Die Zeiten ändern sich – und manchmal auch parteipolitische Positionen. Zumindest könnte man das aktuell am Beispiel der ÖVP Vorarlberg meinen. 2015 lehnte sie einen Antrag der SPÖ ab, in dem gefordert wurde, dass Schwangerschaftsabbrüche in Spitälern angeboten werden sollen. 2023 bringt sie nun eine ähnliche Lösung auf den Weg: Am Mittwoch wurde nach einer emotionalen, aber gleichzeitig sehr sachlich und wertschätzend geführten Debatte im Vorarlberger Landtag beschlossen, dass im Personalwohnheim der Krankenhausbetriebsgesellschaft neben dem Landeskrankenhaus Bregenz Abbrüche durchgeführt werden können.

Warum das Ländle eine neue Lösung braucht

Während die heutige Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP) vor acht Jahren noch betonte, es gebe keinen Rechtsanspruch auf eine dementsprechende Versorgung im Krankenhaus, ist sie nun stolz auf die Lösung, dass Abbrüche künftig auf dem Areal des Landes durchgeführt werden können. Auch Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) wies darauf hin, dass sich in den 20 Jahren, in denen sie sich als Abgeordnete und Regierungsvertreterin mit dem Thema schon beschäftige, sehr viel verändert habe.

Warum sich Rüscher überhaupt mit dem Thema beschäftigen musste: Bis jetzt werden Abtreibungen in Vorarlberg nur von einem privaten Arzt in Bregenz, Benedikt Hostenkamp, vorgenommen. Dieser hatte letzten Sommer angekündigt, bald in Pension gehen zu wollen. Weil die Nachfolge ungeklärt war, hätten Frauen das Bundesland verlassen müssen, um Schwangerschaften zu beenden.

Sie habe sich "intensiv um eine Nachfolgelösung bemüht", sagt Rüscher am Vortag der Landtagssitzung dem STANDARD. Es sei ihr persönlich ein Anliegen gewesen, "dass Frauen, die keinen anderen Weg finden, weiterhin ein medizinisch sicheres Angebot in Vorarlberg in Anspruch nehmen können". Allerdings sei es nach wie vor "mein und unser Ziel, dass jedes Kind in Vorarlberg zur Welt kommen soll", räumt sie ein. Es bräuchte deshalb auch "Maßnahmen, die das unterstützen" – etwa eine bessere Aufklärung und Beratung.

Vorarlbergs Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher (ÖVP) bemüht sich zwar um ein "medizinisch sicheres Angebot", betont aber, dass "jedes Kind in Vorarlberg zur Welt kommen soll".
Dietmar Stiplovsek/APA

Auch Barbara Schöbi-Fink (ebenfalls ÖVP) zeigte sich im Sommer auf die Ankündigung Hostenkamps bemüht, eine Lösung zu finden. Ihr Nachsatz sorgte dann allerdings für Aufsehen – und viel Kritik. Denn die damalige Vertreterin von Landeshauptmann Markus Wallner betonte, dass die ÖVP nach wie vor nicht für Abtreibungen in Landeskrankenhäusern stehe. Diese seien in erster Linie dazu da, Leben zu retten und Gesundheit zu fördern. Abbrüche durchzuführen sei für Ärztinnen und Ärzte "emotional schwierig", man wolle das Personal deswegen dazu nicht verpflichten. Das ist gesetzlich allerdings auch jetzt schon nicht möglich.

ÖVP schlägt Mittelweg ein

Auf den zweiten Blick ist es also so: Gesundheitslandesrätin Rüscher hat sich gegen einige Hardliner in der Partei durchgesetzt – für einen Mittelweg. Die Praxis befindet sich beim Landeskrankenhaus, das dortige Personal wird die Abbrüche aber nicht durchführen. Betrieben werden soll die Praxis nämlich von den Ärzten, der Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin erstellt ein Konzept. Im Haus befindet sich auch die Anlaufstelle für die anonyme Geburt und die Babyklappe. Etwa 15 Ärztinnen und Ärzte hätten sich gemeldet, um in der Praxis zu arbeiten, sagte Rüscher vor einigen Wochen dem ORF Vorarlberg. Nun sollen alle Interessenten eingeladen werden, das Modell werde ihnen vorgestellt, "und dann wird man schauen, mit wem man wirklich ins Tun kommt". Mehr als drei Ärzte werde es wohl nicht brauchen.

SPÖ, Grüne und Neos freuen sich jedenfalls. Johannes Gasser, bei den Neos unter anderem Sprecher für Gesundheit und Gleichstellung, dankt Rüscher, die sich "trotz Widerständen" für diese Lösung starkgemacht habe. Entscheidend sei, dass Frauen ein niederschwelliges und professionelles Angebot zur Verfügung stehe. "Ohne dass auf sie Druck ausgeübt werden kann und Belästigungen von Abtreibungsgegnern ausgeschlossen sind."

FPÖ stimmt nicht zu

Ein solcher Druck würde etwa vom von der FPÖ vorgeschlagenen Modell ausgehen, so Gasser gegenüber dem STANDARD. Die Freiheitlichen stimmen als einzige Partei der Lösung beim Landeskrankenhaus Bregenz nicht zu. Sie forderten in einem eigenen Antrag eine kostenlose, verpflichtende psychosoziale Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch, eine entsprechende Wartezeit zwischen Erstberatung und Abtreibung, den Ausbau der Familienberatungsstellen sowie eine anonymisierte ärztliche Meldepflicht. "Diese Forderungen stigmatisieren Frauen in einer Notsituation", sagt Gasser.

Man wollte ein "Gesamtpaket schnüren", rechtfertigt die für Frauen zuständige FPÖ-Landtagsabgeordnete Nicole Hosp ihre Haltung gegenüber dem STANDARD. In der öffentlichen Diskussion der vergangenen Monate sei "immer nur der Schwangerschaftsabbruch im Mittelpunkt" gestanden. "Verbesserungen zur Unterstützung in dieser schwierigen Situation unter dem Aspekt, den betroffenen Frauen und Familien ein Ja zum Kind zu erleichtern, wurden von den anderen Parteien ausgeklammert und nicht thematisiert", kritisiert Hosp. Dass die Grünen ihr Paket nicht unterstützen, wundere sie nicht, sagte sie in der Sitzung am Mittwoch. Bei der ÖVP habe sie das aber nicht erwartet. ÖVP-Klubobmann Roland Frühstück begründete dies in seiner Rede mit der Koalition mit den Grünen. Manchmal müsse man eben Kompromisse eingehen.

Abtreibungsgegner mobilisieren

Auch Abtreibungsgegner mobilisierten noch in den letzten Tagen. Vergangene Woche startete die rechtskonservative Stiftung Citizen Go eine Online-Petition gegen die Entscheidung. Knapp 2-900 Personen unterzeichneten die an Rüscher gerichtete Kampagne "Nein zu Abtreibungen in staatlichen Räumen". An die Landtagsabgeordneten schickte die Organisation Post – auf weißen Kärtchen war eine Nachbildung eines zwölf Wochen alten Fötus beigelegt. "Nennen wir ihn Markus", steht auf der Karte zu lesen. Markus verfüge bereits über "alle notwendigen Organe", sein Herz schlage bereits.

Die Karte ging auch an Ärzte, das Landeskrankenhaus und Anrainerinnen, sagte Gasser am Mittwoch. "Diese Art von Druckerzeugung hat hier nichts verloren", sagte die Grüne Abgeordnete Nadine Kasper in Richtung der Absender. Ihre Parteikollegin Christine Bösch-Vetter sagte, sie werde die Post, die sie als extrem übergriffig empfinde, ungeöffnet in den Müll werfen. Bei der Sitzung selber kam es zu einer kurzen Unterbrechung, weil Gegnerinnen in den Saal kamen, dieser konnte dann aber rasch wieder geräumt werden.

Ein Arzt vor der Pension – ähnliche Ausgangslage in Tirol

Derartige Zwischenfälle gab es übrigens auch im Nachbarbundesland Tirol. Als dort Mitte Dezember im Landesparlament über Schwangerschaftsabbrüche diskutiert wurde, rollten einige Zuschauer plötzlich Transparente aus. "Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit. Eine Abtreibung keine Gesundheitsleistung", war dort etwa zu lesen.

Die Ausgangslage in Tirol ist der in Vorarlberg sehr ähnlich: In dem Bundesland, in dem rund 170.000 Frauen im gebärfähigen Alter leben, führt derzeit ein einziger niedergelassener Arzt Schwangerschaftsabbrüche durch – er berichtet von rund 750 Eingriffen pro Jahr. Auch er kündigte an, bald seinen Ruhestand antreten zu wollen.

Tirols Gesundheitslandesrätin Cornelia Hagele (ÖVP) unterstreicht, dass Abtreibung "kein Ersatz für Verhütung" sei.
Johann Groder/APA-EXPA

Die bestehende Ordination sei durch "eine schon definierte Vertretung abgesichert", beruhigt nun das Büro der Gesundheitslandesrätin Cornelia Hagele (ÖVP). Derzeit fänden zudem Gespräche statt, wonach Schwangerschaftsabbrüche auch in einer weiteren Ordination durchgeführt werden können. Geklärt werde aktuell außerdem, ob ein Angebot an der Klinik "zweckmäßig" sei. Hagele betont in einer Stellungnahme gegenüber dem STANDARD, dass "Abtreibung kein Ersatz für eine Verhütung" sei. Man müsse "präventive Unterstützung leisten" – etwa durch "finanziell erschwingliche Verhütungsmittel" und "unabhängige und transparente Beratung".

Tiroler Soziallandesrätin für Angebot an öffentlichen Krankenhäusern

Klar für die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs auch an öffentlichen Einrichtungen spricht sich auf Nachfrage des STANDARD indes Soziallandesrätin Eva Pawlata (SPÖ) aus, die auch die Frauenagenden innehat. Es gehe schließlich auch um "die Symbolik und daher um ein Bekenntnis des Landes". Sie sei außerdem der Meinung, dass es Frauen gibt, die sich in einem öffentlichen Krankenhaus "besser aufgehoben fühlen" – obwohl sie natürlich davon ausgehe, dass auch die im niedergelassenen Bereich vorgenommenen Eingriffe medizinisch einwandfrei erfolgen.

Tirols Soziallandesrätin Eva Pawlata (SPÖ) ist für ein Angebot auch an öffentlichen Einrichtungen und spricht sich auch für finanzielle Unterstützung für Bedürftige aus.
Johann Groder/APA-EXPA

Kurz nach ihrer Angelobung hatte die neue Soziallandesrätin in einem Interview mit der Austria Presse Agentur (APA) im Herbst 2022 die Forderung nach einem flächendeckenden und kostenlosen Angebot für Schwangerschaftsabbrüche erhoben – und sich damit prompt einen Rüffel vom Koalitionspartner ÖVP eingehandelt. Auch Innsbrucks Diözesanbischof Hermann Glettler zeigte sich entrüstet. Mitte Dezember brachten die – sich mittlerweile in Opposition befindlichen – Grünen das Thema in die Aktuelle Stunde des Landtags. Dort zeichnete sich ein Konsens hinsichtlich der – von der schwarz-roten Regierung auch im Regierungsprogramm vorgesehenen – Verstärkung der Niederschwelligkeit des Angebots ab. Uneins war man sich allerdings bei der Kostenfrage.

"Es ist klar, dass die Möglichkeit des Eingriffs nicht an der finanziellen Situation der Betroffenen hängen darf. Ansonsten stellt ein Eingriff, der an die 800 Euro kostet, nur für einen Teil der Frauen eine freie Entscheidung dar", stellt Pawlata klar. Dafür gebe es in Tirol bereits Instrumente, mit denen eine finanzielle Unterstützung gewährleistet werden könne.

Tiroler Finanzierungsmodell als Vorbild

Auf ebendiese verweist man in Vorarlberg. Das "Gute am Tiroler Unterstützungsmodell" sei nämlich, dass es nicht nur finanzielle Unterstützung bei Schwangerschaftsabbrüchen biete, sondern "auch das so wesentliche Thema der Verhütung berücksichtigt", sagt SPÖ-Frauensprecherin Elke Zimmermann dem STANDARD. Die Entscheidungsfreiheit der Frau darüber, ob sie ein Kind bekommen will oder nicht, sollte "keinesfalls an ihre finanziellen Möglichkeiten gebunden" sein.

20.000 Euro stehen im sogenannten Tiroler "Notfallfonds" zur Verfügung, heißt es aus dem Büro der Tiroler Soziallandesrätin. Im Laufe der Zeit habe sich gezeigt, dass weniger Geld aus dem Finanzierungstopf für Bedürftige in Schwangerschaftsabbrüche, dafür mehr in Verhütungsmittel geflossen sei, verweist auch die Vorarlberger Frauenlandesrätin Katharina Wiesflecker auf das Tiroler Modell. Die Kostenfrage würde allerdings wohl erst im kommenden Jahr geklärt werden, stellt Wiesflecker in Aussicht. Gesundheitslandesrätin Rüscher hat vor einigen Tagen jedenfalls Gesprächsbereitschaft signalisiert. Die Mittel würden aber nicht aus ihrem Ressort kommen.

Nun wolle man erstmals das "medizinische Angebot auf die Beine stellen", sagt Wiesflecker. Sie rechne mit einer Umsetzung der Vorarlberger Lösung in der zweiten Jahreshälfte. Es handle sich allerdings jedenfalls um einen "wirklich großen Schritt". (Lara Hagen, Maria Retter, 1.2.2023)