Autorin Gabriele Tergit, anno 1928.

Foto: Jens Brüning c/o Schöffling & Co

Sie wollte noch einmal einen großen Roman schreiben, der über die Zeiten und Generationen reicht: so, wie es eben gewesen war in Deutschland, bevor alles zerstört wurde. Und das ist ihr auch gelungen, auch wenn das Buch, das für die Nachkriegsgesellschaft so wichtig gewesen wäre, damals keinen Verlag fand. Bis zu ihrem Tod 1982 hat sich Gabriele Tergit vergeblich bemüht – erst vergangenen Herbst ging das Opus magnum im Rahmen der Neuausgabe ihrer Werke im Schöffling-Verlag in Druck, mit nicht wenigen Fehlern zwar, doch das kann die Bedeutung dieses gewichtigen Romans nicht schmälern.

Ablehnende Verlage

Aber wie kam es zu dieser Verzögerung? Gabriele Tergit war in Deutschland vor 1933 eine Bestsellerautorin – bis auch sie aus dem Land gezwungen wurde. Damals hatte sie gerade an den Effingers zu schreiben begonnen, einem deutsch-jüdischen Familienepos, das erst 1951 erscheinen konnte. Heute spricht das Feuilleton gar von den "jüdischen Buddenbrooks", aber im Nachkriegsdeutschland fand ein Roman, der einem den gewaltsamen Verlust des jüdischen Großbürgertums vor Augen führt, wenig Anklang.

Dennoch wollte es die Autorin noch einmal wissen. Anfang der 1960er-Jahre hatte sie den Roman, der ihr so am Herzen lag, fertiggestellt, aber Verlage wie Rowohlt oder Kiepenheuer & Witsch lehnten das Manuskript ab, aus unterschiedlichen Gründen: Einmal schien der Roman nicht innovativ genug, das andere Mal lautete der Einwand, er würde sich unversöhnlich gegenüber der deutschen Geschichte zeigen – sogar von einer "Mauer gegen das deutsche Volk" war die Rede.

Verkrampfungen

Der Roman blieb im Nachlass, in verschiedenen Versionen, denn Tergit hatte das Manuskript auf Anraten mehrfach gekürzt. Die jetzige Ausgabe gibt die ursprüngliche Langfassung wieder, was einem gewisse Mühen abverlangt. Dabei ist weniger die epische Breite das Problem als die Personenfülle, die den Überblick schwermacht, und dass es nicht ein oder zwei, sondern viele Hauptpersonen gibt.

Die Autorin selbst listet in einem vierseitigen Register insgesamt 74 Personen auf, die der Leser im Kopf haben muss, will er der Handlung folgen. Dazu kommt das Fehlen einer federführenden Erzählerstimme, stattdessen sprechen die Figuren selbst, die Handlung wird in intensiven Dialogen entwickelt. Es ist daher ratsam, den Roman möglichst ohne große Pausen zu lesen, um den Spannungsfaden zwischen den wechselnden Personen und Schauplätzen nicht zu verlieren.

Ausgelöschte Vielfalt

So war’s eben ist ein vielstimmiger, detailreicher Zeitroman, der das jüdische Bildungsbürgertum in Berlin und seinen Untergang zeichnet. Er beginnt knapp vor der Jahrhundertwende, auf dem Höhepunkt preußischen Selbstbewusstseins, und endet in den 1950er-Jahren, in einem ernüchterten Nachkriegsdeutschland.

Die Bezüge zur Vergangenheit sind ein armseliges Erinnern, denn im zerbombten Berlin gibt es auch die alten Werte nicht mehr. Nachher wird von "Verkrampfungen, Übersteigerungen" gesprochen, wenn es um den Holocaust geht – eine zynische Umschreibung. Tergit erzählt nicht nur von der Auslöschung, die 1933 beginnt und in Vertreibung und Mord endet, vielmehr auch über das bunte und reiche Leben im Berlin der Kaiserzeit und der Zwanzigerjahre, eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte mit zwar sozialen Gegensätzen, aber einer Vielfalt, die es nachher nie mehr gab.

Gabriele Tergit, "So war’s eben". € 28,80 / 623 Seiten. Schoeffling, 2022. Am 23. 2. erscheint ein nächstes Buch von Tergit: "Der erste Zug nach Berlin".
Foto: Verlag

Zwischen Ost und West

Zwischen jüdischem Berlin Ost und neureichem Berlin West, in dem der Geist der Gründerzeit nachweht, wird aber auch von weniger begüterten Familien erzählt, von Kommunisten und Mitläufern der NS-Bewegung, wobei die Frontlinie oft durch Familien geht. Im Blick dabei stets die ideologischen Kämpfe zwischen Rechten und Linken – das war die Weimarer Republik und ihr Ende bald absehbar.

Es ist in der Tat ein gewaltiges Bühnenbild, das hier zerreißt. 1933 gehen die Wege nach Prag, Paris, London, in die USA. Und später in die Vernichtungslager im Osten. Und nicht zu vergessen die Kommunisten, die in der Sowjetunion Opfer des Stalinismus wurden, und die, die ihrem Leben noch rechtzeitig selbst ein Ende machten.

Gewaltiger Riss

Im Exil fanden sich auch nichtjüdische Intellektuelle wieder, Journalisten, "Zeitungsmenschen", wie sie Tergit nennt, deren Schicksal von nun an ebenso die Entfremdung war. Das ist genau Gabriele Tergits Milieu gewesen, die den Zeitungslesern in der Weimarer Republik als Gerichtsreporterin bekannt war. Naheliegend, dass hier auch Autobiografisches verarbeitet wurde, in der Reporterin Grete mag sie sich selbst abgebildet haben.

Derselbe Weg hat sie auch aus Deutschland hinausgeführt, Palästina, später London – ein ähnliches Schicksal wie ihre Figuren, die den Boden unter den Füßen verlieren, am eindringlichsten das des Journalisten Randelhofer, der in New York nicht am Heimweh, sondern an Mittellosigkeit zugrunde geht: Zuerst kann er die Miete nicht mehr bezahlen, dann wird ihm die Heizung abgedreht, nach und nach versetzt er seine Möbel. Am Ende stirbt er unterernährt an Herzschlag. Nur eine Schublade voll Briefen bleibt von seinem Leben übrig: Thomas und Heinrich Mann, H. G. Wells, Romain Rolland, das war die andere Lebenswelt.

Auch in Deutschland ist die Zeit hinweggegangen, zum Beispiel über den "alldeutschen" Friedrich Wilhelm von Rumke. Nach Jahren russischer Kriegsgefangenschaft findet er sich in einem fremden Deutschland wieder, in dem gerade der Wirtschaftsaufschwung begonnen hat. Auch vom Preußentum ist nichts übriggeblieben: "Waschmaschinen waren kein Ersatz für Ideen", heißt es lapidar. So lapidar, wie auch der Roman heißt, der nüchtern, ohne Sentiment von den Verlusten erzählt. (Gerhard Zeillinger, 18.2.2023)