Im Gastblog beschreibt der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer, auf welchen Ebenen im Falle einer Scheidung kommuniziert werden kann, wenn eine Mediation stattfindet.

Prozentsätze von 33, 40 und anderen Höhen geistern nebelgleich durch den Raum, sobald in der Scheidungsmediation die Frage des nachehelichen Unterhalts angesprochen wird. Neben Fragen der Obsorge, der Kindesbetreuung, des Kontaktrechts und des Kindesunterhalts sind die Zahlungen an den zukünftigen Ex-Partner oder die zukünftige Ex-Partnerin oftmals der größte Knackpunkt im Rahmen einer Scheidung. Welche Möglichkeiten, welche Ansätze gibt es hier in der Wühlkiste der Mediation?

Der nacheheliche Unterhalt

Im Gegensatz zur strittigen Scheidung bietet die einvernehmliche Scheidung die Möglichkeit, die Zahlungen, welche nach Rechtskraft der Scheidung von A nach B fließen, frei zu vereinbaren. Auch ist die Schuldfrage kein notwendiges Kriterium zur Bestimmung des Unterhalts. Dennoch, so ganz bleibt auch die Frage bezüglich geschehener Verletzungen, erlebter Kränkungen und enttäuschter Hoffnungen nicht aus, sie ist vielmehr wichtiger Bestandteil der Mediation, gerade bezüglich der Unterhaltsdiskussion.

Bedürfnisse statt Prozente

Während die diversen Rechenprogramme des Internets zwar die entsprechenden Prozentberechnungen korrekt bewältigen, so bleibt dennoch manchmal die Frage nach der Unterhaltsbemessungsgrundlage ein Feld der Diskussion. Es ist logisch, dass die simple Berechnung Monat x 14/12 (der Einfachheit halber wird oft der monatliche Nettolohn als Bemessungsgrundlage hochgerechnet) schon alleine aufgrund der unterschiedlichen Besteuerung nur eine Annäherung an die letztgültige Unterhaltspflicht bedeuten kann, doch wachsen die meisten Unterhaltskonflikte nicht auf dem Boden mangelnder Prozentrechnungskünste, sondern werden eher durch die Unterstellung inkorrekter Unterhaltsbemessungsgrundlagen gedüngt.

In der Mediation bei einer Scheidung wird Raum geschaffen, um die Bedürfnisse beider Seiten zu artikulieren.
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In der Beratungs- und Mediationspraxis entstehen die meisten Konflikte dadurch, dass die Angaben zum Jahreszwölftel, welche die Grundlage für den Unterhaltsanspruch bilden, angezweifelt werden. Entweder soll mehr gearbeitet werden, um die Bemessungsgrundlage zu erhöhen, oder es wird unterstellt, dass die eine oder andere Einnahme (Boni, Mieteinnahmen etc.) nicht in die Berechnung einfließen. Hier ein gerichtliches Verfahren anzustrengen, bedeutet neben dem Ende der Gesprächsbasis oftmals schlicht eine Kostenlawine.

Verlassen wir aber den Weg der reinen Mathematik und blicken auf die in der Mediation so oft erwähnten zugrundeliegenden Bedürfnisse, so entziehen wir dem Konflikt schnell seinen Nährboden. Welche Bedürfnisse stehen also hinter dem Wunsch nach nachehelichem Unterhalt? In der Regel fallen hier Stichworte wie Absicherung, Zukunftsangst, Gerechtigkeit und Wertschätzung. Und jeder einzelne dieser Begriffe ist natürlich uneingeschränkt gerechtfertigt und nachvollziehbar.

Absicherung in unsicheren Zeiten ist ein nur zu verständlicher Wunsch, die Angst vor der unbekannten Zukunft scheint in der heutigen Zeit präsenter denn je. Schlagworte wie "Moral" oder "Gerechtigkeit" werden in der Regel als Vorwurf genutzt, sobald das Verhalten des Gegenübers diesem Maßstab nicht gerecht zu werden scheint, haben daher in der Unterhaltsdebatte nicht immer nur produktiven Charakter. Verstehen wir aber die der Unterhaltsforderung zugrundeliegenden Bedürfnisse, so ist es einfacher, eine entsprechende Lösung zu finden.

Bedingungen, Befristungen statt Lebenslang

Während in vielen Scheidungsurteilen von einem unbefristeten, also mehr oder weniger lebenslangem Unterhalt die Rede ist, bietet die einvernehmliche Scheidung die Möglichkeit, eine individuelle und den Bedürfnissen angepasste Lösung zu definieren. Statt "A zahlt an B einen monatlichen Unterhalt von 400 Euro, wertgesichert am VPI, einlangend am Fünften des Monats" könnten beispielsweise Formulierungen wie: "ab Rechtskraft der Scheidung bis zur Aufstockung der Arbeitsstunden, jedoch längstens bis zum 31.12. 20XX" gefunden werden. Dem logischen Argument, dass so die Stundenaufstockung unattraktiv wirken könnte, würde ein Beisatz entgegenwirken, dass die Unterhaltszahlungen bei Mehrarbeit nicht zur Gänze entfallen, sondern nur teilweise reduziert werden, sodass die Stundenaufstockung für alle Parteien eine Win-win-Lösung böte.

Man könnte also beispielsweise über eine Formulierung wie "der nacheheliche Unterhalt endet jedenfalls mit dem xx.xx.xxxx. Sollte B davor eine Arbeit aufnehmen/Stunden aufstocken, so reduziert sich der zu leistende Unterhaltsbetrag um x Prozent", sodass für die unterhaltsberechtigte Partei kein Nullsummenspiel entsteht.

Die Frage der Entschuldigung

Natürlich ist Geld die Währung der Welt. Natürlich werden die Gegenstände und Dienstleistungen nicht in Emotionen abgegolten, sondern vielmehr in barer Münze – und doch besteht ein enger Zusammenhang zwischen Emotionen und so manchem Aspekt des nachehelichen Unterhalts. Oftmals scheint es, dass die Höhe des Unterhalts auch ein wenig synonym für die empfundenen Kränkungen, die erlittenen Verletzungen oder die beweinten Enttäuschungen steht. Abgesehen davon, dass es aus Sicht der Mediatorin oder des Mediators ohnehin nahezu unabdinglich ist, auch jene genannten Emotionen zu adressieren, so hat die Art und Weise, wie hier argumentiert wird, oftmals wesentlichen Einfluss auf die Unterhaltsdiskussionen.

Mit anderen Worten: Es ist nachvollziehbar, dass eine Entschuldigung hinsichtlich der verursachten Kränkungen oder schlicht die zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung für die schönen Zeiten auch wesentlichen Einfluss auf entweder die Höhe der Unterhaltsleistungen oder zumindest deren Modalitäten haben kann. So wird wohl eine unversöhnliche Blockadehaltung zu einer strikten Forderung nach dem maximal erzielbaren Unterhalt führen, während eine wertschätzende Anerkennung der positiven Zeiten möglicherweise auf ein "Leben und leben lassen" hinauslaufen könnte.

Und doch zahlt es sich aus

A und B wollen sich scheiden lassen. Zu tief sitzt die Kränkung, die ein Streit über grundsätzliche Beziehungsthemen verursacht hat. Nachdem A die Stunden im Job nach Rücksprache mit B vor Jahren deutlich reduziert hatte, um am gemeinsamen Hof besser mithelfen zu können, benötigt A nun für gewisse Zeit einen nachehelichen Unterhalt als Starthilfe. Erst beginnt die Diskussion verbittert, die Enttäuschung hinsichtlich des gescheiterten Lebensplanes sitzt noch zu tief, doch gelingt es der Mediatorin durch geschickte Fragetechniken sowie einer Veränderung der Sitzordnung, das vorwurfsvolle Klima aufzulösen.

Als nun B auf jenem Platz sitzt, den zuvor A innehatte, gelingt es B, sich besser in A's Gefühlswelt hineinzuversetzen. Nach einer sehr emotionalen Entschuldigung für die verursachten Kränkungen scheint das Eis gebrochen. Beide einigen sich dahingehend, dass der nacheheliche Unterhalt nicht nur zeitlich begrenzt, sondern auch durch die Aufnahme einer Vollzeitarbeit auflösend bedingt wird. Darüber hinaus wird vereinbart, dass ein Teil der Zahlungen als Einmalzahlung an A fließt, während der andere Teil in kleinen monatlichen Zahlungen geleistet wird.

Ausgleichszahlung statt monatlicher Betrag

Die einmalige Ausgleichszahlung stellt eine durchaus sinnvolle Alternative zur monatlichen Leistung des nachehelichen Unterhalts dar. Einerseits kommt es hier nicht zu einer oftmals langjährigen weiteren Verbindung der Ex-Eheleute, die im Extremfall auch zu einer Überprüfung der Einkommensverhältnisse der zahlenden Seite oder der Lebensverhältnisse der empfangenden Person (eine eingegangene Lebensgemeinschaft lässt die Zahlungspflicht von Leistungspflichtigen ruhen) führen kann.

Des Weiteren ist gerade bei der Gründung eines neuen Wohnstandes eine einmalige Zahlung von großer Hilfe, da beispielsweise die Kosten für Kaution und Provision, Übersiedlung und Neuanschaffung von Einrichtungsgegenständen das vorhandene Budget durchaus strapazieren können. Andererseits ist zu bedenken, dass eine einmalige Leistung im Rahmen einer Ausgleichszahlung beispielsweise hinsichtlich des Anspruches auf Hinterbliebenenpension nicht ins Treffen geführt werden kann.

Statt Vergangenheit in die Zukunft

Die Unterhaltsbemessungsgrundlage liegt in der Vergangenheit. Wie anders sollte man denn die Berechnungen der zustehenden Prozente anstellen? Jedoch liegen auch die Verletzungen, Kränkungen und Enttäuschungen in der Vergangenheit begraben, und sind so zumindest zeitlich mit der Unterhaltsberechnung verknüpft. Eine alternative Herangehensweise wäre, sich nicht auf Berechnungsprogramme und althergebrachte Judikatur zu stützen, sondern schlicht eher die eigene Situation, die eigenen Möglichkeiten und Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen.

Welchen Betrag brauche ich in der näheren Zukunft, um mein Leben auf eigene, neue Beine stellen zu können? Muss es wirklich eine monatliche Leistung sein, oder hilft eine einmalige Zahlung nicht weit mehr im Aufbau einer selbständigen Existenz? Auf der Seite der unterhaltsleistenden Person stellen sich dann weniger die Fragen nach der Optimierung der Unterhaltsbemessungsgrundlage, sondern schlicht nach den Möglichkeiten, den Neustart und so auch die Abkoppelung der Ex-Partnerin oder des Ex-Partners zu fördern.

Unterhalt als Lackmustest

Die Frage des nachehelichen Unterhalts wird oftmals zum Lackmustest der Konsensbereitschaft. Schaffen es die scheidungswilligen Personen, sich hier auf eine Lösung zu einigen, die den Bedürfnissen beider Parteien gerecht wird, so ist neben den "Kinderthemen" ein sehr großer und wichtiger Schritt zur gelungenen Scheidung getan. (Ulrich Wanderer, 1.2.2023)