Wolodymyr Selenskyj mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel.

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Es ist nicht übertrieben, die Europareise des ukrainischen Präsidenten als durchschlagenden Erfolg zu bezeichnen. Wolodymyr Selenskyj hat von der EU und Großbritannien zwar keine konkreten Zusagen zu seiner Forderung nach Kampfflugzeugen bekommen – zumindest nicht öffentlich. Und auch sein Wunsch nach einem konkreten Termin zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen noch im Jahr 2023 blieb unbeantwortet. Aber Selenskyj hat bei seinem Kurztrip nach London, Paris und Brüssel binnen 24 Stunden etwas erreicht, was mittel- und langfristig für die Ukraine wahrscheinlich noch wichtiger und nachhaltig ist: Er hat es geschafft, sein Land als unbeugsamen, integralen Bestandteil eines Europa der Freiheit und Demokratie, der Werte und des Rechts zu präsentieren. Bei seinem Publikum – Regierungschefs und Abgeordnete – stieß er damit auf freudige Zustimmung.

VIDEO: Selenskyj wird in Brüssel gefeiert – und nimmt EU-Verbündete in die Pflicht.
DER STANDARD

Eine "Schicksalsgemeinschaft"

Was das politisch, wirtschaftlich und in Zukunft wohl auch militärisch bedeutet, hat Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron Mittwochabend in Paris, flankiert vom deutschen Kanzler Olaf Scholz, so formuliert: "Wir werden die Ukraine auf dem Weg zum Sieg, zum Frieden und nach Europa begleiten."

So schafft man es, eine "Schicksalsgemeinschaft" zu schmieden. Und es war auch sehenswert, wie frenetisch die Abgeordneten im Europaparlament mit stehenden Ovationen und Jubelrufen reagierten, als Selenskyj schilderte, wie tief er und seine Landsleute sich der "europäischen Lebensart" verbunden fühlen; wie sehr sie sich danach sehnen und daran glauben, nach dem Krieg so in Freiheit zu leben wie 440 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger.

Dramaturgisch perfekt kontrastierte der gelernte Schauspieler dazu die zerstörerische "Gegenwelt", die dieses Lebensmodell auslöschen will und deshalb Krieg führe: Russland bzw. Wladimir Putin. Die Europäer dies- und jenseits des Ärmelkanals sagten ihm dafür "jede Unterstützung zu, was immer nötig ist".

Wahre Kampfpartner

Hinter seinem allgemeinen Publikumserfolg war es auch interessant zu sehen, dass die Regierung in Kiew sehr wohl genau zu unterscheiden weiß, wer in einem brutalen Krieg die "wahren" Kampfpartner im Sinne handfester militärischer Unterstützung sind – und auf wen man sich weniger verlassen kann.

Das zeigt Selenskyjs Reiseplan eindeutig: Im Dezember hatte er US-Präsident Joe Biden und den Kongress in Washington aufgesucht, nicht ohne vorher Station in Warschau beim zentralen Verbündeten Polen zu machen. Nun reiste er zuerst nach London, wo er offen die Frage von Kampfflugzeugen ansprach und nicht zurückgewiesen wurde. Auf die Briten kann er sich verlassen.

Dann folgten Frankreich und Deutschland – deshalb reiste er nach Paris, bevor er schließlich beim EU-Gipfel in Brüssel seine 27 Regierungskollegen traf. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni reagierte verschnupft: "Unangemessen" sei das – aber es spiegelt doch die Realität in harten Kriegszeiten wider. Militärisch ist die EU ein Zwerg, aber umso wichtiger bei humanitärer Hilfe und Wiederaufbau – wenn die Ukraine die russische Attacke als Nation überlebt. So sieht Europas "Schlachtordnung" aus.

Immerhin, der EU-Gipfel hat Weichen gestellt: Die Gemeinschaft will alle Möglichkeiten der wirtschaftlichen Öffnung für die Ukraine nützen – mit dem Ziel einer baldigen Teilnahme am Binnenmarkt. Das wäre eine wichtige Vorstufe zum EU-Beitritt. (Thomas Mayer, 9.2.2023)