Während der Coronakrise hat die EZB ihre Wertpapierkäufe massiv ausgeweitet, um die Wirtschaft zu unterstützen. Hat sie damit bereits den Grundstein für weitere Krisen gelegt, wie Studien nahelegen?

Die Reaktion der Notenbanken auf Krisen ist vorhersehbar: Sie fluten die Wirtschaft umgehend mit billigem Geld. Das lehrt zumindest die jüngere Vergangenheit. Dabei scheuen sie auch vor geldpolitischen Experimenten wie Minuszinsen oder massiven Wertpapierkäufen nicht zurück. Freilich war das nicht immer so. Eine aktuelle Studie beleuchtet die langfristigen Auswirkungen dieses Vorgehens anhand langfristiger Auswertungen von 17 Volkswirtschaften. Ist es also sinnvoll, wenn die Geldpolitik in Krisenfällen beherzt eingreift? Oder legen Notenbanken wegen der finanziellen Nebenwirkungen damit bloß den Grundstein für künftiges, oftmals sogar größeres Ungemach?

Beides ist zutreffend, wenn es nach den Wissenschaftern Niall Ferguson, Martin Kornejew, Paul Schmelzing und Moritz Schularick geht. Rasches und beherztes Eingreifen von Notenbanken hilft, die Wirtschaft kurzfristig zu stabilisieren, heißt es in ihrem Diskussionspapier von Ende Jänner. Allerdings um den Preis langfristiger Risiken für die Finanzstabilität, etwa wenn sich dadurch Finanzblasen bilden.

"Die Zeit bis zur nächsten Krise des Finanzsystems ist nach einer größeren Ausweitung der Bilanzsumme erheblich kürzer", schreiben die Autoren. Zur Erklärung: Die Bilanz einer Notenbank bläht sich etwa dadurch auf, dass sie wie zuletzt die Fed oder auch die Europäische Zentralbank (EZB) durch Käufe von Vermögenswerten die Wirtschaft stützt. Danach steigt der Studie zufolge die Wahrscheinlichkeit für eine platzende Kreditblase deutlich an und erreicht nach etwa 15 Jahren ihren Höhepunkt.

Grundstein der Finanzkrise

Wesentlich schneller ging es in den 2000er-Jahren bei der US-Notenbank Fed, die wohl als anschauliches Beispiel dafür herhalten kann: Nach dem Platzen der Internetblase der Jahrtausendwende hatte sie den Leitzins auf ein damaliges Rekordtief gesenkt, um eine aus ihrer Sicht drohende Deflation – also eine längere Phase sinkender Verbraucherpreise – zu verhindern. Dies gelang zwar, allerdings löste der Rausch des billigen Geldes eine gewaltige Immobilienblase aus, deren Platzen 2008 zur Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers und damit zur Weltfinanzkrise führte.

Die Studienautoren geben keine Handlungsempfehlungen und beziehen sich nicht auf die aktuelle Situation. Derzeit müssen wegen der hohen Inflation die Fed und die EZB die Zinsen deutlich anheben und ihre durch Anleihekäufe aufgeblähten, billionenschweren Bilanzen wieder abbauen, ohne dadurch Verwerfungen auszulösen. Die Fed hat im Frühjahr 2022 den Startschuss für das sukzessive Abschichten von US-Schuldverschreibungen aus ihrer Bilanz gegeben, woraufhin es zu einem merklichen Anstieg der Renditen kam. Die EZB will ihre fünf Billionen Euro schweren Anleihebestände erst ab März sachte verringern, zunächst um bloß 15 Milliarden pro Monat.

Auswirkungen wenig erforscht

Wie sich dies langfristig auswirken wird, ist noch wenig erforscht. Als die Fed nach der Finanzkrise im Jahr 2013 bloß die Verringerung ihrer Wertpapierkäufe ankündigte, führte dies zu Verwerfungen in etlichen Schwellenländern. Mit ein Grund, warum die Autoren Dennis Kelleher und Phillip Basil kein gutes Haar an der Geldpolitik der Fed lassen.

In einer aktuellen Studie für Better Markets – eine laut eigenem Bekunden unabhängige Non-Profit-Organisation, die sich für das Interesse der Öffentlichkeit im Finanzsektor einsetzen will – kommen sie zu dem Schluss, dass die US-Notenbank die Wirtschaft in immer stärkere Abhängigkeit von billigem Geld gebracht habe. In den zehn Jahren nach der Finanzkrise 2008 sei die Zunahme von Konsumentenkrediten um 30 Prozent höher als in der Dekade zuvor ausgefallen, das Plus bei Schuldpapieren von Unternehmen sogar um 90 Prozent. Daraus ziehen Kelleher und Basil folgenden Schluss: "Nach dem 2008er-Crash ist eine Kultur der Schulden entstanden wegen der Null- und Niedrigzinspolitik der Fed und deren umfangreichen Anleihekäufen."

Neuerliche Überreaktion

Das Zurückfahren expansiver Geldpolitik könne zu Rezession, Pleiten, Stress am Anleihenmarkt und einem einbrechenden Häusermarkt führen – und die Gefahr einer neuerlichen Überreaktion der Fed erhöhen, sollten diese Risiken schlagend werden. Ein Teufelskreis. Der Befund der Studienautoren: "Auch nach dem 2008er-Crash hat die Fed nicht richtig eingeschätzt, welche tiefgreifenden Effekte ihre Geldpolitik auf Finanzmärkte, Unternehmen und Konsumenten hat."

Unerwähnt bleibt jedoch der Börsencrash der Wall Street des Jahres 1929: Die Notenbank unterstützte die Wirtschaft nicht, aus einer Rezession wurde die Große Depression der 1930er-Jahre. Daher werden Währungshüter wohl auch künftig hemdsärmelig den Geldhahn aufdrehen, wenn eine Krise aufzieht – und die dürfte den Studien zufolge wahrscheinlich nicht allzu lange auf sich warten lassen. (Alexander Hahn, 13.2.2023)