Implantate von Neuralink sollen Computer und Gehirn verbinden – doch die Laborversuche laufen offenbar nicht ganz problemlos ab.

Foto: Neuralink

Das Imperium um Elon Musk sieht sich mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Diesmal geht es allerdings nicht um Twitter, sondern um das Neurotechnologie-Unternehmen Neuralink, das 2016 von Musk ins Leben gerufen wurde. Auslöser hierfür war ein Brief des Physicians Committee für Responsible Medicine (PCRM, einer von Ärzten geführten NGO, die sich für Alternativen zu Tierversuchen einsetzt), in dem eine Untersuchung durch das US-Verkehrsministerium erbeten wird. In dem Schreiben wird Neuralink vorgeworfen, Materialien unsicher verpackt und transportiert zu haben – insbesondere Implantate, die zuvor in Affenhirnen zum Einsatz kamen. Der oder die Mitarbeiter(in), der oder die für die unsachgemäße Entsorgung verantwortlich war, sei nach wie vor bei Neuralink angestellt und könnte auch in Zukunft Experimente leiten. Besonders in Kalifornien und Texas, wo Neuralink Forschungseinrichtungen betreibt, könnten derlei Vorfälle auch ein Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung darstellen.

Pathogene und antibiotikaresistente Keime

Dem PCRM liegen Berichte vor, denen zufolge entfernte Implantate mit ansteckenden Pathogenen kontaminiert waren und dennoch nicht sachgemäß verpackt wurden – ein Fehler, der wahrscheinlich auf mangelndes Sicherheitstraining der Angestellten zurückzuführen ist. Zwar wäre ein solches Training rechtlich vorgeschrieben, dennoch wurde offenbar Material mit antibiotikaresistenten Keimen – darunter Staphylokokken und Klebsiella-Bakterien – entsorgt. Laut den US Centers for Disease Control (eine Behörde des US-Gesundheitsministeriums) können diese Erreger auch beim Menschen Infektionen wie Lungenentzündungen, Infekte des Blutkreislaufs oder Hirnhautentzündung hervorrufen. Manche Implantate stammten außerdem von Affen, die vermeintlich mit bakterieller Meningitis oder auch einem Herpesvirus (Macacine herpesvirus 1, Herpes B) infiziert waren.

Ermittlungen wegen des Verdachts der Tierquälerei

Es ist nicht das erste Mal, dass Neuralink für seine Arbeitsweise in der Kritik steht. So ermittelte im Dezember letzten Jahres das US-Landwirtschaftsministerium gegen das Unternehmen wegen Verdachts der Tierquälerei. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagten den enormen Zeitdruck, unter dem sie arbeiten müssten: So soll Musk schnellere Fortschritte verlangt und sogar gedroht haben, das Unternehmen zu schließen, sollten diese nicht erzielt werden. Ehemalige und aktuelle Beschäftigte werfen Neuralink vor diesem Hintergrund vor, dass bei den Versuchen mehr Tiere getötet würden, als erforderlich wäre. In Unterlagen, die Reuters vorliegen, seien beispielsweise Fälle von fehlerhaften Implantationen aufgelistet, die durch sorgfältigere Vorbereitungen vermeidbar gewesen wären.

Arbeit unter Zeitdruck könnte unnötige Tierleben kosten

Seit 2018 wurden insgesamt rund 1.500 Tiere getötet, darunter über 280 Schafe, Ratten, Mäuse, Schweine und Affen. Bei der Angabe handelt es sich allerdings um eine Schätzung, da Neuralink angeblich keine genauen Aufzeichnungen über die Zahl der in den Versuchen eingesetzten und getöteten Tiere führe. Diese Zahl ist zwar noch kein Indiz, dass das Unternehmen gegen gängige Forschungspraxis und Richtlinien verstößt – allerdings mehrten sich die Vorwürfe gegenüber Musk, dem bevorstehende Deadlines und baldige Ergebnisse wichtiger wären als eine bedachte Arbeitsweise. So berichteten mehrere Mitarbeiter, Musk hätte gesagt, sie sollen "sich vorstellen, dass sie eine Bombe auf ihren Kopf gebunden hätten", um sie zu schnellerem Arbeiten zu drängen. Laut Reuters äußerten fünf Angestellte auch intern Bedenken zu den Versuchen und sprachen sich für "traditionellere" Forschungsansätze aus: Es wäre demnach besser, immer nur einen einzelnen Aspekt pro Tierstudie zu untersuchen und daraus Erkenntnisse abzuleiten, bevor man die nächsten Tests durchführe. Stattdessen seien Untersuchungen in kurzen Abständen durchgeführt worden, ohne frühere Probleme zu beheben. Letztendlich seien dadurch mehr Tiere für die Tests eingesetzt und getötet worden, sagen interne Quellen.

Was genau macht Neuralink?

Dabei wäre das Forschungsziel des Unternehmens zukunftsträchtig und durchaus vielversprechend: Elon Musk gründete das Unternehmen im Jahr 2016 mit der Absicht, schwere Gehirnerkrankungen sowie Krankheiten des zentralen Nervensystems besser behandelbar zu machen. So weit die kurzfristigen Ziele. Langfristig strebt Musk mit den Gehirnimplantaten eine Erweiterung des menschlichen Körpers durch die Entwicklung von Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer an ("We are creating the future of brain-computer interfaces", heißt es auf der offiziellen Webseite). Dies soll mithilfe von Elektroden ermöglicht werden, die in das menschliche Gehirn implantiert werden.

Was macht die Konkurrenz?

Doch Neuralink ist durchaus nicht konkurrenzlos auf diesem Gebiet: Synchron, ein ähnliches Forschungsunternehmen, das ebenfalls 2016 gegründet wurde, verfolgt zwar weniger ambitionierte Ziele, erhielt aber bereits 2021 die Genehmigung der FDA (US Food and Drug Administration, die US-Arzneimittelbehörde), um Tests mit menschlichen Probanden durchzuführen. Während der vorangegangenen Untersuchungen wurden lediglich 80 Schafe getötet. Zu Jahresbeginn veröffentlichte Synchron die Ergebnisse einer klinischen Langzeitstudie, bei der vier Patienten mit schweren Lähmungserscheinungen die Neuroprothese "Stentrode" eingesetzt wurde. Neuroprothese bezeichnet in diesem Fall eine Elektrode, mithilfe deren verlorengegangene Funktionen des Nervensystems korrigiert werden können. Laut Studienergebnissen sei es möglich, neuronale Signale vom Inneren eines Blutgefäßes im Gehirn über längere Zeit ohne Zwischenfälle zu übertragen. Für Menschen mit neuronalen Erkrankungen könnten derartige Erfolge in Zukunft durchaus vielversprechend sein – mit oder ohne Elon Musk. (Lisa Haberkorn, 14.02.2023)