Die großen Monster im Action-Rollenspiel "Wild Hearts" erfordern große Kaliber.

Foto: Koei Tecmo/EA/Screenshot bbr

Schon einmal etwas von einem Lavarücken, Erdspalter oder Floragrunzer gehört? Nein? Kein Wunder, denn diese Spezies hat Electronic Arts auch erst seit 13. Februar in "Wild Hearts" losgelassen. Das neue Action-Rollenspiel für Playstation 5, Xbox Series und PC lädt Spieler dazu ein, in einer Fantasiewelt namens Azuma auf Monsterjagd zu gehen. Der STANDARD hat sich angesehen, ob sich dabei Bockfieber einstellt oder nicht.

Hinter "Wild Hearts" steckt eine ungewöhnliche Kooperation zwischen Koei Tecmo und EA Originals. Die beiden Publisher haben sich nicht nur vorgenommen, eine neue Marke auf die Beine zu stellen, sondern gleich einen neuen Standard für das Genre des "Hunting und Crafting" setzen zu wollen. Für die konkrete Entwicklung des Titels zeichnete sich vier Jahre lang Omega Force verantwortlich. Das Studio erlangte in der westlichen Spielewelt bisher durch seine zahlreichen Varianten und Spin-offs von "Dynasty Warriors" Bekanntheit.

In "Wild Hearts" spielt man Jäger, die auf ganz große Beute aus sind.
WILD HEARTS

Stilistisch bleibt "Wild Hearts" nahe an diesen Wurzeln dran, da sich die Fantasiewelt am feudalen Japan und seiner Mythologie orientiert. Spielerisch wurde das Entwicklungsstudio hingegen vor neue Herausforderungen gestellt: Anstatt sich ganzen Armeen auf einmal im Alleingang zu stellen, steht nun das Erlegen einzelner Kemono im Vordergrund, so heißen die gigantischen Kreaturen im Spiel. Vor und nach der Jagd gegen zunehmend gefährlichere Beutetiere steht das Crafting im Fokus: In der offenen Spielwelt sammeln und erbeuten Spieler daher Ressourcen, um ihre Rüstungen und Waffen verbessern zu können.

Ein Koloss wird nicht erlegt

Um gleich eines vorwegzunehmen: Spätestens nach den ersten Absätzen sollte klar sein, dass Electronic Arts hier versucht, im Revier von Konkurrent Capcom zu wildern. Eine Marke als Vorbild zu nehmen, die seit fast 20 Jahren erfolgreich auf dem Markt vertreten ist und bei den Verkaufszahlen bald die 100-Millionen-Grenze überschreitet, ist auch grundsätzlich kein Fehler. Mit "Monster Hunter" hat man allerdings eine Genregröße ins Visier genommen, die das eigene Fadenkreuz sprengt.

Nach rund 20 Stunden Spielzeit erscheint es jedenfalls sinnvoll, "Wild Hearts" nicht unbedingt als direkte Konkurrenz zu "Monster Hunter" zu betrachten, sondern vorerst eher als Alternativangebot oder Variation, wenn man sich am Genre-Primus sattgespielt hat. Erst nach einem längeren Zeitraum und weiteren Updates lässt sich schließlich abschätzen, ob der Neueinsteiger tatsächlich gekommen ist, um zu bleiben.

Apropos Updates: Electronic Arts hat in diesem Zusammenhang versprochen, dass es keine Mikrotransaktionen und kostenpflichtige DLCs für das Spiel geben wird. Alle Inhalte nach der Veröffentlichung des Spiels werden kostenlos sein. Neben dem Beheben etwaiger Fehler und Verbesserungen an der Spielmechanik darf man also laufend mit neuen Jagdaufträgen, Waffen und natürlich auch neuen Kemono-(Varianten) rechnen. Die ersten Wellen folgen bereits im März und im April.

Auf in den Kampf

Bis dahin sollen Spieler mit einer rund 40-stündigen Kampagne und einem Endgame bei der Stange gehalten werden. Am Spielprinzip eines "Monster Hunter" hat sich nicht viel verändert. Für den Anfang sind insgesamt rund 20 Kemono-Typen für diverse Jagdaufträge und -belohnungen im Hauptspiel enthalten. Mal mehr, mal weniger originell anmutend bevölkern sie in unterschiedlichen Variationen die offene Spielwelt von Azuma. Befindet man sich mit einer der Kreaturen im Kampf, wechseln sie immer wieder in einen Rage-Modus, in dem sie gefährlicher als sonst angreifen und auch ihre unmittelbare Spielumgebung manipulieren können.

Ein Bär von einem Felsen – oder war es umgekehrt?
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So monoton das unermüdliche Erlegen eines Ungetüms nach dem anderen als Spielprinzip auch erscheinen mag – nach den ersten langwierigen Duellen kommt man gut in den Kampfrhythmus hinein, der je nach Monster variiert. Für jede mehrphasige Jagd hat man insgesamt drei Anläufe, ansonsten muss man sie wieder ganz von vorne beginnen. Der gewiefte Jäger wartet auch den richtigen Einstiegszeitpunkt ab: Im Test ist es nämlich vorgekommen, dass sich mitunter zwei unterschiedliche Kemono direkt in die Wolle kriegten, weil sich ihre Wege kreuzten. Und gegen den verbleibenden Sieger zu kämpfen ist definitiv einfacher, als gleich die Aufmerksamkeit beider Monster auf sich zu ziehen.

"Wild Hearts" stellt angehenden Jägern in Azuma umfangreiches Werkzeug zur Verfügung, um die Kemono zur Strecke zu bringen. Das beginnt mit einer Reihe von Waffen, wie man sie für ein Spiel dieses Typs erwarten würde. Darunter fallen allerlei Schwerter, Nodachi, Bögen oder Hämmer. Es gibt aber auch ausgefallenere Mittel, mit denen man auf die Jagd gehen kann, etwa mit Handkanonen oder sogenannten Wagasa, das sind klingenbesetzte Kampfschirme. Ganz ausgefallen ist der Karakuri-Stab, eine Art "Schweizermesser" für Monster, das sich in unterschiedliche Hieb- und Stichwaffen umbauen lässt. Acht Gattungen können in mehr als 200 unterschiedlichen Variationen aufgewertet werden – vorausgesetzt man hat die entsprechenden Materialien von entsprechenden Monstern erbeutet oder in der Spielwelt gefunden.

Jäger und Heimwerker

Das herausstechendste Merkmal dieses Abenteuers sind jedoch die sogenannten Karakuri. Unter dieser Bezeichnung sind allerhand schräge Holz-Gadgets zu verstehen, die Spieler mithilfe einer Armschiene auf magische Art und Weise aus dem Ärmel schütteln können. In der einfachsten Ausführung sind das stapelbare Kisten, die Schutz vor dem Feind oder eine erhöhte Angriffsposition ermöglichen.

Die Stadt Minato ist Dreh- und Angelpunkt in "Wild Hearts" für Jagdaufträge, Ausrüstungen – und natürlich Beutezüge.
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Mit fortschreitender Handlung schaltet man aber auch zahlreiche weitere Einsatzmöglichkeiten frei. Holzkreisel, Seilwerfer und riesige Räder helfen beim Überwinden großer Distanzen in der offenen Spielwelt. Im Kampf erweitern gigantische Holzhämmer, Harpunen- und Granatwerfer oder Sprungbretter das eigene Angriffsrepertoire, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch hier gibt es eine Einschränkung: Die Gadgets lassen sich nicht unendlich oft einsetzen, sie sind an den Einsatz einer bestimmten Zahl von Karakuri-"Fäden" gebunden, die man sowohl beim Erkunden der Spielwelt wie auch im Kampf als Ressource erhält.

Eine Frage der Geduld

Spätestens nach den ersten Kämpfen wird auch klar, dass der Einsatz dieser Gadgets nicht optional ist. Selbst mit viel Kampferfahrung beißt man sich bei bestimmten Kemono mit dem alleinigen Einsatz "traditioneller" Waffen die Zähne aus. Nicht dass es nicht funktionieren würde, es dauert nur ewig lange.

In engeren Arealen entfalten Kämpfe eine unnötig mühsame Note.
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Generell arten Kämpfe im späteren Verlauf zu einer echten Geduldsprobe aus. Das mag einerseits vom Spiel durchaus bewusst so angelegt sein. Ein Monster einfach mal in zwei Minuten vermöbeln ist einfach nicht drinnen und würde möglicherweise auch Dramatik wie Spieldauer erheblich reduzieren. Ein Kampf kann auch schon mal eine halbe Stunde dauern, wenn es nicht gut läuft. So weit, so gut. Das muss man eben mögen.

Oft stehen dem Erfolgserlebnis aber auch einfach nur unpräzise Steuerung und eine gefühlte Lotterie bei der Hit-Detection im Weg. Besonders ärgerlich sind nicht zuletzt Probleme bei der Kameraführung: In manchen Situationen entpuppte es sich als wahre Spaßbremse, dass Jäger und Beutetier in unmöglichen Winkeln zueinander dargestellt werden. Unabhängig davon, ob man einen Kemono anvisiert oder nicht, neigt die Kamera leider immer wieder zur Entgleisung.

Wild im Herzen, bescheiden im Auftritt

Ähnlich hölzern wie die Karakuri ist die Präsentation von "Wild Hearts" ausgefallen. Der Spieler wird ohne große Erklärungen recht holprig in die Spielwelt geworfen, die musikalische Untermalung ist spärlich gesät, und die Zwischensequenzen wirken wie aus längst vergangenen Zeiten hervorgekramt. Zeiten, an die man in diesem Fall eigentlich nicht mehr erinnert werden will. Das ist schade, weil die Spielwelt Azuma und ihr Artdesign eigentlich sehr gut gefallen hätten.

Die Zwischensequenzen zählen nicht zu den großen Stärken des Spiels.
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An die grafische Aufmachung des Spiels, die für manche am Anfang ein Schock sein mag, gewöhnt man sich mit der Zeit. Dabei ist es weitgehend unerheblich, ob man das Rollenspiel auf Konsole oder PC spielt. Auf einem High-End-PC war flüssig spielbare 4K-Auflösung bei hoher Detailwiedergabe nicht ohne Upscaler möglich, und selbst dann wirkte das Spielgeschehen mitunter von Screen-Tearing geplagt und einfach (noch) nicht optimiert. An Extras wie Raytracing ist an dieser Stelle gar nicht zu denken.

Auf der Playstation 5 und Xbox Series X kann man sich entweder für 60 Bilder pro Sekunde (bei 1.080 p) oder eine hochskalierte Auflösung von 4K (bei 30 Bildern pro Sekunde) entscheiden. In der Praxis ist für Konsolen definitiv erstere Option zu bevorzugen, sie machte auf der Playstation 5 eine passable Figur, einen Preis für beeindruckende Grafik wird "Wild Hearts" aber auch hier nicht gewinnen. Wirklich abschrecken lassen sollte man sich davon aber nicht, zumal die nach Jahreszeiten arrangierten Spielgebiete mit der Zeit eigentlich schöner werden.

In guter Jagdgesellschaft

Im positiven Sinne egal ist die Systemwahl auch deshalb, weil "Wild Hearts" Crossplay unterstützt. Generell hat man sich für den plattformübergreifenden Koop-Modus des Spiels viel vorgenommen. Bis zu drei Spieler können jederzeit und unabhängig vom individuellen Spielfortschritt gemeinsam auf die Jagd gehen. Der Schwierigkeitsgrad der Kemono skaliert dabei dynamisch, jeder Teilnehmer erhält die Beute instanziert.

Ruhige Schauplätze gibt es in "Wild Hearts" auch genügend.
Foto: Koei Tecmo/EA/Screenshot bbr

Mangels ausreichend verfügbarer Jäger vor der Veröffentlichung und Problemen, überhaupt eine Verbindung herzustellen, konnten für den Test nur vier Partien mit anderen Mitspielern bestritten werden. Sie zeigten aber schon das Potenzial, dass eine gute Jagdgesellschaft einem Alleingang in Azuma zu bevorzugen ist. Gut koordinierte Jäger dürften bestimmt ein einfacheres Spiel und die Beute ihrer Wahl rasch zerlegt haben. Für Solisten ist das Abenteuer natürlich auch uneingeschränkt spielbar, sogar an einen Offline-Modus wurde gedacht.

Fazit

"Wild Hearts" ist schon ein sehr spezieller Titel. Während Anfänger gerade zu Beginn überfordert sein dürften, müssen auch geübtere Monsterjäger auf Kompromisse eingehen. Sie sind längere Kämpfe zwar gewohnt, eine mitunter eigenwillige Steuerung und Momente abenteuerlicher Kameraführung im schlechtesten Sinne ziehen die Geduldsprobe des Kampfes unnötig in die Länge. Dass die Aufmachung allenfalls Durchschnitt ist, lässt sich nach einem ersten Schock am leichtesten verschmerzen.

Das Action-Rollenspiel hat aber viele gute Ansätze: Das Land Azuma als offen erkundbare Welt mit seiner monströsen Bevölkerung wüsste stilistisch zu gefallen, und auch die Karakuri sind spielerisch eine wirklich nette Idee. Ebenso sind die Bemühungen, den Koop-Modus dank Crossplay möglichst breit aufzustellen und zukünftige Inhalte für das Spiel kostenlos anzubieten, Entwickler Omega Force hoch anzurechnen.

Wer sich an den Angeboten von "Monster Hunter" sattgespielt hat, neue Beute sucht und idealerweise auch noch mit zwei Gleichgesinnten auf die Jagd gehen kann, dürfte aus "Wild Hearts" jetzt schon genug Spielspaß rausholen können. Alle anderen sollten vielleicht noch abwarten, wie sich das Spiel und nicht zuletzt auch seine Community in den nächsten Monaten weiterentwickeln wird. (Benjamin Brandtner, 18.2.2023)

Hinweis im Sinne der Leitlinien: Das Spiel wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.