Für die Gründer sind diese integrativen Wohnbauten in Götzis die Alternative zur Flüchtlingsunterbringung in Hallen.

Foto: Konrad Duelli

Im Herbst 2022 erlebte Österreich ein Déjà-vu: Die Asylanträge stiegen rapide an, fast wöchentlich gab es Berichte von aufgegriffenen Flüchtlingen an Österreichs Grenzen, hinzu kamen Meldungen über Tote, weil Schlepper die Kontrolle über ihre Kleinlaster verloren hatten. Dann folgte der Streit über die Unterbringung dieser Asylsuchenden, der im Aufstellen von Zelten gipfelte – und den Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) politisch ordentlich ins Schleudern brachte.

Es schien, als würde sich das Jahr der großen Fluchtbewegung 2015 wiederholen. Doch ganz stimmte das nicht: Der Anteil der Menschen, die auch wirklich in Österreich blieben, war im Verhältnis zu den Anträgen schwindend gering. Gerade einmal 20.000, weniger als unter Ex-Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), der Österreich zu einer Festung machen will, waren in der Grundversorgung. Die meisten zogen weiter. Die Zelte, die Hallen: Sie stehen seither für den Umgang mit Asylsuchenden – und auch jenen Migranten, die gar nicht hierbleiben, sondern nur durchreisen.

Die Wartezone im steirischen Spielfeld. Zwar sind die Zelte nun weg, laut Bundesbetreuungseinrichtungen (BBU) leben österreichweit aber immer noch tausend Menschen in Lagerhallen.
Foto: ALEXANDER DANNER

Chancenlos am Wohnungsmarkt

Einer, der das nicht hinnehmen will, ist Andreas Postner. "Es braucht keine Katastrophenarchitektur", sagte der Architekt mit Sitz im Vorarlberger Rankweil. Weil das Ländle seine Unterbringungsquote massiv untererfüllt, wurden im November Zelte in Feldkirch aufgestellt. Zwar wurden diese kurz darauf abgebaut und auch der Plan, 200 Asylwerber in einer Halle in Schwarzach unterzubringen, wieder gekübelt. "An der Situation hat sich aber nichts Grundlegendes geändert", sagt Postner. Was er meint? Immer noch wohnen fast 700 bleibeberechtige Flüchtlinge in Grundversorgungsquartieren, wo sie eigentlich gar nicht hingehören.

Aber: Leistbare Wohnungen in Vorarlberg zu finden ist nicht nur für sie angesichts der Immobilienpreise ein Ding der Unmöglichkeit. Dabei liegen laut Postner Lösungen auf dem Tisch. Die Politik ignoriere sie aber.

Wie diese aussehen sollen, zeigt der 61-jährige Architekt aus Rankweil in Götzis mit seinem Kollegen Konrad Duelli: ein dreigeschoßiger Wohnblock, die Holzfassade schon abgenützt, ein grüner Innenhof, ein Spielplatz und Gartenbeete. Eine gepflegte Wohnsiedlung. Von diesen Bauten gibt es in Vorarlberg in Summe fünf mit insgesamt 94 Wohnungen. Was können sie? Und warum sollten ausgerechnet sie Teil der Lösung der Unterbringungskrise sein?

Integrativer Wohnbau

Die Geschichte beginnt 2015 und mit einem Mangel: 6.500 Menschen waren damals auf Wohnungssuche in Vorarlberg. Dazu kamen dann noch die syrischen Flüchtlinge. Doch während andernorts bei diesen – wie auch jetzt wieder – auf Hallen gesetzt wurde, warfen Postner, Duelli und der Architekt Hermann Kaufmann eine Frage auf: "Wollen wir Menschen auf der Flucht verstecken oder sie in die Gesellschaft hereinholen?" Sie gründeten Transfer Wohnraum, ein Modell, das kostengünstig und qualitativen Wohnraum zur Verfügung stellen sollte – "und das eben für Ortsansässige und Flüchtlinge".

Das Projekt sah nichtunterkellerte, drei- bis viergeschoßige Holzbauten mit Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen vor. Der Grund kam von den kirchlichen Diözesen, finanziert wurde es vom Land im Rahmen eines Sonderwohnbauprogramms.

Wer einziehen konnte, wurde nach einem Schlüssel festgelegt: ein Drittel Flüchtlinge, zwei Drittel Ortsansässige, egal welcher Herkunft, "die möglichst gut Deutsch können", so Duelli. Damit sollte die Integration erleichtert werden. "Das Land war heilfroh über dieses Modell", sagt Postner. Im Ausland wurden sie dafür mit Architekturpreisen ausgezeichnet.

Keine hohe Fluktuation

Eine hohe Bewohnerfluktuation dürfte es laut den Gemeinden seither nicht gegeben haben. Auf die Erfahrungen angesprochen, heißt es von Götzis und Rankweil, dass es keine Unterschiede zu anderen Wohnbauten gebe. Einzig in Rankweil habe man gelernt, dass eine "frühzeitige Einbindung der Nachbarn wichtig" sei. Durch "die hohe Siedlungsdichte und kinderreiche Familien" würden sich manche Nachbarn gestört fühlen.

Von Lärm kann an diesem Montagabend in Götzis keine Rede sein: Ein Mann schiebt gerade sein Fahrrad aus dem Radraum heraus. Ursprünglich komme er aus Polen, seit zwanzig Jahren lebe er schon in Vorarlberg. Am privaten Wohnungsmarkt hätten er und seine vielköpfige Familie jedoch keine Chance, sagt er. Daher habe ihm die Gemeinde diese Wohnung vermittelt. "Wir sind glücklich darüber", sagt er. Kritik äußert ein junger Götzner, der weniger mit den Nachbarn zu tun habe. "Die wenigsten reden hier Deutsch", sagt er, wenn es 50:50 wäre, dann wäre das gut, sagt er und meint damit vermutlich Vorarlberger.

Mehr Einwohner, gleich viel Wohnungssuchende

Was mit Blick auf die derzeitig verfügbaren Wohnraum jedenfalls feststeht: Es gibt zu wenig davon. Auf STANDARD-Nachfrage heißt es aus dem Landesbüro, dass Vorarlberg zwar seit 2015 um 12.000 Menschen gewachsen ist. Nach wie vor sind aber 5.735 Menschen für eine Sozialwohnung vorgemerkt. Ein neues Projekt zur Reaktivierung bestehender Bausubstanzen soll diesem Umstand entgegenwirken.

Bei Geflüchteten will das Land auf "kleinere bis mittlere Quartiere" setzen, die gerecht übers Land verteilt sein sollen. 360 Plätze will man bald schaffen – immer noch zu wenig, um die Flüchtlingsquote zu erfüllen. Auf integrative Modelle wie Transfer Wohnraum angesprochen, sei es den Bauträgern vorbehalten, diese umzusetzen. Wohnbauförderungsmittel des Landes würden sie jedenfalls erhalten. Was jedoch feststeht: Auch auf die Unterbringung in Hallen wird weiterhin gesetzt. Diese seien "unumgänglich", wenn die Zahlen wieder stiegen und eine Versorgung in kleineren Einheiten nicht mehr möglich sei, heißt es vom Land. Für Postner ein Déjà-vu: Als hätte man das alles nicht schon einmal gehabt. (Elisa Tomaselli, 31.1.2023)