Die Vergabe der "Joy Awards" an die Unterhaltungsindustrie.

Foto: Youtube/mbc

Der Großevent gehört zur "Vision 2030" von Kronprinz Mohammed bin Salman.

Foto: Saudi Press Agency/Handout via REUTERS

Organisator ist Turki al-Sheikh (links oben), ein Nachfahre Ibn Abdulwahhabs.

Foto: Youtube/mbc

Was haben ein Koranrezitations- und Gebetsrufwettbewerb und die größte Musik-, TV- und Filmshow in der arabischen Welt gemeinsam? Antwort: Beides findet in Saudi-Arabien statt und wird vom gleichen Veranstalter organisiert, der GEA, General Entertainment Authority, der saudischen Unterhaltungsbehörde.

Für "Otr al-Kalam" ("Duft der Rede") hat die Einschreibefrist begonnen: Bei der letzten Ausgabe hatten sich 40.000 Personen aus achtzig Staaten angemeldet, um beim Rezitieren heiliger Texte gegeneinander anzutreten, ganz niederschwellig, in der ersten Phase werden Videos hochgeladen. Und Ende Jänner hat in Riad die dritte Ausgabe der "Joy Awards" mit großem Tamtam und mäßig nacktem Fleisch – aber mehr, als Saudi-Arabien gewohnt ist – stattgefunden.

Zwanzig Preise wurden vergeben, wie der Name schon sagt für die "Freude", die die Unterhaltungsbranche den Menschen bereitet. Die Bespaßung einerseits und die Imagepflege andererseits sind wichtige Faktoren in der "Vision 2030", mit der Kronprinz Mohammed bin Salman Saudi-Arabien in eine neue Zeit führen will.

Bei der größten Sause der arabischen Filmindustrie waren auch ein paar internationale Stars zu Gast, etwa Mel Gibson oder das Model Georgina Rodriguez, Partnerin des vor kurzem von Al-Nassr eingekauften Fußballers Cristiano Ronaldo. Als Film hat Kira & El Gin abgeräumt, eine ägyptische Produktion über den Widerstand gegen die Briten im Kairo des Jahres 1919.

Sodom und Gomorrha

Das stundenlange Spektakel wurde via MBC aus dem Bakr-al-Sheddi-Theater in Riad in die gesamte arabische Welt ausgestrahlt und zeigte ein ungewohntes Saudi-Arabien. Allerdings kommt das nicht nur gut an. Konservative kommentieren empört, dass die eine teilnehmende Schauspielerin – Menna Shalabi – wegen Drogendelikten zu einer (bedingten) Gefängnisstrafe verurteilt wurde und dass im Film einer anderen – Mona Zaki – eine "unmoralische" Szene vorkomme (sie zieht ihre Unterwäsche aus, bevor sie sich zu einer Verabredung begibt). Sodom und Gomorrha im Land der heiligsten Stätten des Islam!? Tatsächlich durften dort bis vor ein paar Jahren nicht einmal Musliminnen zur Hajj einreisen, falls sie ledig und ohne Begleitung waren. Das war moralisch zu gefährlich.

Die Formulierung, dass unter Mohammed bin Salman, MbS genannt, in Saudi-Arabien eine Kulturrevolution stattfindet, ist nicht übertrieben. Im Westen seit der Ermordung des Publizisten – und MbS-Kritikers – Jamal Khashoggis verpönt, erfüllt er für viele junge Leute den Wunsch nach Öffnung und Wandel. Dass diese Modernisierung alles Politische strikt ausschließt, das vergessen die meisten jungen Leute gerne, wenn sie dafür ein in sozialer und kultureller Hinsicht neues Saudi-Arabien bekommen. Die Sittenpolizei, die – wie jene in der Islamischen Republik Iran – den Auftrag hatte, das Schlechte zu verhindern und das Gute zu fördern, wurde in ihrer gesellschaftlichen Stellung von der Unterhaltungsbehörde abgelöst. Der Islam wird ins Private gedrängt.

Öffnungssignal

Nicht nur für viele Saudis bedeutet das mehr Luft zum Atmen, es ist auch ein Signal an alle internationalen Firmen, die im Königreich Geschäfte machen wollen. Was sich auch vor kurzem viele nicht hätten vorstellen können: Anlässlich des koptisch-orthodoxen Weihnachtsfests tourte ein Bischof aus Ägypten durchs Land, um Messen für die Gläubigen – es gibt viele ägyptische Arbeitskräfte – abzuhalten.

Die GEA betreffend gibt es einen Aspekt, den Gegner genüsslich ausschlachten: Geleitet wird sie von Turki al-Sheikh, königlicher Berater, Sportbehörde-Chef, Künstler, Filmproduzent und Besitzer eines spanischen Fußballclubs (UD Almería). Nun stellt die Familie al-Sheikh aber auch den Großmufti in Saudi-Arabien, es ist die klerikale Familie schlechthin: Handelt es sich doch um die Nachfahren von Mohammed Ibn Abdulwahhab, auf den der Name "Wahhabismus" zurückgeht. Der Salafist tat sich Mitte des 18. Jahrhunderts mit einer gewissen Familie Saud zusammen: die beiden Säulen des späteren Königreichs.

MbS und Turki al-Sheikh würden Saudi-Arabien gemeinsam in die Ära der Jahiliya, der Unwissenheit, zurück transferieren, kommentiert eine arabische Autorin mit Doktortitel – so viel dazu, dass akademisch gebildete Frauen progressiv seien. "Jahiliya" meint die Zeit vor der Verkündigung des Islam, Bürger eines solchen Landes sind quasi keine Muslime. Allerdings ist das Phänomen des Widerstands aus ultrakonservativen Kreisen gegen das Herrscherhaus in der saudischen Geschichte nichts Neues. So weit wie Mohammed bin Salman ist jedoch noch keiner gegangen, de facto kündigt er die Allianz mit dem Haus Sheikh – dem alten – auf.
(ANALYSE: Gudrun Harrer, 7.2.2023)