Schon mit der ersten Sendung "Der Hausherr" über den Immobilienhai Ronald Itzlinger und dessen Methoden, Mieter und Mieterinnen aus Wohnungen zu vertreiben, haben Peter Resetarits (62) und der inzwischen pensionierte Christian Schüller vor 28 Jahren einen Coup gelandet. Kurz vor Ausstrahlung ist Itzlingers Firmenkonstrukt zusammengebrochen, er wurde wegen Betrugs zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. "Ich habe ihn noch im Gefängnis besucht, er ist dann recht jung dort gestorben. Ganz verstanden habe ich nie, warum er mit uns reden wollte", sagt Resetarits.

STANDARD: 1995 ging der erste "Schauplatz" auf Sendung. ORF-intern wurde das Format zu Beginn durchaus skeptisch gesehen.

Resetarits: Ja, das war so. Der Start war zu einer Zeit Mitte der 90er-Jahre, als die Beiträge immer knapper und kürzer wurden, Cutter haben die Schnittprogramme entdeckt und sich ausgetobt. Das ist mir und auch "Schauplatz"-Mitbegründer Christian Schüller auf den Nerv gegangen. Wir wollten beide ein Gegenprogramm machen, Geschichten langsamer und genauer erzählen. Einfache Schnitte, eine Blende nur, wenn es einen Orts- oder Zeitwechsel gab, keinen Musikteppich.

Ich habe damals gerade für den "Inlandsreport" eine Geschichte über Männer als Scheidungsopfer gestaltet. Helmut Brandstätter – er war damals Hauptabteilungsleiter – meinte, mache doch die Geschichte eine halbe Stunde lang, erzähle aus deiner subjektiven Sicht, wie du alles erlebt hast. Das ist bei Tests richtig gut angekommen.

Die ORF-"Schauplatz"-Gründer Christian Schüller und Peter Resetarits im Jahr 1995.
Foto: ORF

Für unsere erste Sendung haben wird dann überlegt, wie wir eine gute Quote schaffen. Wir wollten im Rotlichtmilieu drehen, das hat dann Gott sei Dank nicht funktioniert, sonst wären wir womöglich in eine ganz andere Richtung abgebogen. Dann war da auch noch ein Mord im Gemeindebau, auch dort haben sie uns vertrieben. Drei Wochen vor der ersten Sendung saßen wir dann im Kaffeehaus und dachten uns, was machen wir jetzt? Krisensitzung sozusagen. Mir hat dann eine Rechtsanwältin von einem Immobilienhai erzählt, der in Wien 80 Zinshäuser gekauft hat. Und der die Leute mit heftigen Methoden aus den Häusern rausbringen wollte.

STANDARD: Um ihn ging es dann in der ersten "Schauplatz"-Folge mit dem Titel "Der Hausherr".

Resetarits: Ja, das war der Herr Dr. Itzlinger, er hatte einen Mercedes 600 und einen Wolfspelzmantel. Das hat mich überzeugt. Er ist mit uns zu seinen Häusern gefahren. Und wir haben parallel dazu mit den Mietern gesprochen und gesehen, wie die Wohnungen beieinander sind. Also, alles Ingredienzien für eine Sozialreportage. Was wir aber nicht wussten, war, dass Itzlinger in der Phase offenbar aus dem letzten Loch gepfiffen hat. Eine Woche vor der Sendung ist er plötzlich verschwunden, und seine Firmen sind zusammengebrochen.

Die Zeitungen haben damals über den "Immobilienhai auf der Flucht" und die "größte Immobilienpleite des Jahres" geschrieben. Und wir hatten die Geschichte dazu. Mit Glück zum richtigen Zeitpunkt. Alle haben geglaubt, dass wir hier investigativ wahnsinnig viel gewusst haben. In Wahrheit war das ein Glück und bescherte uns eine hohe Quote – damals 48 Prozent Marktanteil – und viele Preise. Ich hatte damals fast ein schlechtes Gewissen. Itzlinger ist dann wegen Betrugs zu achteinhalb Jahren verurteilt worden. Ich habe ihn noch im Gefängnis besucht, er ist dann recht jung dort gestorben. Ganz verstanden habe ich nie, warum er mit uns reden wollte.

Peter Resetarits präsentiert die erste Ausgabe von "Am Schauplatz" über den Immobilieninvestor Ronald Itzlinger, Titel der Sendung: "Der Hausherr".
Foto: ORF

STANDARD: Der ORF-"Schauplatz" sorgt immer wieder für Aufregung, etwa mit den Klagen der FPÖ gegen Ed Moschitz wegen der Skinhead-Reportage oder auch mit der Folge zu Ischgl. Wie geht man damit um?

Resetarits: Die Geschichte war aufreibend und nicht ohne. Das hat sieben Jahre gedauert. Letztendlich ist nichts hängengeblieben. Ed Moschitz hat weder manipuliert noch zu Wiederbetätigung angestiftet, was ihm ja vorgeworfen wurde. Es war einfach eine gute Reportage, und Ed ist einer jener Reporter, die dort hingehen, wo es wehtut. Er macht es sich nicht leicht.

Ischgl war wiederum so eine Geschichte, wo wir Glück hatten. Moschitz wollte eine Geschichte machen über extremen Aufwand, der in Wintersportorten betrieben wird, um Touristen anzulocken. Gedreht hat er im Jänner 2020. Kurz später war Ischgl dann plötzlich der Corona-Hotpsot. Er hat dann noch Skype-Interviews geführt, die zeigen, was dann dort noch los war. Das war dann die bisher meistgesehen Sendung der "Schauplatz"-Geschichte, wir haben damals erstmals die Million geknackt. Aber natürlich hatten viele Tiroler keine Freude damit.

Szene aus "Ausnahmezustand in Ischgl": Die Sendung von Ed Moschitz erreichte mehr als eine Million Zuschauerinnen und Zuschauer.
Foto: ORF

STANDARD: Auch die Reportagen rund um umstrittene Immobilienprojekte sorgen regelmäßig für gute Quoten. Gibt es da auch Anfeindungen oder Klagen?

Resetarits: Ja. Meine Erfahrung ist, dass Klagen oft insbesondere von Immobilieninvestoren kommen. Immer wenn wir über fragwürdige Großprojekte, Umwidmungen, Ausmietungen berichtet haben, dann standen sofort Medienanwälte auf der Matte. Ein Immobilieninvestor wollte etwa nicht, dass über ihn berichtet wird. Er uns geklagt mit einem Dutzend Vorwürfen, was nicht alles falsch gewesen wäre in dem Bericht.

Das war so was wie der Beginn der Slapp-Klagen. Die Klagen beschäftigen dich zivilrechtlich, medienrechtlich, strafrechtlich. Nach dem Motto: Die Redakteure werden schon merken, dass sie uns in Ruhe lassen sollen. Da denke ich mir – jetzt ein wenig öffentlich-rechtlich pathetisch gesprochen –, dass es die Pflicht des ORF ist, hier hinzuschauen. Und auch das Risiko in Kauf zu nehmen, einen juristischen Konflikt auszutragen. Weil wir uns das noch leisten können. Für kleinere Medien geht sich das oft nicht mehr aus.

STANDARD: Das ist auch oft eine Zeit- und Ressourcenfrage.

Resetarits: Und auch eine Nervenfrage. Aufgabe von uns Vorgesetzen ist es, dass man den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen hier den Rücken stärkt und sagt: Macht das, geht dorthin, nehmt euch die Zeit. Und dann muss man gemeinsam mit der Rechtsabteilung schauen, dass alles so wasserdicht ist, dass man es senden kann.

STANDARD: Hat der "Schauplatz" auch Klagen verloren?

Resetarits: Ja, ich erinnere mich an die Folge, in der es um die Reichen am Wörthersee ging. Ein Bootsfahrer zeigt dort vom Wasser aus die Villen der Reichen. In der Sendung war dann kurz die Villa eines Sportmanagers eingeblendet. Vom Manager kam eine Unterlassungsklage. Gegen den ORF und auch gegen den Bootsfahrer. Wir hätten die Gefahr von Einbrüchen und Kidnapping erhöht und seinen höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt. Ich dachte, das sei unverlierbar. Sein Name steht im Grundbuch, und die Aufnahme in der Sendung ist von öffentlichem Grund aus gemacht worden.

Wir haben diese Klage aber verloren. Hier ist das Pendel meiner Meinung nach ein bisschen zu sehr in Richtung Persönlichkeitsrecht und zu wenig in Richtung Medienfreiheit ausgeschlagen. Für den Bootsmenschen war das ein richtiges Problem. Und wir haben auch die Frage diskutiert: Haben wir Fürsorgepflichten gegenüber diesem Bootsfahrer? Andererseits kann man dafür auch keine öffentlich-rechtlichen Gebührengelder verwenden.

STANDARD: Apropos Fürsorgepflicht: Wie können Sozialreportagen wie der "Schauplatz" Menschen in schwierigen Situationen helfen?

Resetarits: Es ist jetzt nicht unser Impetus, den Protagonisten direkt zu helfen. Es geht darum, den Scheinwerfer auf etwas zu richten, etwas öffentlich zu machen und so etwas in Gang zu setzen oder zum Nachdenken anzuregen. Und damit kann auch Veränderung oder Verbesserung passieren. Wir versuchen immer, den Graubereich zu zeigen. Es ist nicht alles schwarz oder weiß.

STANDARD: Welche Sendungen haben Sie am meisten berührt oder sind Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?

Resetarits: Ich bin ja eigentlich ein harter Hund. Aber eine Sendung aus Moldawien fällt mir hier ein. Da hat Ed Moschitz die Lebensumstände jener Kinder dokumentiert, deren Mütter im Ausland sind, um dort zu arbeiten. In einer Klasse werden die Kinder gefragt, was sie sich wünschen. Ihre Antwort: "Mama, bitte komm zurück, wir brauchen dich." Das war eine bedrückende Geschichte darüber, was es woanders bewirkt, wenn man bei uns eine Infrastruktur aufrechterhält. Berührend für mich sind Sendungen, wenn es um Abschiednehmen geht, etwa die Folge "Der letzte Abschied" von Tiba Marchetti über Sterbebegleitung.

STANDARD: Wie werden solche Situationen und Sendungen intern aufgearbeitet?

Resetarits: Eine strukturelle Supervision gibt es nicht. Wir reden drüber, wir diskutieren darüber. Man entwickelt auch Mechanismen, damit man abschalten kann. Und das funktioniert, man lernt irgendwann, Geschichten sozusagen wegzudrücken.

Im ORF-Schauplatz "Die Welt der Bettler" ist Reporterin Beate Haselmayer auf Spurensuche zum Schicksal von bettelnden Kindern in Wien und Rumänien.
Foto: ORF

STANDARD: Sie sind Präsentator des "Schauplatz". Würde es Sie reizen, wieder selbst Sendungen zu machen?

Resetarits: "Schauplatz"-Sendungschef Klaus Dutzler hat ein hervorragendes Gespür für Menschen und die richtigen Themen. Ich bin derzeit ausgelastet mit "Schauplatz Gericht", "Bürgeranwalt" und auch der Reihe "Der talentierte Herr ...", bei der ich Sendungsverantwortlicher bin. In zwei Jahren gehe ich beim ORF in Pension, und dann will ich selber wieder mehr drehen. Weil ich es mag, Geschichten zu erzählen.

STANDARD: Apropos ORF: Merken Sie einen Spardruck?

Resetarits: Den merkt man seit zehn Jahren. Ich kann mich in letzter Zeit an kein Jahr erinnern, in dem es zu Jahresbeginn nicht hieß, es seien gewisse Sparvorgaben einzuhalten oder dass umgeschichtet werden soll. Das ist fast schon zur Normalität geworden. Ich habe nicht den Eindruck, dass es jetzt unter Roland Weißmann ärger wurde.

Aber ich merke schon eine gewisse Besorgnis innerhalb der Belegschaft, wie sich die Überlegungen zur Neugestaltung der ORF-Finanzierung auf uns auswirken werden. Ob das etwa Budgetkürzungen bedeutet oder wie es mit der Personalsituation weitergeht. Es ist also derzeit eher ein besorgtes Betrachten der Situation, aber es ist noch nicht in unserer Realität angekommen. 2023 ist unter der Bedingung der früheren Sparvorhaben ausfinanziert.

STANDARD: Die Themen gehen ja nicht aus.

Resetarits: Vor 28 Jahren haben wir gedacht, zwei Jahre können wir das machen. Dann hat Zeiler gemeint, das könnt ihr zehn Jahre machen. Die Themen liegen auf der Straße, man muss nur mit wachen Augen durch die Welt gehen. Man fragt etwa die Putzfrau, woher sie kommt. Und das mündet dann in Geschichten. (Astrid Ebenführer, 2.2.2023)