ORF beschränken: Corinna Drumm ist seit 2010 Geschäftsführerin des Privatsenderverbands VÖP, davor leitete die Betriebswirtin Sat 1 Österreich.

Foto: VÖP / Michael Gruber

Mit einer Milliarde Umsatz ist der ORF größter Medienkonzern im Land, größer als alle privaten Rundfunkunternehmen in Österreich zusammen – von ProSiebenSat1Puls4 mit ATV über den RTL-Vermarkter IP, Servus TV und Sky bis zur Antenne Vorarlberg. Wie sehen die Privatsender die Verhandlungen über ein neues ORF-Gesetz, das dem öffentlich-rechtlichen Riesen eine neue öffentliche Finanzierung nach der GIS sichern soll?

Corinna Drumm ist Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Privatsender, kurz VÖP. Der ORF solle auf klar öffentlich-rechtliche Angebote reduziert werden, fordert sie im Interview.

STANDARD: Finanzierungskrise, dreistellige Millionenbeträge Sparbedarf, neue GIS-Lösung: Der ORF scheint gerade an einem entscheidenden Punkt für seine Zukunft. Und weil der ORF der dominierende Medienkonzern in Österreich ist, bedeutet das auch Weichenstellungen für den gesamten Markt, vor allem den Audio- und Videomarkt in Österreich. Wie sehen eigentlich die – wesentlich betroffenen – privaten Rundfunkunternehmen diese ORF-Zukunft?

Drumm: Es ist richtig, dass der Druck auf den ORF steigt. Die Finanzierung muss infolge des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs zur GIS neu geregelt werden, und – nicht anders als private Medien – auch den ORF treffen Kostensteigerungen und Inflation. Der größte Druck auf den ORF kommt aber, denke ich, von der Seite der Nutzerinnen und Nutzer: Relevanz und Nutzung der ORF-Angebote sinken, nicht erst seit gestern.

STANDARD: Der ORF würde jetzt widersprechen und auf noch immer 35 Prozent Marktanteil im TV, rund 70 Prozent Marktanteil im Radio und Marktführerschaft online verweisen.

Drumm: Wenn die Österreicherinnen und Österreicher den Mehrwert des ORF nicht mehr sehen, weil viele ORF-Angebote austauschbar geworden sind, dann delegitimiert das die öffentliche Finanzierung durch GIS-Gebühren, und immer mehr Menschen melden sich ab. Das Problem lässt sich aus meiner Sicht nur lösen, wenn das ORF-Angebot einen echten Mehrwert gegenüber privaten Rundfunk- und Online-Abrufangeboten bietet. Das bedeutet, dass mit der Finanzierungsproblematik auch der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF überarbeitet und klarere Regeln definiert werden müssen.

STANDARD: Wenn wir schon bei den Gebühren sind: Wie stehen die Privatsender eigentlich grundsätzlich zur öffentlichen Finanzierung von – 2023 geplanten – 676 Millionen Euro? Ist das sinnvoll?

Drumm: Die Frage, ob diese Höhe angemessen ist, hängt davon ab, welche Leistungen damit verbunden sind. Die Forderung des ORF nach mehr Geld – von bis zu 750 Millionen Euro war unlängst die Rede – geht ja davon aus, dass der ORF im Rundfunk weitermacht wie bisher und zusätzlich sein Online-Angebot erweitert. Im öffentlich-rechtlichen Programm wird vieles gesendet, wofür es heute keinen ORF mehr braucht, es sollte also eigentlich mit weniger Geld gehen.

STANDARD: Auf welche ORF-Angebote kann man denn aus Sicht der Privaten verzichten?

Drumm: Der ORF sollte in TV und Radio Inhalte anbieten, die nicht ohnehin von privaten Medien angeboten werden: Stundenlange US-Serien und Blockbuster in ORF 1 oder das wie ein Privatsender gestaltete Ö3 bieten diesen Mehrwert ebenso wenig wie die Übertragung internationaler Sportbewerbe, die gebührenfrei auf Privatsendern gesehen werden können. Ich verstehe, dass viele, vor allem junge Nutzerinnen und Nutzer, sagen: Das bekomme ich auch woanders. Der Schwerpunkt der ORF-Programme müsste viel stärker auf österreichischen Inhalten liegen, Information, Bildung und Kultur sowie Sport, falls er sonst nicht verfügbar ist. Im Bereich Unterhaltung sollte vor allem auf Eigenproduktionen gesetzt werden. So wird der ORF unverwechselbar, was seine Relevanz stärkt.

STANDARD: Der ORF würde vermutlich dagegenhalten mit: Nur Eigenproduktion in dem Umfang ist nicht möglich, weil vielfach teurer als Kaufware. Was sagen Sie dazu?

Drumm: Das Kostenargument trägt aus meiner Sicht nicht. Das beweist der ORF selbst, indem er es schafft, interessantes Public-Value-Programm zum Beispiel auf ORF 3, ORF Sport Plus oder FM4 anzubieten – sicherlich um weniger Geld, als ihn ORF 1 oder Ö3 kosten. Warum können diese Inhalte nicht in den Vollprogrammen gezeigt werden?

STANDARD: Wie stehen die Privatsender eigentlich dazu, dass der ORF künftig für Streaming produzieren will, online only oder online first, und zudem noch intensiver auf Social Media präsent sein?

Drumm: Das sehen wir kritisch, weil der ORF mit seinen 670 Millionen Euro Gebühren jedes Alternativangebot verdrängen kann. Für uns ist klar, dass die Grenzen des Onlineangebots viel präziser definiert sein müssen, als das derzeit für TV und Radio der Fall ist, und dass diese Grenzen eindeutig überprüfbar sein müssen. Außerdem braucht es dann auch einen Ausgleich für kommerzielle Rundfunkanbieter, etwa in Form von Werbebeschränkungen. Den Wunsch nach mehr Social-Media-Aktivität kann ich ohnehin nicht zur Gänze nachvollziehen, denn je mehr ORF-Inhalte auf Facebook etc. sind, umso stärker schwächt dies die eigenen ORF-Onlineangebote wie z. B. die TVthek. Wenn überhaupt, dann sollte es für den ORF doch darum gehen, die Nutzerinnen und Nutzer mit Inhalte-Teasern zurück auf die eigenen Plattformen zu holen.

STANDARD: Sie haben vorhin gesagt, der ORF müsse mit weniger Geld auskommen. Nun hat die Medienministerin dem ORF schon vermittelt, dass er deutliche Einsparungen vornehmen muss. Kolportiert werden Sparpakete im Volumen von 250 Millionen Euro binnen fünf Jahren. Die Privatsender haben nach meinem Informationsstand in den Branchenverhandlungen über das ORF-Gesetz auch schon Kürzungen untergebracht: Werbebeschränkungen, etwa für Ö3.

Drumm: Im ORF läuft schon viel zu viel Werbung, gerade in den Hauptsendezeiten. Die Werbung im ORF sollte reduziert werden. Und erst wenn das erfolgt ist, kann man über mehr staatliche Mittel nachdenken. Das aber nur unter der Voraussetzung eines durchgängigen Public-Value-Programms ohne reine Kommerzinhalte und mit einem geringeren Werbeanteil. Es wäre doch ein logischer und sinnvoller Weg zu einem neuen ORF-Gesetz, wenn man erst den Auftrag des ORF zukunftsfit macht und das öffentlich-rechtliche Profil des ORF schärft, und erst dann, im Anschluss, die Finanzierungsfrage beantwortet. Der ORF sollte schließlich weder unterfinanziert noch überfinanziert sein.

STANDARD: Die Privatsender werden aber doch eine Meinung zur künftigen Finanzierungsform des ORF haben. Ab 2024 muss die öffentliche Finanzierung ja laut Verfassungsgerichtshof auch Streamingnutzung umfassen. Welches Modell wäre aus der Konkurrenzsicht sinnvoll?

Drumm: Aus Konkurrenzsicht ist es nicht relevant, woher genau das staatliche Geld kommt. So oder so ergibt sich daraus eine Wettbewerbsverzerrung. Wichtig ist, dass der ORF nicht mehr erhält, als für den öffentlich-rechtlichen Auftrag braucht. Denn jeder Euro, den der ORF dafür verwendet, Konkurrenten zu schaden, statt inhaltlichen Mehrwert zu liefern, ist ein Euro zu viel.

STANDARD: Verwendet der ORF Geld, um Konkurrenten zu schaden? Wie?

Drumm: Zu einer Zeit, als es neben dem ORF kein Privatradio und kein Privatfernsehen gab, war es gut und richtig, mit GIS-Gebühren internationale Programmhits einzukaufen und zu übertragen. Heute ist eine staatliche Sonderfinanzierung für diese Inhalte einfach nicht mehr zu rechtfertigen. Ebenso wenig, übrigens, wie Plakatkampagnen, um die Marke Ö3 zu stärken. Aus Konkurrenz- und Wettbewerbssicht wünschen wir uns daher für die Zukunft eine externe, unabhängige Stelle, die den tatsächlichen Finanzbedarf des ORF prüft und die Höhe der Abgeltung vorschlägt – voll transparent für die Öffentlichkeit.

STANDARD: Gibt es dafür nicht schon seit 2010 eine unabhängig gestellte Medienbehörde Komm Austria?

Drumm: Die Rolle der Komm Austria ist diesbezüglich sehr stark eingeschränkt. Sie prüft nicht, ob die Höhe der beantragten Gebühren dem tatsächlich zu erwartenden Bedarf entspricht.

STANDARD: Eine Lieblingsvariante für die künftige ORF-Finanzierung kann ich Ihnen nicht entlocken? Es scheint in den Verhandlungen nun Richtung Haushaltsabgabe zu gehen, aber pro Haushalt in geringerem Umfang als die GIS heute.

Drumm: Bei der Diskussion über die Finanzierung des ORF muss man jedenfalls den gesamten Markt im Blick behalten. Aus unserer Sicht ist die Erhöhung der Privatrundfunkförderung angesichts der steigenden Bedrohung des Markts durch die großen Onlineplattformen mindestens ebenso wichtig, um die Vielfalt des Angebots zu erhalten.

STANDARD: Kolportiert wird da die Forderung von 50 Millionen Privatrundfunkförderung statt derzeit 20 Millionen pro Jahr?

Drumm: Im Moment beträgt der Fördertopf für alle Privatsender gemeinsam gerade einmal drei Prozent der ORF-Programmentgelte. Viele Projekte, die wir bei der RTR einreichen, können nicht oder nur zu einem geringen Teil gefördert werden. Tolle Projekte, die ausschließlich in Österreich produzierte Inhalte betreffen, bleiben auf der Strecke. Das ist schade und sollte geändert werden. Bei allem Fokus auf den ORF darf das wichtigste Ziel nicht aus den Augen verloren werden: Staatliche Maßnahmen sollen der Medienvielfalt und der Qualität des Medienangebots dienen. Das ist für das Funktionieren der Demokratie von ganz grundlegender Bedeutung. Jede Änderung der ORF-Rahmenbedingungen beeinflusst die Privatsender unmittelbar – doch gerade die sorgen für Programm- und Meinungsvielfalt. Daher darf der Blick nicht nur auf die Probleme des ORF gerichtet sein, sondern man muss stets den ganzen Medienmarkt berücksichtigen und absichern. (Harald Fidler, 7.2.2023)