Nie waren wir einem Atomkrieg näher als heute – zumindest wenn es nach der Doomsday Clock geht.

Foto: imago images/blickwinkel/M. Gann

Seit inzwischen drei Jahren verharrt der Zeiger der Doomsday Clock bei 100 Sekunden vor Mitternacht. In der 73-jährigen Geschichte der symbolischen Weltuntergangsuhr waren wir nie näher an der nuklearen Katastrophe. Das Ende wichtiger internationaler Verträge zur Rüstungskontrolle von Atomwaffen, vor allem aber der Krieg in der Ukraine geben wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich bei der nächsten Neujustierung durch das "Bulletin of the Atomic Scientists" in einer Woche daran allzu viel ändern wird.

Welche Energien eine Atomexplosion freisetzt, zeigten nicht nur die beiden verheerenden US-Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Zahlreiche Filmaufnahmen von oberirdischen Atomtests führen vor Augen, dass man praktisch nirgends sicher ist, wenn Nuklearwaffen gegen eine Stadt zum Einsatz kommen. Schon bei einer kleinen Atomwaffe mit der Sprengkraft von zehn Kilotonnen TNT (zum Vergleich: die beiden Kernwaffen von Hiroshima und Nagasaki hatten eine Sprengkraft von 13 bzw. 20 Kilotonnen TNT) käme es zu einem Millionen Grad Celsius heißen Feuerball mit einem Durchmesser von mindestens 300 Metern.

Video: Atomtest in Nevada im Jahr 1955.
British Pathé

Schutz, wo es sicher ist

Extreme Hitzewellen würden bei Menschen in einem Umkreis von über zwei Kilometern Verbrennungen zweiten Grades hervorrufen. Die durch die Explosion erzeugte Druckwelle würde innerhalb eines Radius von 1,6 Kilometern schwerste Zerstörungen verursachen, erst ab einer Entfernung von etwa 2,5 Kilometern vom Epizentrum könnten Gebäude der Explosionskraft einigermaßen widerstehen. Menschen, die sich in einem hypothetischen nuklearen Szenario in einem solchen Gebäude aufhalten, haben gute Chancen zu überleben – vorausgesetzt, man sucht dort Schutz, wo es tatsächlich am sichersten ist. Wo diese Orte sein könnten, das hat nun ein Forschungsteam anhand von Simulationen herausgefunden.

Die Gruppe um Dimitris Drikakis von der Universität Nikosia (Republik Zypern) legte ihrem Szenario die Detonation eines Atomsprengkopfes über städtischem Gebiet zugrunde und berechnete, wie sich die resultierende Druckwelle auf Menschen auswirkt, die sich in stabilen Gebäuden, beispielsweise Betonbauten, aufhalten. Die simulierte Baustruktur enthielt Räume, Fenster, Türen und Korridore und ermöglichte es den Forschenden, die Geschwindigkeit der Luft nach der Druckwelle zu berechnen, um daraus auf jene Plätze zu schließen, die die höchste Überlebenswahrscheinlichkeit bieten.

Extreme Druckwellen

"Vor unserer Studie war die Gefahr für Menschen in einem Gebäude aus Beton, das der Druckwelle standhalten kann, weitgehend unklar", meinte Drikakis. "Unsere Daten zeigten, dass hohe Luftgeschwindigkeiten nach wie vor eine erhebliche Gefahr darstellen und zu schweren Verletzungen oder sogar Todesfällen führen können."

Die Grafik zeigt den Verlauf der maximalen Geschwindigkeit der Luft in den ersten zehn Sekunden nach Eintritt der Druckwelle durch das Fenster.
Illustr.: I. Kokkinakis and D. Drikakis, University of Nicosia

Den Ergebnissen zufolge reicht es also nicht aus, sich nur in einem stabilen Gebäude aufzuhalten, um das Risiko zu vermeiden. Die engen Räume können die Luftgeschwindigkeit enorm erhöhen, der rasende Sturm kann von den Wänden reflektiert werden und im Extremfall Kräfte erzeugen, die dem 18-Fachen des Körpergewichts eines Menschen entsprechen.

In die Ecken!

"Die gefährlichsten Stellen in Innenräumen, die es zu meiden gilt, sind die Fenster, die Korridore und die Türen", erklärte Ioannis Kokkinakis, Co-Autor der im Fachjournal "Physics of Fluids" veröffentlichten Studie. "Die Menschen sollten sich daher von diesen Orten fernhalten und sofort Schutz suchen. Selbst in einem vorderen Raum, der der Explosion direkt zugewandt ist, kann man den schlimmsten Folgen der hohen Windgeschwindigkeiten entgehen, wenn man sich an den der Explosion zugewandten Ecken der Wand aufhält."

Die Forschenden betonen, dass die Zeit zwischen der Explosion und dem Eintreffen der Druckwelle nur wenige Sekunden beträgt. Es sei also überlebenswichtig, sich so schnell wie möglich in ein Gebäude zu flüchten. Natürlich hoffen die Autorinnen und Autoren, dass ihre Erkenntnisse niemals in der Praxis angewendet werden müssen, dennoch sei das Verständnis der Auswirkungen einer Nuklearexplosion wichtig, um in der schlimmsten denkbaren Situation Menschen das Überleben zu ermöglichen. (tberg, 17.1.2023)