Kennen sich im Innenministerium bestens aus: Ex-Minister Wolfgang Sobotka, Ex-Kabinettsmitarbeiterin Klaudia Tanner, Ex-Ministerin Johanna Mikl-Leitner und Minister Gerhard Karner (alle ÖVP).
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Der Kanzler, seine Frau und drei Ministerinnen. Der Nationalratspräsident. Der Ex-Kanzler. Die Landeshauptfrau von Niederösterreich. Mehrere Kabinettschefs und Landesräte: Sie alle machten einst im Innenministerium halt. Zählt man den derzeitigen Ressortchef Gerhard Karner dazu, verbrachte die Hälfte der aktuellen schwarzen Ministerriege Stationen ihrer Karriere im Innenministerium.

Mächtiges Ministerium

Das Netz des BMI zieht sich durch ganz Österreich, kein anderes Ressort hat einen derartigen Schwall an Spitzenpersonal für die ÖVP produziert. Kein anderes Ressort wurde so zum Zankapfel, als es während Türkis-Blau einmal kurz nicht in Händen der Volkspartei war. Und kein anderes Ressort tauchte in den vergangenen zwei Jahrzehnten derartig häufig im Fokus von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen auf – da kann selbst das Verteidigungsministerium mit seiner Eurofighter-Beschaffung nicht mithalten.

Wie konnte sich so viel Macht im Palais Modena in der Wiener Herrengasse sammeln – und warum ist das Innenministerium für die Volkspartei so wichtig?

Eine Blaupause für das System ÖVP

Als Ernst Strasser am 4. Februar 2000 angelobt wird, steht zum ersten Mal seit knapp dreißig Jahren kein SPÖ-Politiker dem Innenministerium vor. Er wolle als "erster Diener" den "tausenden Mitarbeitern" helfen, sagt Strasser damals. Der neue Minister ist zwar in Oberösterreich geboren worden, seine politische Sozialisierung erfolgte aber in Niederösterreich, wo er zuletzt Klubobmann der ÖVP war. Seither ist auch das größte Bundesland untrennbar mit dem Innenministerium verbunden.

Unter Strasser wird das Ressort beispiellos ein- und umgefärbt. Dafür nutzt er die Strukturreform, mit der Gendarmerie und Polizei zusammengelegt werden. E-Mails werden später dokumentieren, wie bis hin zu Postenkommandanten in kleinen Orten parteipolitische Präferenzen den Ausschlag für Personalentscheidungen geben. Die ÖVP bezeichnet das durchaus zynisch als System Rot-Weiß-Rot. "Ernst Strasser sorgt dafür, dass in das Innenministerium ein wenig andere Farbe kommt und es endlich ein ‚rot-weiß-rotes Ministerium‘ wird", sagt ein damaliger Abgeordneter.

Personalentscheidungen mit Folgen

Ein Opfer der Umfärbungen: Franz Schnabl, damals Generalinspektor der Sicherheitswache. Er sollte einen Karrieredämpfer erleiden, dagegen Berufung einlegen und schließlich zu Frank Stronachs Magna wechseln – dieses Wochenende steht Schnabl als SPÖ-Spitzenkandidat in Niederösterreich zur Wahl.

Untrennbar mit diesen Personalentscheidungen verbunden ist Michael Kloibmüller. Der ehemalige Gendarm arbeitet sich später zum Kabinettschef hoch, er wird dem Haus bis ins Jahr 2018 verbunden bleiben. Außerdem schon damals im Kabinett Strasser: Klaudia Wallner, die nun Tanner heißt und Verteidigungsministerin ist, sowie Gerhard Karner, nun selbst Innenminister.

Im Innenministerium lernen ÖVP-Politikerinnen und ÖVP-Politiker jedenfalls, wie man mehr oder weniger subtil die öffentliche Verwaltung mit Parteifreunden flutet. Das zeigten zuletzt auch die öffentlich gewordenen Chats von Kloibmüller, etwa mit der früheren Ministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) oder mit Wolfgang Sobotka (ÖVP). Rund um Postenvergaben in seiner Zeit als Innenminister läuft gegen den jetzigen Nationalratspräsidenten derzeit ein Ermittlungsverfahren (Sobotka bestreitet die Vorwürfe, und es gilt die Unschuldsvermutung). Greco, die Staatengruppe gegen Korruption, mahnt in ihrem aktuellen Report ein, dass sich die Politik bei Postenvergaben im Innenministerium heraushalten müsse. Immer wieder sei in Gesprächen mit Vertretern österreichischer Institutionen die Parteipolitisierung des Innenministeriums beklagt worden.

Fremdenrechtliche Knaller

Das Innenministerium spielt für die ÖVP auch strategisch eine enorm wichtige Rolle: Es soll dazu dienen, die Flanke nach rechts abzusichern. "Ich glaube, wir müssen wieder (ein, Anm.) paar fremdenrechtliche Knaller vorbereiten :-))": Das schrieb Stefan Steiner, damals wichtigster Berater von Sebastian Kurz, im Herbst 2016 an Kabinettschef Kloibmüller.

Immer wieder wird das Innenministerium dazu benutzt, "Härte" zu zeigen, bis hin zur Abschiebung von Kindern. "Ich habe nach den Gesetzen vorzugehen, egal, ob mich Rehleinaugen ansehen oder nicht", sagte Innenministerin Maria Fekter im Jahr 2009 nach einem monatelangen Streit rund um die Abschiebung der gut integrierten Jugendlichen Arigona Zogaj. Obwohl der Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit eines humanitären Bleiberechts betont hatte, wurde Zogaj abgeschoben; mittlerweile lebt sie legal in Österreich.

Asyl, Migration und Corona-Maßnahmen

Ähnliches trug sich mehr als ein Jahrzehnt später zu, als unter Innenminister Karl Nehammer die junge Tina nach Georgien abgeschoben wurde – das war rechtswidrig, stellte das Bundesverwaltungsgericht später fest. Asyl und Migration bleiben jedenfalls das große Thema, mit dem die ÖVP punkten will – und als Bühne dafür wird das Innenministerium genutzt.

Das trifft auch auf andere Bereiche zu, man nehme etwa die Corona-Maßnahmen. Zuerst sprach der damalige Innenminister Karl Nehammer von "Lebensgefährdern", die sich nicht an Maßnahmen hielten. Als die Stimmung umschlug, wurden Corona-Demos von der Polizei sehr zurückhaltend kontrolliert und begleitet.

Augen und Ohren der ÖVP

Das Innenministerium bietet natürlich nicht nur symbolische, sondern auch reelle Macht. Im Budget gehören Ausgaben für die Innere Sicherheit zu den größten Posten – vereinfacht gesagt erhält die Polizei mehr als das Bundesheer. Das Innenministerium verteilt viel Steuergeld mit Inseraten, hat ein breites Netzwerk an Fonds und Vereinen, kostspielige Beschaffungsvorgänge und vertraut regelmäßig externen Beratern – und da meist jenen, die früher selbst im Innenministerium tätig waren.

Die vielen Behörden des Innenministeriums seien aber auch die Augen und Ohren der ÖVP, wie zumindest die Opposition glaubt. Regelmäßig werden Vorwürfe laut, dass Ermittlungen parteipolitisch gesteuert werden – die Aufklärung der ÖVP-Schredderaffäre sei zum Beispiel durch einen Polizisten, der lokal für die ÖVP kandidiert habe, torpediert worden, behauptete die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. In den vergangenen zwei U-Ausschüssen haben sich SPÖ, FPÖ und Neos da vor allem auf das Bundeskriminalamt und deren neuen Direktor Andreas Holzer eingeschossen – der Verlag des früheren Grünen-Politikers Peter Pilz musste nach einer Klage von Holzer sogar Pilz’ Buch zurückziehen.

Verhängnisvolle Chats

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) ist laut Opposition jahrelang parteipolitisch instrumentalisiert worden. Das gilt als eines der Motive dafür, warum das Umfeld des damaligen Innenministers Herbert Kickl die Ermittlungen der WKStA gegen hochrangige BVT-Mitarbeiter vorantrieb. Deren Razzia im Verfassungsschutz sorgte langfristig für das Ende des Amtes, das nun ja in die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) umgewandelt wurde.

Aber auch abseits der großen Behörden wie Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK), Bundeskriminalamt (BKA) und Verfassungsschutz fließen Informationen. Die Chats aus dem Kloibmüller-Handy zeigen, wie oft Vorfälle im Sicherheitsbereich bis ganz nach oben gemeldet werden. Sei es ein Polizeieinsatz rund um einen betrunkenen Politiker einer anderen Partei oder eine Geschwindigkeitsübertretung des Kanzler-Chauffeurs – immer wieder finden solche Geschichten dann ihren Weg in den Boulevard.

Koalitionsbedingung

All diese Faktoren sorgen dafür, dass die ÖVP das Innenministerium auch in künftigen Regierungen mit Zähnen und Klauen verteidigen wird. Dass das Ressort unter Türkis-Blau der FPÖ überlassen worden war, wird mittlerweile in der ÖVP als historischer Fehler gesehen – und das weniger wegen Kickls Handlungen und politischer Inhalte als wegen des Kontrollverlusts der eigenen Partei.

Allerdings hält sich ein böses Gerücht: nämlich dass es dem Team Kurz 2017 gar nicht so unrecht war, den äußerst potenten tiefschwarzen Apparat im Innenministerium mithilfe der FPÖ durchzuschütteln – so habe man immerhin einen fremden Machtfaktor in der eigenen Partei dezimieren können.

Enge Verflechtungen

Jetzt ist für die ÖVP jedenfalls wieder alles gut: Mit Gerhard Karner wurde ein Minister gefunden, der nicht besser in Niederösterreich verwurzelt sein könnte und das System im Palais Modena von der Pike auf gelernt hat. Noch dazu stellt das Innenministerium gewissermaßen den Kanzler, sammelte Karl Nehammer ja Regierungserfahrungen als Innenminister. Zuvor, unter Wolfgang Sobotka, war dort auch seine Frau Katharina Nehammer tätig, und zwar in dessen Kabinett. Sie gilt als enge Beraterin ihres Mannes. Und auch sein offiziell engster Mitarbeiter, Kabinettschef Andreas Achatz, kommt aus dem Haus: Er war Sektionschef und im Ministerkabinett. (Fabian Schmid, 281.2023)