Mit den in Grönland seit rund 20 Jahren ungewöhnlich stark steigenden Temperaturen werden auch die Schmelzwasserflüsse auf der größten Insel der Welt immer breiter.

Alfred-Wegener-Institut / Sepp Kipfstuhl

Grönland ist die größte Insel der Erde und spielt eine entscheidende Region für das globale Klimasystem. Nach der Antarktis bindet es die größten Mengen Wasser in Form von Eis – nämlich schwer vorstellbare drei Millionen Kubikkilometer. Jüngste Studien aus dem Vorjahr kamen zu dem Schluss, dass selbst ohne weiteren Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Luft bis zum Jahr 2100 3,3 Prozent der grönländischen Eismassen abschmelzen dürften, was den Meeresspiegel um 27 Zentimeter ansteigen lassen dürfte.

Die deutsche Bezeichnung Grönland leitet sich vom dänischen "grønland" ab, was "Grünland" bedeutet. Erfunden wurde der Name vermutlich von Erik dem Roten im 10. Jahrhundert als eine Art PR-Maßnahme. Die "grüne" Verheißung würde es attraktiver machen, dass sich Menschen dort ansiedeln würden.

Tatsächlich gründeten die sogenannten Grænlendingar im Jahr 985 erfolgreiche Siedlungen in Südgrönland, die aber im frühen 15. Jahrhundert wieder verlassen wurden. Lange nahm man an, dass eine Kälteperiode daran schuld war, dass diese Siedlungen wieder aufgegeben wurden. Vermutlich aber war es große und anhaltende Trockenheit, wie ein Team von Geowissenschaftern kürzlich herausfand.

War Grönland früher "Grünland"?

Wie aber haben sich die Temperaturen in Grönland in den letzten 1.000 Jahren tatsächlich entwickelt? War es – wie der Name und die Siedlungen nahelegen – früher bereits einmal so warm wie heute? Und wie sieht es mit den Temperaturen im unzugänglichen Inneren der Insel aus, wo die Eismassen bis zu 3.000 Meter aufragen?

Diese Fragen beantwortet nun ein Team von Fachleuten rund um Maria Hörhold (Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven), das in Grönland neue Eisbohrkerne gewonnen hat. Die dadurch rekonstruierbare Zeitreihe umfasst nun durchgehend mehr als ein Jahrtausend, nämlich vom Jahr 1000 bis 2011, wie die Erstautorin der neuen Studie erklärt.

Das Team der Glaziologinnen und Glaziologen bei der frostigen Eiskernbohrung.
Alfred-Wegener-Institut / Sepp Kipfstuhl

Die Haupterkenntnisse aus den Analysen dieses einzigartigen Klimaarchivs für Zentral- und Nordgrönland: Das jüngste untersuchte Jahrzehnt – also die Jahre 2001 bis 2011 – war das wärmste des letzten Jahrtausends und weicht extrem weit von allen anderen Jahrzehnten ab. Wie die Forschenden im Fachblatt "Nature" berichten, war die untersuchte Region im ersten Jahrzehnt nach der letzten Jahrtausendwende um 1,5 Grad Celsius wärmer als im Schnitt im gesamten 20. Jahrhundert.

Dabei sind die jüngsten Extreme noch gar nicht mitkalkuliert: Im letzten Sommer etwa lagen die Temperaturen in Grönland um ganze acht Grad über dem Normalwert.

Im Vergleich mit anderen Teilen der Arktis, die zu den von der Erderwärmung am stärksten betroffenen Regionen zählt, stieß das Team auf überraschende Abweichungen. Das Klima des grönländischen Eisschildes ist weitgehend vom Rest der Arktis entkoppelt. Das dürfte am extrem dicken Eisschild liegen, das dafür sorgt, dass Grönland stärker von atmosphärischen Zirkulationsmustern beeinflusst wird als andere Teile der Arktis.

Mehr Wärme macht mehr Schmelzwasser

Neben der Temperatur rekonstruierte das Team aber natürlich auch die Schmelzproduktion des Eisschildes. Auch hier gab es für die Forschenden eine Überraschung: "Wir waren erstaunt zu sehen, wie eng die Temperaturen im Landesinneren mit dem grönlandweiten Schmelzwasserabfluss zusammenhängen – der ja in niedrig gelegenen Gebieten entlang des Randes des Eisschildes in Küstennähe stattfindet", sagt Maria Hörhold.

Wasser auf Eis: ein typischer Schmelzwasserfluss in Grönland.
Alfred-Wegener-Institut / Sepp Kipfstuhl

Schließlich konnte ihr Team auch noch die in den Eisbohrkernen ermittelten Temperaturschwankungen in Schmelzraten umrechnen und Schätzungen für die letzten 1.000 Jahre vornehmen, was wiederum die Vorhersage des damit verbundenen künftigen Meeresspiegelanstiegs verbessern sollte. Denn bei den 27 Zentimetern mehr bis zum Jahr 2100 wird es ziemlich sicher nicht bleiben.

Mit den in Grönland seit rund 20 Jahren ungewöhnlich stark steigenden Temperaturen werden auch die Schmelzwasserflüsse auf der größten Insel der Welt immer breiter. (Klaus Taschwer, 18.1.2023)