Soll es höhere Strafen für den Besitz von Kinderpornografie geben? Experten sehen dies eher als politischen Schachzug.
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Gerade als Vater machen ihn die "schrecklichen und grausamen Taten fassungslos, die in den letzten Tagen publik geworden sind", sagt Karl Nehammer (ÖVP). Nach dem Bekanntwerden der Anklage gegen Burgschauspieler Florian Teichtmeister, der tausende Missbrauchsdarstellungen von Kindern sammelte, fordert der Bundeskanzler schärfere Strafen. Derzeit seien diese "lächerlich" niedrig.

Umstrittene Maßnahme

Die Reaktionen auf den aktuellen Fall, der weit über die Kulturbranche hinaus für Entsetzen sorgt, sind nachvollziehbar. Doch sie folgen einem altbekannten Muster: Wenn erschreckende Taten öffentlich werden, lässt der Ruf nach höheren Strafen meist nicht lange auf sich warten. Eine schärfere Bestrafung scheint oft die einfachste und schnellste Möglichkeit zu sein, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Aber kann sie Straftaten überhaupt verhindern – und die Gesellschaft besser machen?

Eine gültige Antwort darauf hat die Rechtswissenschaft bis heute nicht gefunden. Unumstritten ist, dass Strafen im Wesentlichen zwei Zwecken dienen: der Spezialprävention und der Generalprävention. Strafen sollen verhindern, dass einzelne Täter eine Gefahr darstellen. Und sie sollen die Allgemeinheit abschrecken und so weitere Taten verhindern.

Was ist gerecht?

Ob das gelingen kann, ist unter Soziologinnen und Soziologen aber mehr als umstritten. Eindeutige Belege dafür gibt es nicht. "Es ist eine Illusion, zu glauben, dass durch eine Erhöhung der Strafdrohungen potenzielle Straftäter besser abgeschreckt werden", sagt Klaus Schwaighofer, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Innsbruck. "Zahlreiche Studien zeigen, dass strengere Strafen, wenn überhaupt, nur eine sehr geringe kriminalitätsvermindernde Wirkung haben."

Das plakativste Beispiel dafür ist die Todesstrafe in den USA: Die Mordrate ist dort nicht niedriger als in anderen Staaten – eher im Gegenteil. Umgekehrt sind es nicht hohe Strafen, die die Kriminalitätsrate in Skandinavien senken. Entscheidend sind andere Faktoren: etwa die Wahrscheinlichkeit, mit der Täter überführt werden, Bildung und nicht zuletzt Maßnahmen zur Prävention wie Therapien.

Angemessenes Strafausmaß

Dennoch erfüllen Strafen einen Zweck. Sie müssen "schuldangemessen" sein und dürfen keine "Bagatellisierung" der Tat zum Ausdruck bringen, erklärt Schwaighofer. "Wichtig ist, dass auf eine Normverletzung reagiert wird. Das ist für das Vertrauen in die Justiz unabdingbar. Und diese Reaktion muss als angemessen bzw. gerecht angesehen werden."

Aber was ist eigentlich "gerecht", und was gilt als "angemessen"? "Das ist eine unlösbare Frage", sagt Christian Grafl, Kriminologe an der Universität Wien. Jedes Strafgesetz versuche, eine Relation zwischen ganz verschiedenen Schutzgütern herzustellen und eine angemessene Lösung zu finden. Letztlich sind Strafrahmen aber das Ergebnis einer historischen Entwicklung, erklärt Schwaighofer. Wie schwerwiegend eine Tat eingeschätzt wird, hängt von politischen, religiösen und gesellschaftlichen Entwicklungen ab.

Politische Aktion mit Folgen

Für das Gerechtigkeitsgefühl sei jedenfalls wichtig, dass "Strafen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen", erklärt Grafl. Ob das durchgehend gelingt, ist fraglich. "Es wird immer wieder diskutiert, ob die Strafen für Sexualdelikte im Vergleich zu Vermögensdelikten zu niedrig sind", betont Veronika Hofinger, Rechtssoziologin an der Universität Innsbruck. Wer heute im großen Stil dealt oder einen Raub mit einer Schreckschusspistole begehe, werde mitunter acht Jahre eingesperrt. "Dass manche hier ein gewisses Ungleichgewicht sehen, ist verständlich", sagt Hofinger. "Aber alle länger einzusperren ist wohl nicht die Lösung."

Diesem möglichen Ungleichgewicht widmete sich in den Jahren 2015 und 2016 auch eine Arbeitsgruppe im Justizministerium. Die Folge war eine Reform, die das Verhältnis der Strafen zueinander veränderte. Eigentumsdelikte wurden durch die Erhöhung von Wertgrenzen leicht abgeschwächt, die Strafen bei Delikten gegen Leib und Leben und bei Sexualdelikten deutlich verschärft.

Im Fall von Teichtmeister sprach sich keiner der Fachleute, die DER STANDARD kontaktiert hat, explizit für eine Erhöhung des derzeitigen Strafmaßes aus, das je nach Alter der Opfer derzeit ein oder zwei Jahre Haft beträgt. "Die Forderung ist eine politische Aktion, mit der man zeigen will: Ich tue etwas", sagt Grafl. Das Argument, man müsse Strafen erhöhen, damit effektivere Ermittlungsmethoden erlaubt seien, lässt der Kriminologe nicht gelten. Zwar knüpft etwa die Zulässigkeit von Telefonüberwachungen an die Strafdrohungen an. Sie deshalb zu erhöhen bedeute aber, das Pferd von hinten aufzuzäumen.

Fachleute für Alternativen

Auch im Fall von Klimaklebern hatten die FPÖ und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) härtere Strafen gefordert. "Da zeigt sich schon das Problem", sagt Hofinger. "Zwei völlig unterschiedliche Phänomene werden mit einer simplen Antwort scheinbar gelöst, anstatt sich mit dem Thema auseinanderzusetzen." Das heiße aber nicht, dass es in Sachen Missbrauchsdarstellungen keinen Handlungsbedarf gebe. "Wichtig sind Therapieangebote, eine Erhöhung der Ausforschungswahrscheinlichkeit und der Schutz von Opfern", sagt Grafl. "Man muss an vielen Rädchen drehen." (Jakob Pflügl, Levin Wotke, 20.1.2023)