Kondome, Pille und Co werden hierzulande individuell finanziert. In Frankreich ist der Bezug von Kondomen bis zum Alter von 25 seit kurzem gratis.

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In Österreich sieht sich der Staat für das Thema Empfängnisverhütung kaum zuständig. Wer verhüten will, muss das hierzulande zur Gänze aus der eigenen Tasche zahlen, Unterstützung von der Krankenkasse gibt es nicht. Selbst junge Menschen und jene mit niedrigem Einkommen bekommen keine finanzielle Unterstützung, um ihr Sexualleben mit Kupferkette, Kondom, Pille und Co zu gestalten. Im europäischen Vergleich überdurchschnittlich gut funktioniert in Österreich hingegen die staatliche Aufbereitung von online zugänglichen Informationen zu Fragen rund um die sexuelle Gesundheit und die Wirksamkeit sämtlicher Verhütungsmethoden.

Insgesamt liegt Österreich damit im Ranking des europäischen Verhütungsatlas im Mittelfeld. Der soeben für 2023 veröffentlichte Atlas bildet einen Index ab, in dem die Länder anhand von drei Kriterien ihrer Verhütungspolitik eingestuft werden: erstens Zugang zu Verhütungsmitteln, zweitens Zugang zur Verhütungsberatung und drittens Verfügbarkeit von verhütungsrelevanten Informationen auf den Websites staatlicher Behörden.

ContraceptionPolicyAtlasEurope2023.pdf

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Der neue Verhütungsatlas und die entsprechenden Einstufungen europäischer Länder zum Download.

Der Atlas wird seit 2017 jährlich vom Europäischen Parlamentarischen Forum für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF) herausgegeben. In dem Forum vernetzen sich Gruppen aus den nationalen europäischen Parlamenten, denen das Thema ein Anliegen ist. In Österreich ist das die Gruppe "parlaandsex", in der alle Parteien außer der FPÖ mit Nationalratsabgeordneten vertreten sind. Am Mittwoch präsentierten drei Mitglieder der Gruppe – Petra Bayr (SPÖ), Faika El-Nagashi (Grüne) und Fiona Fiedler (Neos) – gemeinsam mit dem EPF-Experten Leonidas Galeridis die neuen Ergebnisse.

In dunkelgrünen Ländern unterstützt der Staat die Bevölkerung besonders stark bei Bezahlung von Verhütungsmitteln und der Beratung und Information zum Thema. In roten Ländern ist der Zugang eingeschränkt und kostspielig.

Auf den ersten Blick sticht das geografische Gefälle ins Auge. In Nord- und Westeuropa dominiert Dunkelgrün, das heißt: Diese Staaten unterstützen die Bevölkerung besonders intensiv bei der Bezahlung von Verhütungsmitteln und der Beratung und Information zu kontrazeptiven Maßnahmen. Weit oben im Ranking befindet sich etwa Frankreich, wo Kondome seit kurzem für Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 gratis sind und auch die "Pille danach" seit Herbst kostenlos erhältlich ist.

Verhütung als Privatsache

Der Osten und Südosten ist hingegen in rote Farbtöne getaucht – Polen sogar dunkelrot, weil dort der Zugang zu Verhütungsmitteln eingeschränkt ist und die Regierung nicht einmal transparente Informationen im Internet anbietet.

Österreich hat es im Atlas dank des detaillierten Informationsangebots auf der Website gesundheit.gv.at gerade noch auf die Farbe hellgrün geschafft, ansonsten gleicht es aber eher den osteuropäischen Ländern. "Beim Zugang zu Verhütungsmitteln sind wir schlecht, ganz schlecht" kritisierte SPÖ-Frauensprecherin Petra Bayr. Zwar sind alle wirksamen Produkte prinzipiell erhältlich, doch sie müssen eben nahezu immer selbst bezahlt werden. Nur in Ausnahmefällen, wenn etwa Frauen mit Endometriose wegen medizinischer Indikation zu einer Spirale geraten wird, springt die Krankenkassa finanziell ein. Indem Verhütung zur Privatsache erklärt werde, zwinge man Paare – und vor allem Frauen – dazu, ihre Verhütungsentscheidungen von der individuellen Geldsituation abhängig zu machen, monierte Bayr.

Ungewollte Schwangerschaften

Das ist auch deshalb ein Problem, weil gerade die sicheren Langzeitmethoden der Verhütung à la Spirale und Kupferkette bei der Einsetzung – also am Anfang – teuer sind und sich dann erst über die Zeit rechnen, während vergleichsweise weniger wirksame Produkte wie Kondome und Pille die Geldbörse nicht so stark auf einmal belasten und daher in der Momentaufnahme bei begrenztem Budget attraktiver scheinen. Junge und einkommensschwache Menschen würden daher, so Bayr, tendenziell zu unsichereren Verhütungsmethoden verleitet. Das führe zu ungewollten Schwangerschaften, die wiederum die Armut der betroffenen Frauen vertiefen könne. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken, plädierte Grünen-Politikerin Faika El-Nagashi für einen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln, der auch Langzeitmethoden umfasst.

Forderungen ohne Mehrheiten

Auch beim Zugang zu individueller Beratung über sexuelle Gesundheit und Reproduktion leitet das rot-grün-pinke Abgeordnetentrio aus dem Verhütungsatlas erheblichen Verbesserungsbedarf ab. Fiona Fiedler von den Neos kritisierte , dass es keine flächendeckende und – zumindest für armutsgefährdete Personen – kostenfreie Beratung gebe, zumal zu wenige staatlich geförderte Familienberatungsstellen existierten. Besonders für Frauen in abgelegeneren Regionen bestünden daher erhebliche Hürden, um zu kompetenter vertraulicher Beratung zu gelangen. Fiedler forderte auch eine stärkere Verankerung von Sexualbildung an den Schulen.

Große Veränderungen in der heimischen Verhütungspolitik bis zur Publikation der nächsten Atlasausgabe sind allerdings unwahrscheinlich. Zwei Gründe dafür waren bei der Präsentation am Mittwoch an ihrer Abwesenheit erkennbar: ÖVP und FPÖ. Die ÖVP hat zwar zuletzt die Gratis-HPV-Impfung bis zum Alter von 21 unterstützt, für eine staatliche Subventionierung der Verhütung kann sie sich aber nicht erwärmen. Der kleinere Koalitionspartner glaubt offenbar auch nicht daran, die Kanzlerpartei alsbald von Reformen überzeugen zu können. El Nagashi lapidar: "Es gibt für unsere Forderungen keine politische Mehrheit, daran scheitert es." (ta, 15.2.2023)