Sensortechnik vermisst die Lawinenabgänge und liefert damit die Grundlage für genauere Simulationen und Vorhersagen.
Foto: EPA/LIEBL DANIEL

Es kann Leben retten, wenn man weiß, wie eine Lawine den Berg herabdonnert. Wie sich eine talwärts stürzende Schneemasse im größeren Maßstab verhält, können Forschende bereits recht gut anhand von Simulationen voraussagen. Doch der Blick unter die Oberfläche ist eine andere Sache: Vorgänge im Inneren von Lawinen ließen sich bisher im Detail kaum nachvollziehen. Das soll nun ein Forschungsprojekt "in freier Wildbahn" ändern. Wissenschafterinnen und Wissenschafter wollen mithilfe von sorgfältig platzierten Sensoren gleichsam in eine Lawine hineinsehen, während sie zu Tal rast. Das könnte unter anderem die Suche nach Verschütteten erleichtern.

Hightech-Sensoren

Bisher wird die innere Dynamik von Lawinen vor allem mittels Radar vermessen. Im Projekt "Avarange: Objektverfolgung in Schneelawinen" wählt Jan-Thomas Fischer, Leiter des Instituts für Naturgefahren des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in Innsbruck, gemeinsam mit Partnern einen anderen Weg: Minicomputer mit ausgeklügelter Sensorik, wie man sie auch in modernen Smartphones findet, sollen inmitten der Schneebewegungen in einer Lawine Aufzeichnungen anfertigen. "Dazu gehören Elemente zur genauen Positionierung mittels Satellitennavigationssystemen, Beschleunigungsmessern, Gyroskopen, die die Lage der Sensormodule im Raum bestimmen, oder Sensoren, die die Temperaturentwicklung genau vermessen können", so Fischer.

Damit der empfindlichen Elektronik unter den extremen Bedingungen innerhalb der Lawinen nichts passiert, ist sie in stabile Hüllen aus dem 3D-Drucker verpackt.
Foto: Jan-Thomas Fischer/BFW

Das Team widmet sich bei dem vom Wissenschaftsfonds FWF und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt vor allem kleineren Lawinen, für die noch nicht so ausgereifte Simulationswerkzeuge zur Verfügung stehen. Um Daten von mehreren Lawinenereignissen mit vergleichbaren Rahmenbedingungen zu finden und reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen, kooperieren die Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit dem Skigebiet Nordkette bei Innsbruck, wo regelmäßig Lawinensprengungen durchgeführt werden.

Nachrichten aus der Lawine

Die in stabile Hüllen verpackten Sensoreinheiten werden dabei so platziert, dass sie von den Lawinen mitgerissen werden. Sie haben dabei nicht nur Kontakt zu Messpunkten außerhalb der Lawine, sondern sollen in einer fortgeschrittenen Entwicklungsstufe auch mit ihren "Kollegen" in der Lawine kommunizieren und etwa per Funkabstandsmessung kontinuierlich ihre relativen Positionen bestimmen. Das ist notwendig, um ihre chaotischen Bewegungen innerhalb der Schneemassen nachzuvollziehen.

Von den so erfassten Bewegungsabläufen wollen die Forscher auf eine Reihe innerer Eigenschaften von Lawinen schließen. Dazu gehört etwa das Phänomen der sogenannten inversen Segregation, bei der sich Schneepartikel oder -klumpen verschiedener Größe bilden und sich die größeren Teile mit der Bewegung tendenziell nach oben sortieren. Das wird auch von Lawinen-Airbags ausgenutzt, die ihre Träger an die Oberfläche der Lawine transportieren sollen.

Freie Daten für sicherere Berge

Doch die tatsächliche Bewegung der Schneeklumpen innerhalb der Lawine hänge von vielen Faktoren ab. "Dazu gehört nicht nur die Größe der Teile, sondern etwa auch ihre Dichte und ihre genaue Form", erklärte Fischer, der herausfinden will, wie diese Eigenschaften das Fließen der Schneepartikel in der Lawine beeinflussen und bestimmen. Die Gruppe will mit diesen Erkenntnissen neue Simulationswerkzeuge erstellen und der Wissenschaft frei zur Verfügung stellen.

Verbesserte Simulationen könnten ihren Angaben zufolge etwa helfen, Schutzbauten richtig zu positionieren und zu dimensionieren, den wahrscheinlichsten Verschüttungsort von Lawinenopfern im Lawinenkegel zu bestimmen oder Lawinen-Airbags zu verbessern. (red, APA, 31.1.2023)