Raus aus dem Käfig der Angstspirale!

Foto: Collage von Fatih Aygdogu

Die berufliche Selbstbehauptung kennt keine Atempausen mehr", sagt der Coach und Geschäftsführer der Münchner Coverdale-Unternehmensberatung, Thomas Weegen. "Es gibt keine wirklich festgefügte Wirklichkeit im Arbeitsleben mehr." Darauf wies auch der unlängst verstorbene Zeitforscher Karlheinz A. Geißler hin: "Dass morgen gestern nicht weitergeht, wir aber nicht so richtig wissen, wie soll und wird es weitergehen, auf diese das Geschehen bestimmende Ungewissheit sollten wir uns einstellen." Der Schweizer Wirtschaftswissenschafter Bruno S. Frey bringt das Ganze auf Punkt: "Beruflich wie privat muss das Lebensglück mithin irgendwie in der Bewährung und Behauptung in dieser permanenten Unsicherheit gefunden werden."

Und das dürfte nicht immer ganz leichtfallen, denn die sich aus der Ungewissheit ergebende Unsicherheit löst Ängste aus. Nun gehört Angst unvermeidlich zu unserem Leben, schreibt der Psychoanalytiker Fritz Riemann (1902–1972) in seinem Klassiker Grundformen der Angst. Riemann erinnert daran, dass alles Neue, Unbekannte, erstmals zu Tuende oder zu Erlebende neben dem Reiz des Neuen, der Lust am Abenteuer und der Freude am Risiko eben auch Angst enthält. "Das Erlebnis Angst gehört also zu unserem Dasein", betont Riemann. "Wenn wir Angst einmal ohne ‚Angst‘ betrachten, bekommen wir den Eindruck, dass sie einen Doppelcharakter hat: Einerseits kann sie uns aktiv machen, andererseits kann sie uns lähmen. Angst ist immer ein Signal und eine Warnung bei Gefahren, und sie enthält gleichzeitig einen Aufforderungscharakter, nämlich den Impuls, sie zu überwinden."

Erste Schritte

Und so bedeute das Annehmen und Meistern der Angst einen Entwicklungsschritt, lasse uns ein Stück reifen. Hingegen lasse das Ausweichen vor ihr und vor der Auseinandersetzung mit ihr uns stagnieren: "Es hemmt unsere Weiterentwicklung ... Ängste gehören gleichsam organisch zu unserem Leben, weil sie mit körperlichen, seelischen oder sozialen Entwicklungsschritten verbunden sind ... Immer bedeutet ein solcher Schritt eine Grenzüberschreitung und fordert von uns, uns von etwas Gewohntem, Vertrautem zu lösen und uns in Neues, Unvertrautes zu wagen." Deshalb heißt denn auch für den mit menschlichen Nöten und Sorgen wohlvertrauten Wiener Psychoanalytiker Alfred Kirchmayr die Grundfrage im Umgang mit Ängsten: "Gebe ich mich diesen Ängsten hin, oder gehe ich mit diesen Ängsten um?"

Für den Umgang mit Ängsten ist für ihn eine Bemerkung des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard besonders wegweisend: "Hingegen möchte ich sagen, dass dies ein Abenteuer ist, das jeder Mensch zu bestehen hat: Angst haben zu lernen, damit er nicht verloren sei, entweder dadurch, dass ihm nie angst gewesen ist, oder dadurch, dass er in der Angst versinkt; wer daher gelernt hat, auf die rechte Weise Angst zu haben, der hat das Höchste gelernt." Auch Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, sei davon überzeugt gewesen, "dass das Angstproblem ein Knotenpunkt ist, an welchem die verschiedensten und wichtigsten Fragen zusammentreffen, ein Rätsel, dessen Lösung eine Fülle von Licht über unser ganzes Seelenleben ergießen müsste".

Freuds Unterscheidung von Realangst und neurotischer Angst, erläutert Kirchmayr, brachte tiefe Einsichten in das vielfältige und komplexe Phänomen menschlicher Ängste. "Realangst ist die Reaktion auf die Wahrnehmung einer äußeren Gefahr. Sie ist eine Äußerung des Selbsterhaltungstriebes und signalisiert, dass etwas geschehen muss, weil Gefahr droht. Aber die Angstentwicklung, also der Angstaffekt, darf nicht zu stark werden, sonst wird die Handlungs- und Reaktionsfähigkeit gehemmt beziehungsweise gelähmt." Im Unterschied zur Realangst äußere sich neurotische Angst in vielfältiger Weise. Vor allem drei Formen seien zu unterscheiden: die freiflottierende Angst des Angstneurotikers, die Gruppe der Phobien, also die übermäßige Angst vor einem Objekt, zum Beispiel Spinnen, oder einer Situation, zum Beispiel dem Fliegen, und schließlich die Angstattacken bzw. spontanen Angstanfälle, die scheinbar aus heiterem Himmel kommen.

Mehr Verständnis im Job gefordert

Als sehr bedenklich im Umgang mit Ängsten stuft Kirchmayr die heute vorherrschende Verhaltensweise ein, "in allem und überall nur die Gefahren, die Bedrohungen, die Risiken zu sehen, stets alarmistisch nur das Negative hervorzuheben und es zu übertreiben. Leider ist das zum großen Schaden der psychischen Stabilität zur Gewohnheit geworden. Das behindert den Umgang mit Ängsten und überhaupt mit wie auch immer gearteten Problemen ganz enorm und tut weder dem einzelnen Menschen noch der Gesellschaft insgesamt gut." Denn vieles, was Ängste auslöse, lasse sich in Ausgangspunkte für Lösungen verwandeln und zum Anstoß einer befreienden Persönlichkeitsentwicklung machen.

Dieser Aspekt, sagt Berater Weegen, müsse im Berufsleben viel stärker in Betracht gezogen werden: "Wir brauchen in der Arbeitswelt weit mehr Verständnis für Ängste. Schließlich ist der psycho-mental weniger angespannte Umgang mit den enormen Veränderungen eine Voraussetzung dafür, die Auseinandersetzung mit dem Neuen zu erleichtern und dadurch die persönliche Entwicklung und die notwendige Veränderungsbereitschaft zu unterstützen."

Epiktet, der als Sklave nach Rom gekommene antike Philosoph der römischen Kaiserzeit, legte seinen Schülern ans Herz: "Wohin du deine Aufmerksamkeit richtest, bestimmt, wer du wirst. Wenn du nicht selbst bestimmst, mit welchen Gedanken und Bildern du deinen Kopf füllst, werden es andere für dich bestimmen."

Innere Bilder, erläutert der Neurowissenschafter Gerald Hüther von der Göttinger Akademie für Potenzialentfaltung, "das sind all die Vorstellungen, die wir in uns tragen und die unser Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. Aufgrund dieser inneren Bilder erscheint uns etwas schön und anziehend oder hässlich und abstoßend. Die Macht dieser inneren Bilder ist enorm. Sie formen das Empfinden, das Denken und das Handeln, sie steuern einen Menschen." Und genau darin liegt für den Therapeuten Kirchmayr die Chance der Aufmerksamkeitslenkung, sich nicht von den inneren Bildern immer tiefer in Ängste der Ungewissheit manövrieren und verstricken zu lassen, sondern sich durch ganz bewusste Aufmerksamkeitslenkung selbst zu steuern und sich dadurch aus dem Klammergriff von Ungewissheit und Angst zu befreien.

Das Gehirn kann´s

"Wissen Sie eigentlich, was eine der meistunterschätzten Leistungen unseres Gehirns ist?", fragt Volker Busch. Er ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und erforscht als Leiter einer neurowissenschaftlichen Arbeitsgruppe an der Universität Regensburg mit seinem Team die psychophysiologischen Zusammenhänge von Stress, Schmerz und Emotionen und arbeitet therapeutisch mit Menschen, die unter Belastungen verschiedenster Art leiden.

Der Professor lüftet das Geheimnis: "Es ist nicht unsere Intelligenz, unsere Kreativität oder unser Mut! Es ist vielmehr unsere Aufmerksamkeit, also die Fähigkeit, sich einer Sache zuzuwenden (Orientierung), aus dem Strom der Wahrnehmungsinhalte etwas Relevantes auszuwählen (Selektion) und sich mit seinen Sinnen ganz auf diese Sache einzulassen und zu fokussieren (Konzentration). Eine gute Selektion (der Gedanken) und eine gute Konzentration (der Aufmerksamkeit) belohnt das Gehirn mit einer Leistungssteigerung und gleichzeitig mit einem Gefühl von mehr Gelassenheit und Zufriedenheit!" (Hartmut Volk, 12.2.2023)