Sie verkörpert die Kombination aus weltlicher und geistlicher Macht wie kaum ein anderer Gegenstand: Die mythenumrankte Reichskrone war gemeinsam mit den anderen Reichskleinodien viele Jahrhunderte lang das Symbol der Herrschaft der Kaiser und Könige im Heiligen Römischen Reich – und wurde so zu einem der wichtigsten Sinnbilder der europäischen Geschichte.

Die Reichskrone in Frontalansicht.
Foto: KHM-Museumsverband

Umso erstaunlicher ist es, dass wesentliche Fragen die Krone betreffend bis heute nicht beantwortet werden können: so kann bis heute nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden, wo und wann das einzigartige Kunstwerk entstanden ist.

Das Kunsthistorische Museum Wien versucht, im Rahmen des auf drei Jahre angesetzten internationalen Forschungsprojekts "Crown" Antworten auf diese Fragen zu finden. Mit interdisziplinären Ansätzen werden die verwendeten Materialien ebenso untersucht wie die benutzten Techniken. Die Erforschung des Erhaltungszustandes soll Aufschluss über nötige künftige konservatorische Maßnahmen geben, aber auch über die bewegte Geschichte des Prunkstücks der kaiserlichen Schatzkammer.

Ein Detail eines Zierelements auf dem Kronreif, mithilfe eines 3D-Digitalmikroskops und eines Rotationsspiegels zwanzigfach vergrößert.
Foto: KHM-Museumsverband

Ein so bedeutendes Objekt verlangt jedoch nach besonderen Bedingungen: Untersuchungen dürfen nur zerstörungs- und berührungsfrei durchgeführt werden, außerdem müssen die Analysen vor Ort stattfinden, denn die Krone verlässt die Schatzkammer nicht. Nach einem Jahr der Forschung wurden nun die ersten Ergebnisse präsentiert – diese betreffen vor allem den Steinbesatz.

Oktagonale Krone

Die Reichskrone besteht aus acht goldenen Tafeln, die von eisernen Reifen gehalten oktagonal angeordnet sind. 172 bunte Steine zieren die Krone, begleitet von 224 Perlen. Vier der Tafeln tragen Emailbilder mit Darstellungen von alttestamentarischen Königen und Jesus. Auf der Stirnplatte ist ein Kreuz montiert, dahinter ist ein Bügel zu der Nackenplatte gespannt. Auf diesem Bügel ist aus Perlen ein Schriftzug geformt: er verweist auf einen Chuonradus, von Gottes Gnaden römischer Kaiser und Augustus.

Die Krone in Seitenansicht. Auf dem Bügel ist aus Perlen der Schriftzug "Chuonradus Dei Gratia" geformt.
Foto: KHM-Museumsverband

Der Bügel, manchmal aber auch die gesamte Krone, wird deshalb in die Zeit des Saliers Konrad II. datiert, der von 1024 bis 1039 regierte. Eventuell stammt der Kronreif aber auch schon vom Liudolfinger Otto I., also vor 980. Analysen der Schriftzüge lassen aber auch eine viel spätere Datierung möglich erscheinen: So ist die Form des "M" in der Aufschrift "Rex Salomon" auf einer der Emailtafeln frühestens am Ende des 11. Jahrhunderts in Erscheinung getreten. Die Krone könnte daher sogar erst unter dem Staufer Konrad III. nach 1138 entstanden sein. Dass es sich wie überliefert um die Krone von Karl dem Großen handelt, ist jedenfalls schon lange widerlegt.

Die Email-Tafel mit der Darstellung König Salomons. Die Form des "M" in "Salomon" deutet auf eine spätere Entstehung der Krone hin.
Foto: KHM-Museumsverband

Korrodierendes Email

Die Emailtafeln waren dafür verantwortlich, dass das "Crown"-Projekt ins Leben gerufen wurde: 2014 wurden Korrosionen am Email festgestellt. Rückblickend betrachtet ist es ein Wunder, dass das filigrane Objekt überhaupt bis in heutige Zeiten überdauert hat. Schließlich wurden die Insignien immer wieder im Tross des reisenden Herrscherhofes quer durch das Reich transportiert.

Eine aus mehreren Mikroskopaufnahmen zusammengesetzte Detailaufnahme des Königs Salomon zeigt die Korrosionsschäden des Emails.
Foto: KHM-Museumsverband

Kartierung

Dokumentiert wird daher nun auch, welche Schäden die Krone aufweist und welche Veränderungen sie im Laufe der Zeit erfahren hat. Mit Hilfe eines neu angeschafften Hirox 3D-Digitalmikroskop wurden 60.000 Einzelbilder von Details der Krone angefertigt, erzählt Martina Griesser, die Leiterin des naturwissenschaftlichen Labors im KHM. Damit ist es möglich, erstmals komplette Kartierungen der Einzelteile anzufertigen und den Montageprozess in Explosionszeichnungen darzustellen. Nun kann eine Zeitleiste der über die Jahrhunderte vorgenommenen Veränderungen und Reparaturen erstellt werden.

Mit Hilfe eines 3D-Digitalmikroskops wurden zehntausende Einzelaufnahmen der Krone angefertigt.
Foto: KHM-Museumsverband

Auch historische Quellen werden im Zuge des Projekts ausgewertet. Neben Textquellen wurden auch 16.000 Bilder gesichtet und 550 davon in einer Datenbank zusammengefasst, berichtet Franz Kirchweger, der Kurator der Schatzkammer.

Hitzebehandelter Spinell

Im Zentrum der Untersuchungen standen zunächst vor allem die Steine. Lutz Nasdala vom Institut für Mineralogie und Kristallographie der Universität Wien konnte mit Hilfe von Raman- und Photolumineszenzspektrometern die Steine bestimmen. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um Saphire und Granate, weiters zieren Smaragde, Amethyste, Chalcedone, Spinelle und verschiedene Gläser die Krone. Eine Überraschung zeigte sich bei der Untersuchung des großen roten Spinells auf der Stirnplatte der Krone: der Stein wurde einst einer Temperatur von fast 1000°C ausgesetzt. Heute werden Steine erhitzt, um ihre Farbigkeit zu verbessern. Ob diese Technik schon vor einem Jahrtausend eingesetzt wurde, ist nicht bekannt, es handelt sich jedenfalls um den ältesten möglichen Beleg für diese Methode.

Der großer Spinell im Zentrum der Stirnplatte wurde einst auf fast 1000°C erhitzt.
Foto: KHM-Museumsverband

Die Herkunft der Steine festzustellen ist im Wesentlichen kaum möglich. In manchen Vorkommen sei die Varianz oft größer als die Unterschiede zwischen den einzelnen Fundorten, erklärt Nasdala. Drei der Almandine könnten allerdings von sehr weit herkommen: sie ähneln den Granaten aus Garibpet im indischen Bundesstaat Telangana. Bei den Smaragden gibt es zwei verschiedene Typen, kräftig dunkle und sehr helle. Letztere stammen vermutlich aus Ägypten. Dass sie aus dem Salzburger Habachtal stammen könnten, ist eher unwahrscheinlich, aber das "wäre zu schön", sagt Nasdala.

Legendärer Waise

Über den legendärsten Stein der Reichskrone lässt sich jedenfalls auch mit den modernsten Untersuchungsmethoden keine Aussage treffen. Der Waise genannte Stein gilt als vielleicht wichtigster Edelstein des Mittelalters. Er wird als einzigartiger Leitstern beschrieben, dem die anderen Fürsten folgen sollten. Walther von der Vogelweide dichtete, wer unschlüssig sei, wem im Reich Folge zu leisten sei, der solle darauf achten, wer den Waisen im Nacken stehen hat. Möglicherweise handelt es sich beim Waisen um einen rotschimmernden Opal, doch es ist nicht einmal sicher, ob sich der Stein in der Nacken- oder in der Stirnplatte der Krone befunden hat. Offenbar wurden im Lauf der Zeit zahlreiche Steine der Krone ausgetauscht. Die Spur des Waisen verliert sich schon früh. Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts wird er nicht mehr erwähnt.

Ein Saphir der linken Schläfenplatte in dreißigfacher Vergrößerung.
Foto: KHM-Museumsverband

Antike Intaglien

Zwei der Amethyste lieferten die bisher spektakulärste Erkenntnis des Projekts: auf ihren nach innen gewandte Seiten zeigen sie antike Intaglien. Auf einem der Steine ist eine Hafenszene zu sehen, auf dem zweiten eine halbnackte Mänade mit einer Theatermaske. Letzteres Schnitzbild dürfte etwa 50-25 v.u.Z. in Griechenland entstanden sein, die Schiffdarstellung ist ungefähr 1900 bis 2100 Jahre alt. Der Kaiser hatte also zwar eine mit christlicher Symbolik aufgeladene Krone auf seinem Kopf, im Nacken jedoch ohne es zu wissen eine heidnische Dionysos-Anhängerin. Weitere Steine zeigen Bohrungen von einer früheren Verwendung. Das bedeutet, dass die Krone in ihren Einzelteilen weitaus älter ist als bisher bekannt.

Das Intaglio mit Darstellung einer Mänade mit Theatermaske stammt von etwa 50–25 v. u.Z. Der Stein sitzt in der Nackenplatte des Kronreifs.
Foto: KHM-Museumsverband

Auch die Niello-Einlagen auf der Rückseite des Stirnkreuzes wurden analysiert und mit jenen auf dem ebenfalls in der Schatzkammer befindlichen Reichskreuz verglichen. Die Signaturen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten: Die Niellomasse des Kreuzes auf der Krone enthält im Gegensatz zum Reichskreuz Bleisulfide. Offenbar wurden unterschiedliche Rezepturen verendet. Ein enger Zusammenhang der Objekte lässt sich daher nicht bestätigen, aber auch nicht widerlegen.

Partner

Möglich ist die kostenintensive Forschung nur mit Hilfe von Unterstützern. Das KHM konnte für das 1,3 Millionen Euro teure Projekt die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Rudolf-August Oetker-Stiftung als Partner gewinnen. Neben Geldern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Kulturministerium kamen über private Spender rund 150.000 Euro zusammen – sozusagen ein erfolgreiches "Crownfunding".

Die rechten Schläfenplatte war einst gebrochen und wurde auf der Innenseite mithilfe eines bogenförmigen Goldblechs repariert.
Foto: KHM-Museumsverband

Langer Weg nach Wien

Dass die Reichskleinodien in Wien sind, ist übrigens mehr Zufall als historisch zwingend. Ursprünglich auf dauernder Wanderschaft wurden die identitätsstiftenden Objekte schließlich den Nürnbergern 1424 "auf ewige Zeiten, unwiderruflich und unanfechtbar" anvertraut. Dies sollte Papst Martin V. zufolge jedoch enden, wenn die Nürnberger vom rechten Glauben abfallen würden. Die Reformation ein Jahrhundert später änderte jedoch nichts am Aufbewahrungsort. Erst als Napoleons Truppen 1796 die Stadt bedrohten, wurde der Schatz aus Nürnberg gebracht und landete schließlich in Wien. Ein Jahrzehnt später endete das Heilige Römische Reich, Kaiser Franz II. legte die Krone nieder und regierte künftig als Franz I. von Österreich.

Die Email-Tafel mit der Darstellung
des biblischen Königs Ezechias mit dem Propheten Jesaias.
Foto: KHM-Museumsverband

Die Reichskleinodien verblieben in Wien, bis Adolf Hitler sie nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wieder nach Nürnberg zurückbringen ließ. Dies stellte einen Versuch dar, mit dem proklamierten "tausendjährigen Reich" an das ein Jahrtausend bestehende Heilige Römische Reich anzuknüpfen. Bekanntlich endete das tausendjährige Reich aber bereits nach wenigen Jahren, und die US-amerikanischen Befreiungstruppen brachten die Kunstschätze wieder nach Wien, wo sie sich seit 1946 wieder befinden – vielleicht "auf ewige Zeiten, unwiderruflich und unanfechtbar". Über eine Restitution wird jedenfalls nicht ernsthaft nachgedacht.

Ausstellung und Film geplant

Martin Hoernes, der Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, ist Kunsthistoriker – und gebürtiger Nürnberger. Für ihn ist eine Restitution dennoch kein Thema: das Wichtigste sei, dass die Reichskleinodien in einem Museum angemessen aufbewahrt werden und der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Zum Kernensemble der Reichskleinodien gehört neben der Reichskrone unter anderem auch der Reichsapfel und das Reichsschwert.
Foto: KHM-Museumsverband

Im Anschluss soll das Projekt 2025 in eine eigene Ausstellung münden. Auch ein Dokumentarfilm ist geplant. Auch eine Neuaufstellung der Schatzkammer ist angedacht, es fehlt aber noch die entsprechende Finanzierung. Die Schatzkammer stellt die Keimzelle der kaiserlichen Sammlungen dar. KHM-Direktorin Sabine Haag bezeichnet sie als das "Haus der Geschichte vor dem Haus der Geschichte": hier ist ein Streifzug durch ein Jahrtausend europäischer Geschichte erlebbar. (Michael Vosatka, 4.2.2023)

Auch die Innenseite der Krone wurde einem kompletten Scan unterzogen.
Foto: KHM-Museumsverband
Die linke Schläfenplatte der Krone.
Foto: KHM-Museumsverband
Kunsthistorisches Museum Wien