Die Opposition nimmt Johanna Mikl-Leitner ins Visier. Sie soll als Landeshauptfrau abgelöst werden.
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Und wieder steht Hans Peter Doskozil im Raum, auch in Niederösterreich. Gleich mehrfach steht er dort herum. Zum einen feiert Franz Schnabl, das ist der Parteichef der SPÖ in Niederösterreich, im Wahlkampf den burgenländischen Landeshauptmann als seinen Helden und sein Vorbild ab. Das ist insofern pikant, als Doskozil bekanntermaßen der Rivale der SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner ist. Doskozil ist überzeugt davon, dass er der bessere Parteichef und jedenfalls der aussichtsreichere Spitzenkandidat der SPÖ für die spätestens 2024 anstehende Nationalratswahl wäre – und die SPÖ eine große Chance vergebe, wenn sie das nicht auch so sehe und ihn an ihre Stelle hieve. Das ist eine offene Kriegserklärung in der Partei, und dieser Zwist dürfte mit ein Grund dafür sein, dass die SPÖ in den Umfragen von der FPÖ überholt wurde. Auf Bundesebene, aber auch auf Landesebene.

Schwankende Loyalität

Dass sich Schnabl jetzt so demonstrativ auf die Seite Doskozils schlägt, ist erstens eine Zumutung für die Parteichefin, deren Autorität weiter untergraben wird, und verschärft zweitens den innerparteilichen Konflikt, der von manchen genüsslich in der Öffentlichkeit zelebriert wird. Dass Schnabl hier mitspielt, kam für einige überraschend, aber auch wieder nicht. Zuletzt erweckte der niederösterreichische SPÖ-Chef geflissentlich den Eindruck, er stünde loyal an der Seite von Pamela Rendi-Wagner und wolle sie als Kanzlerin sehen. Manche sehen in dieser Flexibilität Schnabls aber auch einen seiner wesentlichen Charakterzüge. Tatsächlich gehört Schnabl zu jenen, die schon intensiv an Rendi-Wagners Stuhl sägten. Als sich Rendi-Wagners Standing in der Partei ein wenig verfestigte, deklarierte er sich schließlich als ihr Anhänger.

Doskozil ist aber auch aus einem ganz anderen Grund sehr präsent im niederösterreichischen Wahlkampf: Er ist der einzige SPÖ-Landeschef, der eine Koalition mit den gerade auch bei Sozialdemokraten überaus schlecht angeschriebenen Freiheitlichen eingegangen ist. Und genau davor warnt die ÖVP jetzt lautstark: Es drohe Rot-Blau (oder auch Blau-Rot) im Land. Und dieses Unheil gelte es mit allen Mitteln zu verhindern.

Glaubt das wer?

Es ist der eindeutige, vielleicht auch etwas patscherte Versuch, die eigene, etwas träg gewordene Anhängerschaft zu mobilisieren. Aber ist das denn glaubwürdig? Fürchtet tatsächlich irgendjemand in der Volkspartei ernsthaft, Johanna Mikl-Leitner könnte ihres Landeshauptfrausitzes beraubt werden? Landeshauptmann Franz Schnabl? Oder gar Landeshauptmann Udo Landbauer? Glaubt das wer?

Im Grunde nicht. Die ÖVP malt dieses Schreckgespenst sehr bewusst an die Wand, hält es aber für unwahrscheinlich, wenn nicht gar für unvorstellbar, dass Niederösterreich nicht mehr von der ÖVP regiert werden könnte.

Ganz auszuschließen ist es freilich nicht.

Die ÖVP wird am 29. Jänner mit großer Wahrscheinlichkeit ihre absolute Mehrheit verlieren. Höchste Zeit, sagen die Kritiker. Aber wie viel wird die ÖVP tatsächlich verlieren?

Viele Möglichkeiten

Laut Umfragen droht der ÖVP ein Verlust um die neun, vielleicht zehn Prozentpunkte, sie käme damit immer noch auf ein Ergebnis um die 40 Prozent. Hinter der ÖVP tut sich zunächst einmal lange nichts. Schwer vorstellbar, dass eine 25-Prozent-Partei den Landeshauptmann gegen eine 40-Prozent-Partei stellt. Aber ausgeschlossen ist das nicht. Dann nämlich, wenn die ÖVP ein bisschen mehr verliert und neben ihrer absoluten auch die Regierungsmehrheit verliert, was sich aufgrund des komplizierten Wahlsystems schwer an fixen Prozentzahlen festmachen lässt. Wenn SPÖ und FPÖ – oder auch nur eine der beiden Parteien – gehörig dazugewinnen, ist ein Verlust der Regierungsmehrheit nicht ausgeschlossen. Insgesamt gibt es neun Sitze in der Landesregierung, derzeit hält die ÖVP sechs. Verliert die ÖVP zwei Sitze, stünde es vier gegen fünf. Dann wäre auch eine Regierung gegen die ÖVP möglich, wenn sich die anderen Parteien zusammentun.

Der Trend zum fulminanten Wahlsieg scheint sich allerdings eher bei der FPÖ als bei der SPÖ zu manifestieren. In etlichen Umfragen hat die FPÖ die SPÖ überholt, in einer aktuellen Market-Umfrage, die DER STANDARD in Auftrag gegeben hat, werden ihr 24 Prozent ausgewiesen. In manchen anderen Umfragen liegt die FPÖ noch höher. Die SPÖ, die schon bei 29 Prozent lag, grundelt derzeit bei 22, vielleicht 23 Prozent herum, was sogar einem Minus entspräche. Da wird es schwierig, überzeugend den Landeshauptmannanspruch zu stellen.

Rein rechnerisch, wenn sich alle Trends verstärken, ginge sich eine Koalition gegen die ÖVP aus.

Erklärtes Ziel

Franz Schnabl hat jedenfalls ein erklärtes Ziel. Dieses lautet: Die ÖVP muss in Opposition. Und er selbst würde gerne Landeshauptmann werden. Darüber kann man lächeln. Diese Ansage heißt aber immerhin, dass Schnabl bereit wäre, mit der FPÖ zu koalieren, was wiederum einen schweren Verstoß gegen die SPÖ-Doktrin darstellen würde, die eine solche Koalitionsform ausschließt. Doskozil lässt grüßen.

Die Drohung mit einem Landeshauptmann Schnabl könnte aber auch nur ein Schachzug der SPÖ sein, um in Verhandlungen die ÖVP unter Druck zu setzen und ihr wichtige Ressorts bei der Besetzung der Landesregierung abzuknöpfen.

Und ein Landeshauptmann Landbauer? Kurz nachgedacht oder lange überlegt: eigentlich ausgeschlossen. Selbst wenn er mit knapp 30 Prozent deutlich vor der SPÖ liegt. Einen deklarierten Rechts-außen wie Landbauer zum Landeshauptmann zu machen, das hält die SPÖ nicht aus, nicht auf Bundesebene und nicht auf Landesebene. Da könnte Schnabl an keinem Tag glücklich werden, das geht sich nicht aus. Und laut Landesverfassung hat die drittstärkste Partei nicht einmal Anspruch auf einen Landeshauptmann-Vize.

Was denkbar ist

Eher noch wahrscheinlich wäre der Umstand, dass Landbauer die Unmöglichkeit dieses Vorhabens einsieht und Schnabl als Drittem den Vortritt lässt, nur um Mikl-Leitner zu verhindern. Was rechtlich möglich wäre. Aber eigentlich ist auch das undenkbar. Wie würde das ausschauen, wenn der Zweite den Dritten zum Landeshauptmann macht, um den Ersten zu verhindern? Das würde Niederösterreich nicht ertragen. Auch der Rest der Republik würde schwer daran kiefeln. Da ist es doch naheliegender, dass sich ÖVP und FPÖ zusammentun.

Aber allein dass diese Diskussion geführt wird, ist ein Sieg für den Rechts-außen-Stürmer Landbauer, der nicht nur wegen der Affäre um antisemitische und rassistische Texte in den Liederbüchern seiner Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt schon schwer angeschlagen war und eigentlich außerhalb dessen steht, was politischer Konsens sein sollte. Im Hintergrund reibt sich FPÖ-Chef Herbert Kickl die Händ. (Michael Völker, 23.1.2023)