Heinz Bachheimer alias "der rote Heinzi" 1978 auf dem Weg ins Wiener Landesgericht. Der ehemalige Maler und Rotlichtkönig Wiens in den 1970er-Jahren wurde damals wegen verschiedener Delikte angeklagt und verurteilt.

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Er war der echteste Sohn einer großen Zeit. Meinte Alfred Polgar. Egon Erwin Kisch sekundierte gern und nannte Johann Breitwieser, "Schani" gerufen, 1919 einen "Mann der Tat, des Mutes, des Ernstes und der Intelligenz". Als Breitwieser damals zu Grabe getragen wurde, gaben ihm 20.000 Menschen das letzte Geleit. Ihnen galt der Ein- und Ausbrecher als Robin Hood von Wien.

Unter anderem Breitwieser gibt Beppo Beyerl, der 2018 schon das verschwundene Wien nachzeichnete und vier Jahre vorher 26 Verschwindungen ins Gedächtnis zurückrief (von Arbeiterzeitung bis Ziegelbehm) in seinem neuen Buch Die bösen Buben von Wien. Gauner, Strizzis & Hallodris Raum. So mancher seiner bösen Buben vor 1900 fiele jedoch eher unter die Bezeichnung "Scharlatan".

Beppo Beyerl, "Die bösen Buben von Wien. Gauner, Strizzis & Hallodris". € 25,– / 240 Seiten. Styria-Verlag, Graz 2022
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Ronny und der rote Heinzi

Das Rokoko zwischen Vernunft auf der einen Seite, absurdem Fanatismus auf der anderen, so Voltaire, war die Ära ausgepicht eleganter Hochstapler, ob Cagliostro, der Malteser Giuseppe Vella, Johann Elias Beßler alias Orffyré oder der Graf von Saint-Germain, der Magier war, Musiker, "Projektemacher", Alchimist, Naturwissenschafter und Diplomat.

In diese Kategorie gehört recht eigentlich auch Wolfgang von Kempelen, gut ausgeleuchteter Konstrukteur des "Schachtürken". Bei Imre Bekéssy und dem "Hellseher" Hanussen läuft der Meidlinger Beyerl durch offene Türen. Die viel unbekannteren Gustav Bauer (Geschäftsreisender in Sachen Mord), Breitwieser, der Einbrecherkönig, Sylvester Matuska, berüchtigt für erotisch anregende Eisenbahnattentate, oder Heinz "Der rote Heinzi" Bachheimer sowie im Ausklang Johann "Pumpgun-Ronny" Kastenberger lohnen dagegen die Lektüre dieses Bandes, bei dem sich der Untertitel als sanft trügerisch herausstellt.

Ein Finanzjongleur wie Camillo Castiglione war unzweifelhaft ein Betrüger. Aber: Ist ein Mörder ein Hallodri? Und auf wie viele Strizzis kommt man in diesem Buch eigentlich? Strizzi hat als Vokabel Migrationshintergrund. Denn es dürfte sich linguistisch um eine Übernahme des tschechischen "stryc" handeln, was im Ursinn Onkel bedeutet.

Sophie Reyer und Stefan Schweigert, "Lost & Dark Places Wien. 33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte".€ 23,70 / 160 Seiten mit Fotos. Bruckmann-Verlag, München 2022.
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Dunkles Wien

Das dunkle Wien. Das vergessene, aufgelassene, unheimliche, verrottende Wien: Die unermüdliche Vielschreiberin Sophie Reyer, die sich seit Jahren auf die (Druck-)Fahne geschrieben hat, kein Jahr verstreichen zu lassen, ohne dass mindestens drei Einzelpublikationen von ihr erscheinen, veröffentlichte vor drei Jahren einen Band über Wiener Orte und deren Legenden.

Nun legt sie mit Stefan Schweigert nach. Ihre barrierefrei flott geschriebene Auswahl von 33 Locations im Buch Lost & Dark Places Wien. 33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte ist nicht ganz nachvollziehbar und mutet extern-touristisch an – auch wenn Semibekanntes aufgenommen wurde, die Bombenruine bei der Fischerstiege etwa oder die Mauerreste der Villa im Dehnepark, Schloss Pottendorf oder das Sanatorium Feichtenbach. Wieso es das Schirmfachgeschäft Brigitte am Franz-Josefs-Kai auf die Liste des Verlassenen und Unheimlichen schaffte, bleibt bei Regen wie Sonne ein aufgespanntes Enigma.

Günther Zäuner, "111 Orte in der Wiener Unterwelt, die man gesehen haben muss". Mit Fotos von Manfred Burger. € 18,60 / 240 Seiten. Emons- Verlag, 2022.
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Verwehte Halbwelt

Mit dem Wiener Günther Zäuner geht es dann im Buch 111 Orte in der Wiener Unterwelt, die man gesehen haben muss nicht in die Orson-Welles-Unterwelt – sondern mit 111 sehr kurzen Textvignetten in den Kosmos der Pülcher und des Sicherheitsbüros in der Berggasse, zum Mord am Cadbury-König im Nachkriegswien, zum Stanka und zu den Schmutzer Buam, zum "G’schwinden" und dem "Notwehr-Krista", zur Teigtaschen-Mafia und der Frau Steindling, der "Roten Fini", die nach 1990 3,5 Milliarden Schilling, umgerechnet 256 Millionen Euro, der DDR-Staatspartei SED verschob, zum König des Resselpark-Schwarzmarkts Benno Blum alias Nikolai Borrisov und zur "wilden Kathi" und dem "Cadillac-Freddy". Wo, bitte, ist die Eislady, wo Kottans Hartlgasse 16?

Es ist eine Mord-und-Totschlag-Revue in heiter-leicht zu goutierenden Häppchen. Verweht ist diese Halbwelt heutzutage so wie ihr Rotwelsch, das zwischen Abafetzerer, Ganeff und Gerschtl, pali lahnen und hochweiß, Tschinkwe, Mezzie, Kochamr und Luftgsölchte als Pepihacker-Klangwelt aufschillerte. Als es eben noch Wiener böse Buben gab und ihr Hand- und Mundwerk. (Alexander Kluy, 15.2.2023)