Während der Dreharbeiten zu The Misfits entstanden Aufnahmen von Marilyn Monroe.

Foto: Magnum Photos / Inge Morath

Ein Lama ist der Star der Show, und das will angesichts der prominenten Konkurrenz etwas heißen. Andy Warhol und Louise Bourgeois, Igor Strawinsky, Marilyn Monroe, Pablo Neruda und etliche andere Kunst- und Geistesgrößen werden hier nämlich auch noch auftreten. Als Opener aber fungiert, überlebensgroß aufgezogen und mit keck aus dem Autofenster gerecktem Hals, das Lama namens Linda, das über den New Yorker Times Square chauffiert wird.

Inge Morath hat das Tier, das von seinen Besitzern für Auftritte in TV-Shows und Werbespots vermittelt wurde, über Tage hinweg begleitet. Die Bilder erschienen 1957 im Life-Magazin, die Szene auf dem Times Square zählt zu den berühmtesten Motiven der österreichischen Fotografin, die sich als eine der ersten Frauen im Männerklub der Fotoagentur Magnum behauptete.

Die Umstände einer anderen tierischen Begegnung, die in Moraths Biografie eine bedeutende Rolle spielt, könnten kaum unterschiedlicher sein: Die 1923 in Graz Geborene lebte ab den 1930er-Jahren mit ihren Eltern zunächst in Darmstadt, dann in Berlin, wo sie ausgerechnet in der NS-Propagandaausstellung Entartete Kunst die künstlerische Avantgarde kennenlernte. Sie verliebte sich sofort in Franz Marcs Blaues Pferd.

Lebenslange Narben

Von den Nazi-Gräueln und Kriegserfahrungen in ihrer Jugend trug sie "lebenslange Narben" davon, schreibt Rebecca Miller, Moraths Tochter aus der Ehe mit Arthur Miller, im bei Schirmer/Mosel erschienenen Ziegel von einem Katalog. Morath selbst sagte einmal, sie habe später nie Kriege fotografiert, aber immer wieder Flüchtlinge, an deren Schicksal sie die "entsetzlichen Folgen aller Kriege zeigen" konnte.

Die von Isabel Siben und Anna-Patricia Kahn (Inge Morath Estate) kuratierte Schau Inge Morath Homage im Kunstfoyer der Versicherungskammer-Kulturstiftung München ist als eine Art Best-of angelegt und schöpft aus dem Vollen legendärer Künstlerporträts und Bildreportagen. Man bleibt zunächst in New York, wo Morath Ende der 1950er Saul Steinberg porträtieren wollte: Der Karikaturist des New Yorker empfing sie mit über den Kopf gestülpter Papiertüte, auf die er seine eigene Karikatur gezeichnet hatte. Das heitere Spiel trieben die beiden fortan gemeinsam weiter, und es entstand jene Masken-Serie, die demnächst im Zentrum einer Schau im Rupertinum Salzburg steht.

Lernte Russisch

In München beschleicht einen derweil auch eine gewisse Nostalgie: Die Reportagen aus China, Iran oder Spanien sind auch Zeugnisse aus der großen Zeit des Bildjournalismus. Morath bereitete sich auf ihre Reisen akribisch vor, lernte unter anderem Russisch und Chinesisch und vertiefte sich in die Literatur der Länder, die sie besuchte.

Während der Dreharbeiten zu The Misfits entstanden Aufnahmen einer Marilyn Monroe fern vom Hollywood-Glamour und inszenierten Sex-Appeal. Am Filmset lernte Morath auch ihren damals noch mit Monroe verheirateten späteren Ehemann Arthur Miller kennen. Sie blieben bis zu Moraths Tod im Jahr 2002 ein Paar.

Ihre Mutter habe die "Anforderungen großer, fragiler Egos verstanden", so Rebecca Miller, selbst erfolgreiche Regisseurin. Zum großen Gespür für Menschen und Momente gesellte sich, wie sich auch in München schön zeigt, ein ausgeprägter Sinn für Bildkompositionen.

"Du Idiot"

Bis Morath in der Fotografie ihre Sprache fand, hat es allerdings eine Weile gedauert. Bei Magnum wertete sie zunächst die Kontaktbögen der männlichen Kollegen aus und schrieb Bildtexte. Anfang der 1950er-Jahre reiste sie nach Venedig (wo dieser Tage eine von Brigitte Blüml-Kaindl und Kurt Kaindl kuratierte Morath-Schau eröffnet wird). Es regnete. Aufgeregt rief Morath Robert Capa an und bat ihn, einen Fotografen zu schicken. Capa darauf: "Du bist ein Idiot", gefolgt vom Ratschlag: "Mach doch endlich einmal selbst ein Foto!" Der Rest ist Fotografiegeschichte. (Ivona Jelcic, 18.1.2023)