Es war früher nicht alles besser, aber manches doch. Vor zwei, drei Jahren schien der Grundkonsens, dass alle Menschen gleich und Schutzbedürftige schützenswert sind, noch in greifbarer Nähe. Wenn man das Edelgestirn Adorno gefragt hätte, hätte er vermutlich geantwortet: "Mir nicht", aber wer fragt schon Verstorbene. Das ist sehr bedauerlich, weil die Übersterblichkeit durchaus ein Thema für diese gewesen wäre, hätte jemand darüber reden wollen. Innerhalb einer berauschend kurzen Zeit war es so, dass Menschen sich gleich mit Haut und Haar zu immunverschulden hatten. Einst alle für einen, einer für alle. Nun: Rette sich, wer kann. Pandemiemüde versus lebensmüde. Alles wurscht, Hauptsach’, vorbei!

So voll vorbei war die Pandemie in Davos offensichtlich nicht, aber manche Tiere sind gleicher.
Foto: EPA/ GIAN EHRENZELLER

So voll vorbei war die Pandemie in Davos offensichtlich nicht, aber manche Tiere sind gleicher. Von den Vulnerablen wird mittlerweile erwartet, dass sie entweder a) vorsorglich selbst zum Friedhof kriechen, um die immunstrotzende Restbevölkerung nicht zu belasten. Oder b) wenigstens still und ruhig in totaler Isolation ihrem Ende entgegenharren.

Sollten sie Kinder haben, die in Schulen ohne Tests, Luftfilter und sonstige Schutzvorkehrungen geschickt werden, verkürzt sich einfach die Zeitleiste von a) zu b). Aber die Freiheit der anderen, sich c) zu infizieren und vielleicht d) selbst vulnerabel zu werden, bleibt immerhin unangetastet! Bis d) zu a) oder b) wird. Ein tragisches Alphabet. (Julya Rabinowich, 23.1.2023)