Georg Hackl (rechts) bastelt mit David Gleirscher an einem österreichischen Schlitten herum.

Foto: ÖRV/Wilhelm

Das österreichische Trainerteam.

Foto: ÖRV/Wilhelm

Hackl bei seiner früheren Arbeit mit Landsmann Felix Loch. Oder: Der dreifache Olympiasieger arbeitet mit dem dreifachen Olympiasieger.

Foto: imago sportfotodienst/Schiffmann

Nachdem Österreichs Rodelteam Anfang Dezember in Innsbruck-Igls alle acht Rennen gewonnen hatte, sprach der deutsche Sportinformationsdienst gleich von einer neuen Hack(l)ordnung. Der Grund: Georg Hackl. In den 1990ern wurde der Bayer dreimal Olympiasieger, danach sorgte er als Trainer für Start- und Schlittentechnik für Serienerfolge. Im Sommer wechselte er zum österreichischen Verband. Der 56-Jährige sieht sein Engagement als langfristiges Projekt. Großes Ziel: Olympia 2026. Ab Freitag steht zunächst die WM in Oberhof an. In Bayern sagt man übrigens "der Rodel".

STANDARD: Acht Siege beim ersten Weltcup in Innsbruck, bei der EM in Sigulda zuletzt aber keine Medaille. Wie lautet Ihr bisheriges Saisonfazit?

Hackl: In Innsbruck haben wir Geschichte geschrieben. Wir konnten uns dort super vorbereiten. Das ist unsere Heimbahn. In Kanada und den USA konnten wir diese Euphorie nicht halten. Wir haben viele junge Sportlerinnen und Sportler dabei, die die Bahnen in Übersee noch nicht so gut kennen. Zudem hat unser Rodel bei kalten Temperaturen nicht ideal performt. In Sigulda kamen Fahrfehler dazu, die das Team verunsichert haben.

STANDARD: Was sind die WM-Ziele?

Hackl: Wir wollen die eine oder andere Medaille erringen. Man braucht sich aber nichts vormachen: Die Deutschen werden dominieren. Die kennen die Bahn am besten, sind dort aufgewachsen.

STANDARD: Deutschland dominiert seit Jahren den Rodelsport. Warum?

Hackl: In Deutschland gibt es vier Bahnen und fünf Stützpunkte. Man hat einen Pool an Nachwuchsfahrern, aus dem nur die ganz Besten nach oben kommen. Und sie entwickeln das Material intensiv weiter. Da hab ich ja mitgemacht.

STANDARD: Klingt wie das Rodelparadies. Warum sind Sie gewechselt?

Hackl: Ich habe die sogenannte Trainingsgruppe Sonnenschein in Berchtesgaden mit Natalie Geisenberger, Felix Loch, dem Doppelsitzer Tobias Wendl / Tobias Arlt und Julian von Schleinitz von den Junioren an übernommen. Ich habe mit ihnen alles gewonnen, was man gewinnen kann – mehrmals. Der Kuchen war irgendwie fertig. Man braucht mich dort nicht mehr unbedingt. Tatsächlich war ich aber nie auf der Suche nach einer neuen Betätigung. Ich wurde aber von den Österreichern wiederholt angefragt. Ihr Angebot hat mich schließlich sportlich gereizt. Es ist lukrativ und verschafft mir auch mehr Freizeit.

Hackl und die siebenfache Olympiasiegerin Natalie Geisenberger.
Foto: imago/Sammy Minkoff

STANDARD: Die Materialentwicklung im Rodeln ist eine Hightech-Angelegenheit. Welche Unterschiede gibt’s da in den Verbänden?

Hackl: In Deutschland habe ich von früh bis spät selbst gebastelt. Das hat seine Grenzen. Es gibt das staatliche Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten. Da fließt viel Geld rein, aber die Prozesse sind träge. Der österreichische Verband hat Partner in der freien Wirtschaft. Die sind gewohnt, schnell zu reagieren. Wenn ich Ersatzkufen brauche, habe ich die eine Woche später. Ein Anruf genügt. Das ist der große Vorteil. Österreich arbeitet effizient.

STANDARD: Wie ist das mit dem Konkurrenzdruck? In Deutschland wurde hin und wieder kritisiert, dass Ihr Stützpunkt Materialgeheimnisse nicht geteilt haben soll.

Hackl: Das ist ein leidiges Thema. Die Stützpunkte konkurrieren untereinander teilweise so stark, dass das in eine persönliche Konkurrenz ausartet und Geheimnisse nicht weitergegeben wurden. In Österreich reden alle offen miteinander. Jeder gönnt dem oder der anderen den Erfolg. Es ist eine sehr angenehme Atmosphäre.

STANDARD: Wie entwickelt man Material weiter? Sucht man den großen Wurf – oder geht’s mehr um Details?

Hackl: Viele Ideen entstehen aus Versuch und Irrtum. Ein großer Wurf wäre eine Goldgrube, aber letztlich geht es immer um die optimale Einstellung auf Wetter-, Eis- und Bahnbegebenheiten. Man probiert viel aus, redet viel mit den Sportlern und Ingenieuren. Wenn es so wie in Sigulda nicht läuft, beschäftigt mich das rund um die Uhr. Man muss hartnäckig sein. Das zeichnet mich aus.

STANDARD: Woher kommt diese Hartnäckigkeit?

Hackl: Die Hartnäckigkeit resultiert aus der Freude und der Leidenschaft, mit der man diese Sache betreibt, und aus der Erfahrung, dass es am Ende doch immer wieder zum Ziel geführt hat.

Für Deutschland holte Hackl fünf Olympiamedaillen: Gold 1992, 1994 und 1998 sowie Silber 1988 und 2002.
Foto: imago sportfotodienst//Ulmer

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, Österreich und Deutschland fahren komplett andere Schlittensysteme. Was meinen Sie damit?

Hackl: Von der grundsätzlichen Wirkungsweise ist jeder Rodel gleich. Das Regelwerk gibt ja viel vor, etwa die Form der Kufen. Aber man hat Spielräume. Die Aufhängung der Sitzschale ist etwa in Deutschland durch definierte Stahlbügel und Gummigelenke, die die Bewegung des Schlittens ermöglichen, realisiert. Beim österreichischen Schlitten ist das quasi mit einem Stück Feuerwehrschlauch gelöst. Beides funktioniert – mit unterschiedlichen Eigenschaften. Wenn man einen Rodelschlitten von außen betrachtet, ist er eigentlich ein einfaches Gerät. Aber: Je einfacher ein System ist, umso wichtiger sind die einzelnen Komponenten. Aber letztlich hängt alles vom Fahrer ab. Jeder hat gute und schlechte Tage. Ein gutes Ergebnis kommt nur zustande, wenn alles zusammenpasst.

STANDARD: Sie sind auch Starttechniktrainer und geben Infos von der Strecke weiter. Sehen Sie immer sofort, warum jemand langsam ist?

Hackl: Nein. Das sind immer die schlimmsten Momente, wenn man ratlos ist. Aber passen Sie auf: Ich bin seit 40 Jahren im Rodelsport und versuche tagtäglich, Rätsel zu lösen. Es sind tatsächlich noch nicht alle gelöst. Wenn jemand sagt, er hat den vollen Durchblick, muss ich müde lächeln. Das ist unmöglich. Aber das Puzzle ist für mich fertiger geworden mit der Zeit.

STANDARD: Wie hat sich der Rodelsport geändert seit Ihrer aktiven Zeit?

Hackl: Das Material hat sich weiterentwickelt, aber auch die Athletik. Die Schlitten werden immer schneller, aber sie sind auch beherrschbarer geworden. Die Helme sind sicherer, das Medien- und Sponsoreninteresse hat sich positiv entwickelt.

STANDARD: Und negativ?

Hackl: Die Präsenz in sozialen Medien ist teils wichtiger als die sportliche Leistung. Sportler müssen ständig um Aufmerksamkeit buhlen. Diesen Wettlauf um Klicks gab es früher nicht. Aber das kann man nicht mehr aufhalten. Das ist ja überall so. Menschen wollen keinen ernsthaften Beruf mehr ergreifen, sondern Influencer werden. Das finde ich befremdlich.

STANDARD: Auch der Klimawandel beschäftigt die Menschheit. Die Bahn in Königssee wurde durch ein Unwetter zerstört. Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft des Wintersports?

Hackl: Der Wintersport ist da meine geringste Sorge. Den wird es an bestimmten Orten in der Zukunft nicht mehr geben. Die Klimaerwärmung trifft unseren gesamten Globus. Das sorgt mich. Viele Menschen sehen dies nur als periphere Erscheinung. Aber die Lage ist ernst, man muss nur auf die wissenschaftlichen Zahlen schauen: Der Kohlenstoffgehalt in der Atmosphäre und die globale Durchschnittstemperatur steigen mit dem Faktor 100 schneller als jemals in der Erdgeschichte zuvor. Das wird alle treffen. Dagegen müssen wir etwas tun.

Georg Hackl und ÖRV-Präsident Markus Prock. Die früheren Rivalen arbeiten nun zusammen.
Foto: APA/EXPA/ERICH SPIESS

STANDARD: Ihr ÖRV-Vertrag läuft bis 2026. Olympia ist das große Ziel. Wie würden Sie Erfolg in Ihrer ÖRV-Ära definieren?

Hackl: Sportliche Ergebnisse kann man nicht vorhersagen, und das werde ich auch niemals tun. Dafür kann zu viel passieren im Sport. Man kann haushoher Favorit sein und scheitern. Man kann aber auch einen Überraschungserfolg erzielen. Meine Aufgabe ist es, die Möglichkeiten unserer Sportler zu verbessern. Ich möchte meine Erfahrung einbringen. Aber es dauert, bis das fruchtet.

STANDARD: Und nach 2026?

Hackl: Das ist offen. Ich kann mir vorstellen, dass ich in Österreich noch weitermache, wenn man mich braucht. Aber vielleicht gehe ich auch in meinen Heimatort zurück und kümmere mich dort um die Nachwuchsarbeit. Oder ich berate den internationalen Rodelverband. Nur eines kann ich mir nicht mehr vorstellen: die lückenlose Präsenz im Winter. Dass ich die volle Vorbereitung und alle Wettkämpfe begleiten werde. Das habe ich jetzt 40 Jahre gemacht. Man kommt teilweise nur einen Tag für einen Wäschewechsel nach Hause und ist dann sofort wieder unterwegs. Mit 60 möchte ich das nicht mehr machen. Ich habe mein ganzes Leben lang meine volle Lebensenergie in den Rennrodelsport investiert. Irgendwann muss man mehr auf sein persönliches Privatleben schauen. Deshalb war das Angebot aus Österreich so interessant, weil ich jetzt in Summe im Sommer mehr Freiräume habe. Und nach Olympia möchte ich die auch mehr im Winter haben.

STANDARD: Sie sind auch neunfacher Wok-Weltmeister. Werden Sie Österreich auch helfen, bei einer möglichen Neuauflage der Wok-WM erfolgreich zu sein?

Hackl: Persönlich werde ich nicht mehr teilnehmen. Aber wenn mich jemand um meine Expertise fragt, kann ich mir vorstellen, dass ich helfe. (Interview: Andreas Gstaltmeyr, 27.1.2023)