Die Gegenoffensive der Braun-Verteidigung ist gestartet. Und zwar massiv. Seine mit Spannung erwartete Aussage beginnt Ex-Wirecard-Konzernvorstandschef Markus Braun am Montag. Eigener Angabe zufolge wird er frei reden und das Geschäftsmodell erklären. Zuvor, am Donnerstag, erhob sein Anwalt Alfred Dierlamm schwere Vorwürfe gegen den Kronzeugen Oliver Bellenhaus. "Der Angeklagte Bellenhaus ist ein professioneller Lügner", eröffnet Dierlamm seine Erklärung. Über Jahre habe er systematisch getäuscht und belogen, um sein von ihm erschaffenes Betrugs- und Veruntreuungssystem aufrechtzuerhalten.

Die Varianten, die die beiden Lager erzählen, könnten unterschiedlicher nicht sein. In etlichen Punkten versucht Dierlamm, die Aussagen vom bis zum Kollaps 2020 in Dubai tätigen Manager als falsch darzustelllen. Zentraler Punkt ist einmal mehr das Drittpartnergeschäft (TPA). In seiner tagelangen Aussage zeichnete Bellenhaus ein Bild, wonach das TPA-Geschäft mit Zahlungsdienstleistern im Mittleren Osten und Südostasien von Beginn an zum allergrößten Teil erfunden gewesen sei.

Die Aussage des Kronzeugen im Prozess zur Wirecard-Causa, Oliver Bellenhaus, wurde am Donnerstag zerzaust.
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Zur Erinnerung, wie das Drittpartnergeschäft in etwa aussehen sollte: Wenn Wirecard Kreditkartenzahlungen nicht selbst abwickelte, wurden die Kunden an die sogenannten Drittpartner weitergeleitet. Dafür erhielt Wirecard einen Anteil am Gewinn des Drittpartners. Um diese Zahlungen finanziell abzusichern, sollten Treuhänder Geld für Wirecard auf Konten verwahren. Für dieses Geschäft war Dubai der wichtigste Standort des einstigen Dax-Konzerns, der vorübergehend sogar einmal mehr wert war als die Deutsche Bank.

TPA-Geschäft oder kein TPA-Geschäft

Dass es dieses TPA-Geschäft gar nicht gegeben haben soll, sieht Dierlamm diametral anders. Zumindest teilweise soll es sehr wohl existiert haben, allerdings habe Bellenhaus daraus Geld im großen Stil veruntreut. Er führt das Beispiel Pittodrie an. Bei der Investmentgesellschaft mit Sitz in Hongkong sollen nach wie vor 340 Millionen Euro liegen, die Bellenhaus veruntreut habe. "Diese 340 Millionen können keine Händlererlöse sein, die hätten an Händler weitergeleitet werden müssen, was nicht passiert ist." Es müsse sich um Kommissionszahlungen handeln.

Markus Braun (links) wird am Montag seine Sicht der Dinge darstellen. Er werde das Geschäftsmodell erklären, hieß es am Donnerstag.
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"Wenn Herr Doktor Braun alles wusste", mit diesen Worten startete der Strafverteidiger zahlreiche seiner Gegenargumente. Etwa, dass sich Bellenhaus sogar selbst widerspreche, wann er begonnen habe, Dokumente für Wirtschaftsprüfer zu fälschen. Oder dass Braun bis zum Schluss Wirecard-Aktien gehalten und kurz vor dem Kollaps noch welche zugekauft habe. Warum hätte er das tun sollen, wenn er über den bevorstehenden Zusammenbruch im Bild gewesen wäre?

Der 49-jährige Kronzeuge Bellenhaus meinte diesbezüglich in seiner Aussage, dass 2017 der "point of no return" bereits längst erreicht gewesen sei. Braun habe demnach gar nicht anders gekonnt. Dierlamm kritisiert vor allem das öffentliche Narrativ, dem auch Staatsanwaltschaft und Medien folgen würden. "Es gibt kein TPA-Geschäft, und der CEO wusste alles." Das sei einfach.

Kronzeuge im Kreuzfeuer

In der zweiten Verhandlungshälfte geht Sabine Stetter, Verteidigerin des ehemaligen Chefbuchhalters, Stephan von Erffa, auf die Kronzeugenaussagen ein. Auch sie unterstellt ihm Unglaubwürdigkeit, Lügen und Manipulationen. Sowohl Stetter als auch Dierlamm versuchen darzustellen, dass Bellenhaus zu Unrecht Kronzeuge ist. Die beiden forderten überdies ein "Verwertungsverbot" für Bellenhaus' Aussagen. Ein Verwertungsverbot würde bedeuten, dass sämtliche Aussagen des Kronzeugen – inklusive der Anschuldigungen gegen seine Mitangeklagten – im Urteil nicht berücksichtigt werden.

Braun, Bellenhaus und von Erffa sind des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, der Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Untreue angeklagt. Laut Anklage sollen sie seit 2015 die Bilanzen des Zahlungsdienstleisters gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben. Sollte das Gericht dem im Urteil folgen, wäre das der größte Betrugsschaden in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs. 17 von 100 Verhandlungstagen sind absolviert. Der Weg ist noch lang, aber bereits jetzt ist klar, dass das Gericht nicht zu beneiden ist. (Andreas Danzer aus München, 10.2.2023)