.

Andere Gruppen bildeten ein viel größeres Potenzial, um die Lücke zu füllen, argumentiert die sozialdemokratisch dominierte Interessenvertretung. AK-Sozialexperte Wolfgang Panhölzl denkt dabei nicht nur an eine Million Teilzeit arbeitende Frauen, sondern speziell an Menschen im höheren Erwerbsalter. Während von den 55- bis 59-Jährigen laut AK-Rechnung 79,5 Prozent der Männer und 73,6 Prozent der Frauen beschäftigt sind, betragen die Quoten bei den 60- bis 65-Jährigen nur 41,4 und 17,6 Prozent. Würde man das Niveau der zweiten Gruppe auf jenes der ersten anheben, stünden um 350.000 Menschen mehr im Job.

Arbeit neben der Pension hält Panhölzl hingegen für ein Minderheitenprogramm gut verdienender Angestellter und Selbstständiger. Laut AK-Erhebung könnten sich nur 60 bis 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorstellen, im aktuellen Job überhaupt bis zum Pensionsalter durchzuhalten, sagt er, außerdem hätten bisherige Anreize nur begrenzt gefruchtet. Der Umstand, dass schon bisher Sozialversicherungsbeiträge ab gewissen Altersgrenzen über 60 gesenkt werden, schlage sich in der Beschäftigungsquote eben nicht nieder.

Auch Helmut Mahringer sieht das größere Reservoir bei den Menschen im Erwerbsalter. Viel davon ließe sich nutzen, wenn sich Unternehmen mehr um altersgerechte Arbeitsbedingungen bemühten, urgiert der Experte des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Schritt für Schritt müssten Betriebe jene Hürden aus dem Weg räumen, die älteren Menschen mit gesundheitlichen Handicaps im Weg stünden.

Widersprüchliche Klagen

Während manche Unternehmen längst ein ausgeklügeltes Gesundheitsmanagement installiert haben, täten andere nach wie vor viel zu wenig, sagt Mahringer: "Da gibt es ein heterogenes Bild." Kein Wunder also, dass sich in das Lamento über den Fachkräftemangel nach wie vor auch Berichte über abservierte ältere Beschäftigte mischen.

Gerade Branchen, in denen die Klagen über die schwierige Personalsuche besonders laut sind, schnitten bescheiden ab, liest der Forscher aus den Daten heraus: In der Beherbergung und Gastronomie liegt der Anteil der Beschäftigten 55 plus mit 12,4 Prozent ebenso unter dem Durchschnitt (16,5 Prozent) wie im Sektor Information und Kommunikation (10,3 Prozent).

Nachhelfen könnte der Staat mit einem Bonus-Malus-System, schlägt Mahringer vor: Betriebe mit wenigen älteren Beschäftigten zahlen höhere Beiträge an die Sozialversicherung, vorbildliche Firmen niedrigere. Ein weiterer Schlüssel seien Bildungsprogramme, die nicht mehr nur bei den neu einsteigenden Kräften ansetzen dürften. Aber daneben sei es auch einen Versuch wert, Menschen in der Pension zum Weiterarbeiten zu motivieren.

Ist die Regierung also klug beraten, beide Ansätze zu verfolgen, statt – wie ÖVP-Seniorenvertreterin Ingrid Korosec der Arbeiterkammer vorwirft – Alt gegen Jung auszuspielen? Gegen die Idee spreche nicht nur der zweifelhafte Nutzen, sondern auch der potenzielle Schaden, halten die Kritiker entgegen. Panhölzl verweist auf die bisherigen Bemühungen, Menschen zu motivieren, möglichst spät die Pension anzutreten – so gibt es für jedes Jahr Arbeit über das Regelpensionsalter von 65 Jahren hinaus einen Zuschlag von 4,2 Prozent auf den späteren Altersbezug. Würden arbeitende Pensionisten nun begünstigt, werde dieses Ziel unterlaufen, sagt der Arbeiterkämmerer: "Das ist ein befremdlicher Zugang." (Gerald John, 17.1.2023)