Wissen Sie, um was es hier geht?

Foto: Stefan Mey

Le$bean, Ouid and the Vid – klingt kryptisch? Soll es auch. Dies sind Beispiele für "Algospeak", eine Sprache, die in Social Media immer populärer wird. Der Algorithmus von Tiktok und anderen Plattformen kann Inhalte von Userinnen und Usern so platzieren, dass diese möglichst viel Reichweite bekommen. Ebenso kann er jedoch dafür sorgen, dass Beiträge gar nicht erst gezeigt werden. Um den Algorithmus nicht zu verärgern, haben sich Nutzerinnen so einen neuen Schreibstil einfallen lassen, mit dem sie die Filterfunktionen der Plattformen umgehen können.

Follower ungleich Reichweite

Viele Follower zu haben garantiert in Social Media noch keine Sichtbarkeit. Zwar hat bisher keines der großen Social-Media-Unternehmen seine Algorithmen öffentlich gemacht. Doch beobachtet man jenen Content, der in Social Media Erfolg hat, lassen sich durchaus Rückschlüsse darauf ziehen, was der jeweilige Algorithmus mag – oder eben nicht. Interaktionen wie Likes oder Shares tragen üblicherweise dazu bei, dass Content erfolgreich wird. Dabei bedingen sich Reichweite und Popularität des Inhalts gegenseitig: Mehr Likes bedeuten eine bessere Platzierung – eine bessere Platzierung bedeutet aber auch mehr Likes.

Inhalte zu polarisierenden Themen wie Politik oder Sexualität hingegen strafen die Apps immer häufiger mit "Shadowbans" oder sofortigem Löschen der Inhalte ab. Dies äußert sich, indem der gepostete Inhalt nicht mehr öffentlich sichtbar ist, sondern nur noch für die Userin, die es hochgeladen hat. Offiziell informiert werden Userinnen und User über einen "Shadowban" in der Regel nicht. Vielmehr merken sie, dass ihre Reichweite geringer ist als zuvor oder dass ihr Account nicht mehr oft in den Feeds ihrer Follower aufscheint.

Doch kreativ, wie sie ist, hat die Internet-Community einen Weg gefunden, diese unsichtbaren Verbannungen zu umgehen. Mit teils absurden Umschreibungen und Wortschöpfungen werden besonders heikle Schlagwörter deswegen in "Algospeak" übersetzt.

Im Rhythmus der sozialen Netzwerke

Algospeak ist kurz für "Algorithmus-Sprache". Geprägt wurde das Wort von der Journalistin Taylor Lorenz, die sich 2022 für die "Washington Post" mit dem Thema befasste. Vergleichbar mit einer künstlichen Plansprache wie Esperanto ist sie allerdings nicht. Viel eher funktioniert sie wie ein Code. Durch das Ersetzen oder Vertauschen von Buchstaben, Emojis und Sonderzeichen entsteht ein neues Vokabular.

Das Wort Covid wird so etwas zu "The Vid", Lesbian zu "Le$bean" (Le-Dollar-Bean), die Abkürzung LGBTQIA zu "Leg Booty" und die Pandemie zu "Panini" oder "Panda-Express". In einigen Fällen wird sogar ganzen Wörtern eine neue Bedeutung zugeschrieben. Ein Beispiel dafür ist das Wort "Mascara". Eigentlich eine Bezeichnung für Wimperntusche, wird es auf Tiktok mittlerweile synonym mit zwei Worten benutzt: Einerseits steht es für Partnerpersonen, andererseits für sexuellen Missbrauch.

Userin emmthevirgo erklärt beispielsweise "Ich habe meinen Mascara, seit ich 14 bin. Ich bin jetzt 24. Es ist der einzige Mascara, den ich je versucht habe, aber ich weiß, dass es nirgendwo einen wie diesen gibt. Ich hab sogar eine kleine Version gemacht, weil ich ihn so gern habe." Tauscht man das Wort Mascara gegen Partner aus, wird klar, dass sich die Userin auf ihren Partner bezieht, mit dem sie zusammen ist, seit sie 14 ist, und offenbar auch ein Kind hat.

Dass einigen Usern die in Algospeak übersetzte Form des Wortes jedoch noch nicht bekannt ist, lässt sich anhand der Kommentare erkennen. Es häufen sich Fragen nach Erklärungen oder Sätze wie "Ich habe erst jetzt verstanden, dass es hier gar nicht um Mascara geht". Speziell in diesem Beispiel herrscht ob der doppelten Ummünzung des Wortes außerdem Irritation darüber, was denn nun gemeint ist.

Bloß nicht den Algorithmus verärgern

Weltweit wurde Tiktok mittlerweile mehr als drei Milliarden Mal heruntergeladen. Offizielle Zahlen zur Anzahl der Videos, die pro Tag auf der Plattform hochgeladen werden, sind nicht bekannt. Dennoch lässt die Anzahl der Downloads erahnen, mit welcher Masse an Inhalten der Konzern es hier zu tun hat. Um überhaupt in der Lage zu sein, die App sicher zu gestalten und hinsichtlich der "Community-Richtlinien" zu überprüfen, holt sich Tiktok deshalb technologische Hilfe.

Auf der deutschen Website von Tiktok heißt es dazu: "TikTok nutzt eine Kombination aus Technologien und menschlicher Moderation, um Inhalte, die gegen unsere Richtlinien verstoßen, zu identifizieren, zu überprüfen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um unsere Community zu schützen." Rechtswidrige Begriffe und Inhalte werden demnach automatisch erkannt und von der Plattform entfernt. Außerdem ist davon auszugehen, dass Tiktok weiterhin über Drittfirmen Menschen als Moderatoren beschäftigt, die mit teilweise traumatischen Inhalten konfrontiert werden. Erst im Sommer 2022 hatte "Forbes" ausführlich über die Problematik berichtet.

In Deutschland haben Recherchen der "Tagesschau", NDR und WDR im letzten Jahr gezeigt, dass auf der Plattform Wörter wie "homosexuell", "LGBT", "Auschwitz" und "Nationalsozialismus" scheinbar blockiert werden. Kommentare, die diese Wörter enthielten, wurden anderen Userinnen teilweise nicht angezeigt.

Ein Beispiel für Algospeak: "Le$bean" statt Lesbian.

1337

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass die Internetgemeinschaft sich eine neue Sprache ausdenkt. "Leetspeak" oder 1337 (Leet in Spiegelschrift) ist schon seit geraumer Zeit vor allem in der Gamerinnenszene bekannt. Ähnlich wie Algospeak wurde sich bei der Kreation an Buchstaben, Sonderzeichen und Zahlen bedient. Im Unterschied zum etwas nischigen Leetspeak scheint Algospeak allerdings alleine durch die Verbreitung in Social Media ein wenig massentauglicher als die Gamingsprache. Inwiefern sie von dort auch den Weg in den Alltag der analogen Welt schaffen, bleibt abzuwarten. (Johanna Pauls, 30.1.2023)

Update, 30.1., 16:30: Der Titel wurde nachträglich inhaltlich korrigiert.