Mehr als zwölf Stunden brüteten die Geschworenen über den Urteilen gegen die sechs mutmaßliche Komplizen des Jihadisten K. F., der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und etliche weitere verletzt hatte. Und es kam zu Überraschungen: Zwei Angeklagte wurden von einer mutmaßlichen Beihilfe zum Mord gänzlich freigesprochen. Ansonsten setzte es Schuldsprüche – bei einem Beschuldigten fiel allerdings die IS-Terrorkomponente weg. Die Urteile sind nicht rechtskräftig.

VIDEO: Terroranschlag in Wien: Lebenslange Haft für zwei Komplizen
DER STANDARD
  • Arijanit F. (22) Der Kosovare fuhr den Jihadisten K.F. in die Slowakei. Dort versuchte der spätere Attentäter vergeblich, an Munition für ein Sturmgewehr zu gelangen. Als Beitragstäter sahen die Geschworenen F. aber nicht. Sie sprachen ihn von der angeklagten Mordbeihilfe frei. Übrig blieb bei ihm Terrorpropaganda und die terroristische Vereinigung. Es geht um eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt.

  • Ismail B. (22) und Burak K. (24) Die beiden besuchten ihren engen Freund, den späteren Attentäter K. F., noch am Tag des Anschlags und sollen ihn in Bezug auf die Tatbegehung bestärkt haben. Burak K. soll zudem probiert haben, für den späteren Attentäter gefälschte Identitätsdokumente für eine erneute Ausreise zu besorgen. Ismail B. wurde von der mutmaßlichen Beitragstäterschaft freigesprochen, allerdings nicht von der Terrorpropaganda, was einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, entspricht. Für Burak K. setzte es hingegen wegen Mordes eine nicht rechtskräftige 20-jährige Freiheitsstrafe.

  • Heydayatollah Z. (28) Der afghanischstämmige Mann gilt als enger Komplize des Attentäters. Heydayatollah Z. wohnte nicht nur unmittelbar vor dem Anschlag für einige Wochen in der Wohnung des Attentäters. Z.s DNA wurde außerdem auf sämtlichen Tatwaffen sichergestellt. Er fasste wegen Mordbeihilfe eine nicht rechtskräftige lebenslange Freiheitsstrafe aus.

  • Adam M. (32) Der Tschetschene gestand, dem späteren Terroristen Waffen samt Munition vermittelt und übergeben zu haben. Handydaten legen zudem die Vermutung nahe, dass sich M. am Tag vor dem Anschlag in der Wohnung des Attentäters befunden haben könnte. M. wurde wegen Mordes nichts rechtskräftig schuldig gesprochen – allerdings ohne die Terrorkomponente. Ihm konnte keine Verbindung zum IS nachgewiesen werden. Eine noch nicht rechtskräftige lebenslange Freiheitsstrafe bekam er trotzdem.

  • Ishaq F. (22) Der Kindheitsfreund des Attentäters gestand, aus der Zelle heraus für K. F. den Draht zu Waffendealer Adam M. eingefädelt zu haben. Gleichzeitig erzählte er davon, dass K. F. bereits im Gefängnis über einen Terroranschlag fantasiert habe. Der Angeklagte wurde zuvor bereits zweimal wegen Terrordelikten verurteilt. F. wurde von den Geschworenen als Beitragstäter zu einer 19-jährigen Freiheitsstrafe nach dem Jugendgerichtsgesetz schuldig gesprochen.
Das Ende des Wiener Terrorprozesses zog sich bis in die Nacht auf Donnerstag hinein.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Vor der Urteilsprechung kamen noch ein letztes Mal die Angeklagten zu Wort. Arijanit F., der Erstangeklagte, war noch im Gerichtsaal nervös auf- und abgegangen und probte seinen abschließenden Auftritt. Währenddessen bekundete die Staatsanwältin dem Gerichtszeichner ihr Kaufinteresse für zumindest eines seiner Bilder. Ehe F. tief Luft holte und sichtlich zitternd ins Mikrofon sprach: "Mein tiefstes Beileid an die Hinterbliebenen, die bisher zu kurz gekommen sind."

Er sprach vom Problem, dass er früher mit allen auf "Bruder und Bruder" gemacht und dabei auch viele "Arschlöcher" kennengelernt habe. Sein Auto, mit dem er den späteren Attentäter in die Slowakei chauffierte, sei sein "ganzer Stolz" gewesen, ein Traum, den er sich mit Jobs neben der Lehre habe erfüllen können. "Überall, wohin man mich gerufen hat, bin ich hingefahren", sagte F. Den Terroristen will er gar nicht so gut gekannt haben, obendrein sei dieser ein sehr verschlossener Charakter gewesen. Und: "Wie soll einer wie ich, der den IS verteufelt, sich nie etwas zuschulden kommen ließ, Monate davor jemanden intellektuell bestärken, der schon zuvor versucht hat, nach Syrien zu reisen, um sich dem IS anzuschließen?", sagte F. Hätte er von den Anschlagsplänen gewusst, "hätte ich es gemeldet, aber sowas von".

Die beiden Angeklagten Ismail B. und Burak K. entschlossen sich dazu, gar nichts mehr zu sagen. Dafür griff der Viertangeklagte, Heydayatollah Z., noch einmal zum Mikrofon und holte weit aus. "Ich habe Vorstrafen, ich habe Fehler gemacht", sagte er. Dabei ging es etwa um Körperverletzung, Raub und Suchtmittel. Terrordelikte waren bisher kein Thema. Z. zweifelte nach wie vor seine DNA-Spuren an, die auf sämtlichen Waffen sichergestellt wurden. "Ich bin unschuldig", sagte Z. zu den Geschworenen. "Aber es gibt auch Dinge im Leben, auf die man keinen Einfluss hat, man kann mit 120 km/h ins Schleudern geraten und gegen einen Baum knallen, das passiert, aber auch, dass man überlebt." Z. sah sich als jemanden, der im Laufe der Ermittlungen gegen den Baum geknallt sei. Den Anschlag erwähnte Z. mit keiner Silbe.

Der Fünftangeklagte, der Waffenvermittler Adam M., will wiederum "sicher nie" etwas mit Terrorismus zu tun gehabt haben, "werde ich auch nicht". Weder das FBI noch der Verfassungsschutz hätten dazu etwas gefunden. Er sei Security gewesen, habe Hollywoodstars und Spitäler bewacht, sei bei Raiffeisen als Eventmanager tätig gewesen und habe bei Marathons Barrikaden aufgebaut, "damit kein Auto vorbeikann". Dass der Slowene Marsel O., den der Tschetschene als seinen Waffenkontakt belastet hatte, kein Angeklagter im Wiener Terrorprozess ist, argumentierte M. im Staccato: "Reich, Kontakte und politische Unterstützung."

"Hätte ich gewusst, zu was er (der Attentäter, Anm.) fähig ist, hätte ich die verdammte Nummer nie weitergegeben", beendete der Kindheitsfreund des Attentäters, Ishaq F., die Schlusswortrunde. F. legte letztlich aus dem Gefängnis heraus den Draht zum Angeklagten Adam M. "Ich muss damit leben, danke schön." (Jan Michael Marchart, 1.2.2023)