Krank, aber trotzdem arbeiten? Der Dachverband der Sozialversicherungen, der die heimischen Kranken-, Pensions- und Unfallversicherungen koordiniert, steht im Verdacht, Bedienstete genau dazu zu drängen.

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Es sollte ein Dankeschön zum Jahresende sein: Wie andere Unternehmen auch nutzte der Dachverband der Sozialversicherungen die Möglichkeit, an die Belegschaft eine steuer- und abgabenfreie Teuerungsprämie auszubezahlen. Doch das Präsent löste nicht nur Freude aus. Denn während 181 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die 200 Euro erhielten, schauten 66 durch die Finger.

Einen "Skandal" nennt ein Bediensteter die Art und Weise, wie das Geld verteilt wurde. Was er damit meint, geht aus einem Mail der Personalabteilung hervor, das dem STANDARD vorliegt. In den Genuss der Prämie kam demnach nur, wer 2022 zumindest ein halbes Jahr anwesend war und in den letzten beiden Jahren weniger als 35 Krankenstandstage verbuchte, wobei auch Kuraufenthalte und Corona-Quarantäne mitzählen. Für den leer ausgegangenen Mitarbeiter sind diese Kriterien schlicht eine "Sauerei" – und "grob rechtswidrig" obendrein.

Arbeiten trotz Erkrankung?

Ein Anruf bei Martin Gruber-Risak bestätigt diese Vermutung. Sogenannte Anwesenheitsprämien seien hierzulande verboten, sagt der Arbeitsrechtsprofessor von der Uni Wien und verweist auf entsprechende Entscheidungen der Höchstgerichte. Derartige Belohnungen setzten einen Anreiz, dass Menschen trotz Erkrankung arbeiten gingen: Dies diskriminiere chronisch Kranke und unterlaufe den Zweck der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Im Prinzip will Dejana Ivkovic gar nicht widersprechen. Ja, Anwesenheitsprämien seien tatsächlich inakzeptabel, sagt die Leiterin der Personalabteilung im Dachverband – doch darum handle es sich eben nicht. Weil die Teuerungsprämie nie vorab angekündigt und erst gegen Jahresende beschlossen worden sei, habe es auch keinen Anreiz gegeben, trotz Krankheit arbeiten zu gehen. Aus Einsparungen bei den Personalkosten sei Geld übrig geblieben, sagt Ivkovic: "Dieses wollten wir an jene weitergeben, die auch deshalb stark belastet waren, weil sie die Arbeit ausgefallener Kolleginnen und Kollegen mit erledigt haben."

Also doch alles rechtens? Gruber-Risak widerspricht. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe ändert an seiner Einschätzung nichts: Ein Bonus wie dieser habe ja auch für die Zukunft den Effekt, dass sich Bedienstete überlegen würden, auf Krankenstand zu verzichten. Der Fehler müsse behoben werden, indem auch die leer Ausgegangenen die Prämie bekämen, sagt der Experte und kann sich einen unjuristischen Nachsatz nicht verkneifen: "Dass ausgerecht der Dachverband der Sozialversicherungen, noch dazu nach zwei Jahren Pandemie, eine solche Prämie ausschüttet, halte ich auch abseits der rechtlichen Einschätzung für unpassend."

Begrenzte Lust auf Antwort

Ivkovic findet das nicht. Es sei überhaupt nicht gesagt, dass es noch einmal eine solche Prämie gebe, folglich bestehe auch pro futuro kein bedenklicher Anreiz, argumentiert die Personalchefin. Vielmehr habe es sich um eine "einmalige Aktion" gehandelt, die mit dem Betriebsrat abgesprochen worden sei. Eben dort will man auf Anfrage zur Causa aber nicht Stellung nehmen, sondern empfiehlt lediglich, in der Führungsebene nachzufragen.

DER STANDARD tat dies nicht nur im Management des Dachverbands, sondern auch in der übergeordneten Konferenz der Sozialversicherungsträger. Er gehe davon aus, dass selbstverständlich alles rechtens sei, sagt Peter Lehner, als Arbeitgebervertreter einer der beiden Vorsitzenden. Arbeitnehmerpendant Ingrid Reischl, leitende Sekretärin des Gewerkschaftsbundes, will kein Urteil abgeben, ehe sie sich ein genaueres Bild gemacht hat.

Politisch umstrittene Leitung

Verantwortlich für die Konstruktion der Prämie zeichnet die Büroleitung des Dachverbands, die im Zentrum politischer Turbulenzen steht. Als die türkis-blaue Regierung die Sozialversicherung in höchst umstrittener Manier umbaute, wurde das Management neu besetzt, doch von dem Duo ist nur mehr die Hälfte übrig. Seit der von der FPÖ unterstützte Leiter Martin Brunninger suspendiert wurde, weil er – von ihm bestritten – gegen Geschäftsordnung und Dienstpflichten verstoßen haben soll, hält der ÖVP-nahe Stellvertreter Alexander Burz allein die Stellung.

Doch beide Posten mussten nun neu ausgeschrieben werden. Nach Beschwerde der Arbeitnehmervertreter stellte der Verwaltungsgerichtshof Bedenkliches fest: Die Bestellungen seien in Sitzungen mit nur zehn Minuten Abstand durchgedrückt worden, Gewerkschaftsvertreter seien zu spät oder gar nicht eingeladen worden und hätten keine ausreichende Chance auf Studium der Unterlagen gehabt. Conclusio der Höchstrichter: eine rechtswidrige Kür. (Gerald John, 1.2.2023)