Die Autorin gestattet sich selbst und ihrer Leserin Momente des Comic Relief.

Foto: Marija Kanizaj

Ein Text, in dem die Wörter "Pallawatsch", "Ellipse" und "Lebensarbeitszeitdurchrechnungszeitraumkonten" in schönster, nahezu natürlicher Eintracht nebeneinander bestehen – wer außer Marlene Streeruwitz brächte das zuwege? Das erste Vokabel gehört zum Wortschatz der Großmutter, das zweite zu dem der Enkelin, das dritte zu dem der Mutter.

Oma Christl denkt in einem kurzen Romanteil an andere "Tage im Mai", an das Kriegsende 1945, das Durcheinander in Wien, dem sie ihre Existenz verdankt. Ihre Tochter Konstanze, Mitte fünfzig, freiberufliche Übersetzerin, sieht sich durch die Pandemie beruflich aus der Bahn geworfen und steuert auf die Mindestpension zu. Und ihre Tochter Veronica, genannt Nizzi, hat gerade ein Rhetorik-Proseminar absolviert oder eigentlich: nicht absolviert, weil sie bei der Prüfung via Zoom ein Blackout hatte.

Jetzt jobbt sie als Rezeptionistin in einem seltsamen Wiener Innenstadthotel und profitiert vom Gelernten: "Sie konnte jede hereinkommende Person stilistisch beschreiben." Ein Versicherungstyp zum Beispiel spricht in Ellipsen. "Der warf so Wortbrocken vor sich hin. Selbstgespräche. Stakkato. Ein ziemlich diffragiertes Selbst kam da zutage." Dass Streeruwitz damit ihr eigenes Stilmarkenzeichen zitiert, liegt auf der Hand. Das diffrakte, zerbrochene Ich erweist sich auch in Tage im Mai. als Kreuzungs- und Umschlagpunkt der Diskurse. Der Generationsroman eines beschädigten Matriarchats erzählt von der "Mütterkette" dreier unehelicher Kinder, die im Mai 2022 in eine Gegenwart multipler Krisen reicht: Corona und die Folgen, das Comeback des autoritären Staates, die Gefährdung der Demokratie, der Krieg in der Ukraine, Inflation und Energieknappheit.

Angst als Schlüsselwort

Verständlich, dass die herkömmliche Form des Romans dafür ebenso wenig ästhetisch angemessen scheint wie der grammatikalisch tadellose Satz, aber auch ein richtiger Dialogroman, wie der Untertitel verspricht, ist Tage im Mai. nicht. Das Buch gliedert sich in sieben disparate Teile. Der erste und umfangreichste bietet abwechselnd Konstanzes und Veronicas Perspektive, der zweite gibt, mäßig gerafft, den haarsträubenden Inhalt einer argentinischen Telenovela wieder, die Mutter und Tochter gemeinsam auf Netflix konsumieren; man begreift, dass das Programm ist (schließlich ist Streeruwitz seit Lisa’s Liebe (1997) Spezialistin für Kolportage-Persiflage), wünscht sich aber doch, auch beim Lesen rasch vorspulen zu können.

Der dritte Teil besteht aus einem Dialog der beiden Frauen nach dem Serien-Konsum, der vierte gehört ganz Veronica, der fünfte wiederum Konstanze, dann folgt Oma Christls kurze Gegendarstellung (sonst wird nur über sie nachgedacht und geredet) und zuletzt ein zweiter Dialog zwischen Veronica und Konstanze. Nach So ist die Welt geworden. Der Covid-19-Roman., den Streeruwitz nach dem Muster eigener Lebensumstände sozusagen pandemiebegleitend gestrickt, zunächst in Fortsetzungen auf ihrer Homepage veröffentlicht und unzimperlich als Unterhaltungsroman bezeichnet hat, stellt Tage im Mai. den Anspruch, von der subjektiven Erfahrung ein Stück abzurücken, sie zu objektivieren und zum politischen Befund einer Gesellschaft zu machen. Und das gelingt, obwohl die Autorin auch hier keinen zeitlichen Abstand zu den Ereignissen einhält, sondern ihre Diagnose stellt, während der Patient noch am offenen Herzen operiert wird.

Angst ist das Schlüsselwort des Romans, Angst in allen Formen und Varianten, beherrscht die beiden zentralen Figuren, diffus, konkret, panisch, existenziell: "Sie konnte nur ihre Vernichtungsangst herumtragen. Einsam und geheim. Angstschwangerschaft." Das ewig unausgetragene Steinkind lähmt den Lebenstrieb: "Manchmal konnte sie nichts essen. Aus Angst. Vor Angst."

Konstanze erkennt ihre Empathie als Einfallstor der Angst, sie ist keine, die bloß um die eigene Befindlichkeit kreist, sie fühlt selbstkritisch mit anderen, sie sorgt sich, nicht nur um ihre Tochter, auch um die Verlorenen der Straße. Konstanze, heute Single und "durch Regierungsmaßnahmen vereinzelt", erlebt sich als fremdbestimmt. Vor der Erinnerung an die optimistischen, erotisch knisternden Jahre nach der großen Wende, in denen "alles so mit Leben vollgestopft gewesen" war, verblasst die Gegenwart zu einer Zeit der Schlafwandler, die sich nach der Kette der Lockdowns den Dornröschenschlaf aus den Augen reiben.

Vollkommene Desillusionierung

Für Konstanze ist das Erwachen bitter, die Begegnung mit einem befreundeten Verlegerpaar aus ihrem früheren Leben in Zürich macht die Desillusionierung vollkommen. Angst kommt von Enge: "Sie wusste, wie Fische im Netz sich fühlen mussten. Sich winden. Die Maschen enger. Das Winden verzweifelter. Die Maschen noch enger."

Mutter und Tochter stimmen sich ernsthaft auf eine Mangelwirtschaft ein, schon jetzt sind Zucker und Sardellen knapp. Ihre Angst verbindet sie, noch mehr aber trennt sie und macht ein echtes Gespräch nahezu unmöglich. Veronicas Nähe zu Oma Christl, gegen die Konstanze aufbegehrt. Veronicas Trauer um ihre andere Großmutter, die in Italien den einsamen Corona-Tod starb, dokumentiert durch einen Facetime-Clip. Veronicas Veganismus, den die Mutter respektiert, weil ihr nichts anderes übrigbleibt. Veronicas Entscheidung für ein sinistres erzkatholisches Studentinnenheim, nur um nicht bei der Mutter wohnen zu müssen. Veronica ist nicht die erste junge Protagonistin in Streeruwitz’ Werk, die ihr Studium abbricht, um einen Job unter ihren Möglichkeiten zu übernehmen, aber ihre Zukunftslosigkeit ist beispiellos: "Kaputte Welt. Geile Pfarrer. Und als Ausweg Wunderheilungen."

Zwar bekommen die klerikalen Machenschaften in der Architektur des Romans ein gewisses Übergewicht, doch Veronica hat als Gegenfigur zu Konstanze eine wichtige Funktion. Alles Neurotische, Überspannte, Alarmistische der Mutter wird durch den Blick der Tochter relativiert, gar nicht böse, eher nachsichtig. Eine "Besserwisserin" nennt sie Konstanze, und man kann es ihr nicht verdenken, will die Mutter ihr doch den Gebrauch des Pronomens "man" ausreden, erklärt aber zugleich "jemand" und "niemand" für gendermäßig unbedenklich.

Marlene Streeruwitz, "Tage im Mai. Roman dialogué". € 26,80 / 384 Seiten. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2023

Konstanzes unentwegter Versuch, die Welt wenigstens in der Sprache zu retten, führt überhaupt zu Merkwürdigkeiten wie der Beschreibung eines Tischgesprächs zwischen beiden Frauen: "Als stünden sie weit voneinander entfernt und warfen diese Wortfetzen wie schwere Bälle in die Richtung der anderen Person. Bälle waren das, die dann vor der anderen Person aufschlugen und alles bespritzten. Oder der Ball prallte auf und traf die andere Person und brachte sie zum Taumeln." Da kann man sich schon fragen, ob der grammatikalische Personen-Kult samt der Ächtung des Wortes Mensch nicht ein Bärendienst am Humanismus ist.

Literarische Intervention

Denn um das Humanum, um die menschliche Würde und deren Verteidigung geht es hier letzten Endes. Immerhin ist Konstanzes Angst stets die Empörung beigesellt: "Es ist empörend, wie wir leben müssen. Fahrlässig regiert. Von Männern, die wir nicht zum Tee einladen würden." Wer überall Zeichen und Zusammenhänge sieht, ist hypersensibel – oder macht Kunst. Zum Beispiel wenn Huskys und Schäferhunde aneinandergeraten oder Huskyleute und Schäferhundleute: "‚Culture War‘ im Prater, dachte sie. (...) War nun überall Krieg?"

Tage im Mai. leistet, was nur eine literarische Intervention leisten kann: Sie untersucht die Realität, indem sie ihr ihre eigene, unvernutzte Sprache entgegenhält. Weil Marlene Streeruwitz mit ihren Mitteln souverän umgeht, gestattet sie ihren Heldinnen bei aller Düsternis Momente des Lachens und des Glücks – für Konstanze etwa, "ein bisschen", beim Verzehr von Frankfurtern mit Semmel und Senf.

Und die Autorin gestattet sich selbst und ihrer Leserin Momente des Comic Relief. Wenn etwa davon berichtet wird, dass die kompliziert ausgedachte Kunstaktion, bei der Veronica als Regentropfen auftritt, um auf die große Trockenheit aufmerksam zu machen, wiederholt wegen Dauerregens ins Wasser fällt, da meint man die Erzählerin oder: Erzählperson leise kichern zu hören. (Daniela Strigl, 4.2.2023)