Raye: Traurige Lieder können auch euphorisch machen.

Foto: Raye/Polydor

Mit ihren 25 Jahren kann Rachel Keen alias Raye aus London auf eine beachtliche Karriere zurückblicken. Immerhin weist sie zwei Handvoll britische Top-Ten-Hits auf. Sie komponierte unter anderem für Charli XCX, Rita Ora, Ellie Goulding oder John Legend. Mit David Guetta legte sie den fröhlich-housigen Betthupferl-Song Bed vor, schon 2019 wurde sie von Beyoncé geadelt. Sie durfte ein Lied für deren Lion King schreiben– und auch beim Streaming geht dank Rayes eigener Singles die Post ab.

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Escapism von Raye brachte Ende 2022 die Traurigkeit mit schrillen, bei Britney Spears’ Toxic geborgten arabesken Geigen und Kopfnickerbeats zum Tanzen. Richtigerweise nannte Raye ihre Musik Euphoric Sad Songs. Sie legte mit obligatem Autotune und poppigem House für die Großraumdisco eine Empfehlung als nächster großer britischer Star vor. Wie jetzt My 21st Century Blues unter Beweis stellt, ist Raye auf dieselbe Kunstschule wie einst Amy Winehouse oder Adele gegangen. Großteils ohne lästige Gesangseffekte und befreit von einem Knebelvertrag bei einem Plattenriesen, der eine Soloveröffentlichung jahrelang verhinderte, schaut es 2022 für Raye recht gut aus. Derzeit hat sie es etwa auch als Titelgeschichte in der britischen Ausgabe des Cosmopolitan geschafft.

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Die im Eigenverlag erscheinenden Songs setzen auf ein breites autobiografisches Spektrum. Ähnlich wie zuletzt bei Little Simz auf No Thank You geht es in Hard out Here um die böse Musikindustrie, sexuelle Übergriffe (Ice Cream Man), Drogen (Mary Jane), Bulimie (Body Dysmorphia) oder Umweltzerstörung (Environmental Anxiety). Das untermauert die These der "euphorischen traurigen Lieder". Musikalisch setzt Raye auf eingängigen Pop, R’n’B, Soul, diverse nicht zu komplexe Club- und Hip-Hop-Sounds. Sie baut Zitate aus der Popgeschichte ein. B. B. Kings The Thrill Is Gone etwa, Nullerjahre-Pop – und immer wieder Britney Spears. (Christian Schachinger, 31.1.2023)