Zum zweiten Mal binnen weniger Monate muss sich die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS mit einem beschädigten Raumschiff herumschlagen. Wie die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos am Samstag gemeldet hat, habe man im Raumfrachter Progress 82 (MS-21), der an der ISS angedockt ist, einen Druckabfall im Kühlsystem festgestellt.

Untersuchung läuft

"Der Grund für den Verlust von Kühlflüssigkeit im Progress-82-Raumschiff wird derzeit untersucht. Die Luken zwischen Progress 82 und der Station sind offen, und die Temperatur- und Drucksituation an Bord der Station ist normal", berichtet die US-Raumfahrtbehörde Nasa. Die Besatzung, die über das Leck informiert sei, befinde sich in keiner Gefahr, so die Nasa weiter, der normale Betrieb der Raumstation werde fortgesetzt.

Progress 82 war am 28. Oktober 2022 bei der ISS angekommen und sollte am 17. Februar wieder in Richtung Erde abfliegen, um beim Wiedereintritt in die Atmosphäre zu verglühen. Ob sich dieser Termin halten lässt, ist derzeit unklar und hängt wohl auch von den Ergebnissen der anstehenden Untersuchungen ab.

Bereits im vergangenen Dezember kam es bei einem russischen Raumschiff zu einem Kühlmittelproblem. Das Bild zeigt ausströmende Kühlflüssigkeit an Sojus MS-22.
Foto: Nasa TV

Die Nasa erklärte, ihre Spezialisten würden ihre russischen Kollegen bei der Fehlersuche unterstützen. Am selben Tag der Entdeckung des Druckabfalls war ein anderer russischer Frachter, Progress 83, mit zweieinhalb Tonnen Nachschub bei der Raumstation eingetroffen.

Kühlmittelleck im Dezember

Das aktuelle Leck gleicht einem Vorfall am 14. Dezember, bei dem das angedockte russische Sojus-Raumschiff MS-22 sein gesamtes Kühlmittel verlor. Das Loch, durch das die Flüssigkeit in den Weltraum strömte, führten Fachleute nach einer Untersuchung auf einen Mikrometeoriteneinschlag zurück.

Sojus- und Progress-Raumschiffe dieser Bauart bilden seit Jahrzehnten das Rückgrat der russischen Raumfahrt. Die beiden Raumschiffe sind ähnlich konstruiert, Sojus dient der Beförderung von Raumfahrern und Raumfahrerinnen und Progress dem Transport von Frachtgut. Das erste Progress-Raumschiff startete 1978 zur sowjetischen Raumstation Saljut 6. Fortlaufen modernisiert heißen die aktuellen russischen Frachtraumschiffe Progress MS. In der Regel ist mindestens eine Progress an der ISS angedockt, oft sind es sogar zwei.

Ersatzraumschiff kommt

Nachdem Sojus MS-22 nun nicht mehr für einen bemannten Heimflug zur Verfügung steht, will Roskosmos noch in diesem Monat MS-23 starten. Dieses Ersatz-Raumschiff soll die Kosmonauten Dmitri Petelin und Sergej Prokopjew sowie Frank Rubio von der Nasa im März zur Erde zurückbringen – so zumindest lautete der bisherige Plan, der nach dem neuerlichen Zwischenfall freilich infrage stehen könnte.

Sojus-Raumschiffe sind nicht nur Transportmittel, sie fungieren auch als Rückzugsorte für die ISS-Besatzung in risikoreichen Situationen, beispielsweise, wenn Weltraummüll die Raumstation bedroht. Außerdem können sie im Notfall auch als Rettungsboote eingesetzt werden.

Notfallplan und eigene russische Raumstation

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine Evakuierung notwendig wird, bevor Sojus MS-23 eintrifft, haben Roskosmos und die Nasa einen Notfallplan ausgearbeitet, der vorsieht, dass Prokopjew und Petelin in Sojus MS-22 mitfliegen und Rubio mit Crew-5 in einer Crew Dragon von SpaceX nachrückt. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass die thermische Belastung mit nur zwei statt drei Personen in der Sojus vertretbar sei, wenn sie auch vermutlich unangenehm sein könnte.

Unterdessen will Russland an seinen Plänen für den Bau einer eigenen Orbitalstation festhalten. Die Entwurfsplanung der Station werde bis Ende 2023 abgeschlossen, erklärte der Chefkonstrukteur der geplanten russischen Orbitalstation (ROS), Wladimir Koschewnikow, in einem am Montag veröffentlichten Interview der staatlichen Nachrichtenagentur Tass. Das erste Modul soll bis Ende 2027 aufgebaut werden. Für die Versorgung der "ROS" seien Raketen vom Typ Angara vorgesehen, sagte Koschewnikow. Auch die Besatzung soll künftig nicht mehr vom in Kasachstan liegenden Baikonur ins All starten, sondern vom neuen Weltraumbahnhof Wostotschny in Russlands fernem Osten.(tberg, red, 13.2.2023)