"Das Leben wird nie wieder wie früher": Jugendliche in der Kiewer U-Bahn.

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Die Jugendzeit ist die schönste Zeit im Leben, heißt es. In dieser Zeit ist man jung, fröhlich und muss sich keine Gedanken über das Leben machen. Aber was, wenn unerwartet ein Krieg über dein Land hereinbricht? Was, wenn dir dein ganzes gewohntes Leben genommen wird? Seit dem 24. Februar 2022 gibt es für uns ein Leben "davor" und ein Leben "danach". Und als 17-jähriger Teenager gelte ich heute als "Kind des Krieges".

Stellen Sie sich vor, Sie werden eines Morgens nicht vom Wecker, sondern von Explosionen geweckt, und ihre Eltern stehen mit besorgten Gesichtern da: "Wach auf, mein Schatz, der Krieg hat begonnen." Ich erinnere mich, wie ich versucht habe, all meine Sachen in einen Koffer zu packen, um so schnell wie möglich wegzukommen, wie mein Gehirn vor lauter Stress wie vernebelt war und nur einen Gedanken zuließ: Das Leben wird nie wieder so sein wie früher.

Überleben

In den ersten Wochen des Krieges dachte ich nur ans Überleben und daran, ob ich am nächsten Morgen wieder aufwache. Später versuchte ich, weiterzuleben und Dinge zu tun, die ich auch unter normalen Umständen getan hätte. Das lenkte mich ab, aber ich fühlte mich auch irgendwie schuldig. Heute habe ich das nicht mehr, aber ich erinnere mich gut daran, wie meine Stimmung ständig von manisch – "alles hier und jetzt tun" – in totale Apathie umschlug.

In Gesprächen mit meinen Eltern und Freunden ging es eine Zeitlang überhaupt nicht um die Zukunft, weil wir uns über den nächsten Tag nie sicher sein konnten. Wir haben immer noch Angst, irgendetwas zu planen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich die Schule beenden und mich an der Universität bewerben werde. Als Mensch, der spontane Veränderungen im Leben nicht mag, habe ich mich während des Krieges besser auf Veränderungen eingestellt.

Verlorene Kindheit

Ich verspüre Wut angesichts der zerstörten Häuser, der gefolterten und ermordeten Zivilisten, der getöteten ukrainischen Soldaten, angesichts der Zerstörung von Infrastruktur, die die gesamte Ukraine zeitweise ohne Strom, Heizung und Wasser zurücklässt. Vor allem aber fühle ich mich um meine unbeschwerte Kindheit und Jugend betrogen. Ich kann nicht behaupten, dass mein Leben vor dem 24. Februar aufregend war. Ich lebte in einem ruhigen Rhythmus, las viele Bücher, spielte Computerspiele und machte mir Gedanken darüber, wie ich meine Schule mit ausgezeichneten Noten abschließen und an einer angesehenen Universität studieren könnte. Ich hatte keine Ahnung, wer ich werden wollte. Ich mochte mein Leben. Mein Traum war, dass ich, wenn ich erwachsen bin, reise und andere Kulturen kennenlerne, neue Leute treffe, mal für eine Zeit in ein anderes Land ziehe und eine eigene Bibliothek aufbaue.

Wie viele andere junge Menschen in der Ukraine weiß ich heute, wie man das Geräusch der Luftabwehr von dem einer feindlichen Rakete unterscheiden kann. Ich kenne die Arten von Raketen, mit denen Russland unsere Häuser angreift, weiß, wie man mit einem Gaskocher Essen zubereitet und wo sich der nächste Punkt mit einem Generator befindet, an dem man sein Telefon aufladen kann.

Lernen bei Notbeleuchtung.
Foto: Privat

Tagesablauf

Den Morgen beginne ich damit, den Zeitplan für Stromausfälle zu checken und meinen Tag so zu planen, dass alle meine Onlinekurse und Zoom-Anrufe nach der Schule stattfinden, wenn Strom verfügbar ist. Normalerweise habe ich Strom, wenn ich von der Schule nach Hause komme. Wenn ich keinen habe und an einem Kurs teilnehmen muss, gehe ins nächste Einkaufszentrum oder Café, das über einen Generator und Wi-Fi verfügt.

Bei langen Stromausfällen mache ich die Hausaufgaben bei Kerzenlicht oder mit batteriebetriebenen Lampen. Essen kochen wir, wenn es Strom gibt. Während eines Stromausfalls wärmen wir es mit dem Gaskocher. Die Kommunikation mit Freunden kann schwierig werden, weil es unterschiedliche Zeitpläne für einzelnen Bezirke und Probleme mit Mobilfunkverbindungen gibt. Ich will mich trotzdem nicht beschweren.

Zerstörte Sprache

Wenn es keinen Strom gibt, lese ich Bücher mit meiner Taschenlampe, das lenkt mich ab. Ich versuche, trotz der Herausforderungen so produktiv wie möglich zu sein. Kein Tag vergeht ohne Gedanken an den Krieg, ohne uns um die besetzten Gebiete und unsere tapferen Verteidiger zu sorgen. Wir hassen die Invasoren, die alles besetzen, das ukrainische Volk, seine Kultur, seine Sprache zerstören wollen und alles mit dem Wort "Befreiung" rechtfertigen. Jeder junge Mann weiß, dass er sein Heimatland verteidigen muss, wenn der Krieg noch Jahre dauert. In meinem Freundeskreis gibt es einige, die nicht dienen wollen. Andere würden, ohne zu zögern, kämpfen. Ich bin schockiert, dass Jugendliche gezwungen sind, über den Eintritt in die Armee nachzudenken, oder die Möglichkeit besteht, dass sie in der Zukunft tatsächlich mobilisiert werden.

Es gibt auch einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass bald alles wieder so sein wird wie vor diesen schrecklichen Ereignissen – und sogar besser. Ich hoffe, dass ich eines Tages in einer glücklichen, wohlhabenden Ukraine aufwachen werde. Ich träume, dass ich zu Hause bleiben kann, ohne Luftschutzsirenen und Explosionen zu hören und ohne mich bei massivem Beschuss zitternd in einem Bunker zu verstecken. Ich hoffe so sehr, dass die nächsten Generationen von Ukrainern sich nicht mehr vor "Nachbarn" verteidigen muss.

Wlada und ihre Freunde.
Foto: Privat

Wir helfen, wo wir können!

Ich bin stolz auf unsere Soldaten. Dank ihnen haben Teenager wie ich die Möglichkeit, jeden Tag zu leben. Glücklicherweise hat der Krieg meine Familie nicht getroffen. Ich bete, dass das nicht geschehen wird. Aber Berufskollegen meines älteren Bruders, Ärzte, die im Asow-Stahlwerk waren und von russischen Soldaten gefangen genommen wurden, sind noch nicht nach Hause zurückgekehrt. Wir wissen nichts über ihren Zustand. Der Tod hat auch schon Menschen getroffen, die ich, wen auch nicht näher, kannte. Einen Betreuer eines Sommerlagers und einen Absolventen meines Gymnasiums. Sie haben ihr Leben gegeben, um ihr Heimatland zu verteidigen. Und nicht, um in ein anderes einzufallen. Spüren Sie den Unterschied? Niemand hat geglaubt, dass wir für unser Heimatland einstehen werden. Ich bin stolz auf mein Volk wie nie zuvor. Es gibt so viel Solidarität: Müssen wir in einer Woche 500 Millionen Griwna für drei Bayraktar-Drohnen aufbringen? Wir werden 600 Millionen aufbringen! Drei Tage lang kein Strom und kein Wasser? Ein Nachbar mit einem Generator lädt Sie in sein Haus ein! Müssen Sie dringend eine Unterkunft für Flüchtlinge im Ausland oder Binnenvertriebene, die ihr Zuhause verloren haben, finden? Wir helfen, wo wir können!

Früh erwachsen

Ich glaube nicht, dass irgendeiner meiner Altersgenossen jemals zuvor darüber nachgedacht hat, wie wichtig es ist, einander zu helfen. Heute engagiert sich jeder dritte Teenager freiwillig. Einige stellen Tarnnetze für das Militär her, andere gründen kleine Unternehmen mit handgefertigten Produkten und spenden das Geld für die Streitkräfte, humanitäre Hilfe oder andere wohltätige Einrichtungen. Ich habe mich für einen Freiwilligendienst im Bildungsbereich entschieden und bin Englischlehrerin bei einer gemeinnützigen Organisation geworden. Jetzt organisiere ich jede Woche kostenlose Englischkurse für Gleichaltrige. Es macht Spaß, nützlich zu sein. Keiner ist von diesen ehrenamtlichen Tätigkeiten erschöpft, jeder Beitrag zählt.

Mehr Jugendliche denn je wollen heute die Geschichte der Ukraine und die ukrainische Sprache studieren. Trotz aller Probleme will die ukrainische Jugend in der Ukraine bleiben, und diejenigen, die jetzt im Ausland sind, wollen zurückkehren. Ich habe Freunde, die wegen des Krieges nach Deutschland, Polen, in die Slowakei, in die Niederlande, oder sogar in die USA und ins Vereinigte Königreich gezogen sind. Fast jeden Tag erhalte ich Nachrichten von ihnen, in denen sie mir schreiben, dass sie nach Hause zurückkehren möchten. Ich habe den Eindruck, dass sich die Wertvorstellungen der jungen Menschen in der Ukraine geändert haben und die Idee, dass es besser ist, in seinem Herkunftsland zu leben, noch nie so aktuell war wie heute.

Der Krieg hat uns verändert. Wir sind früher erwachsen geworden. Wir haben Tod, Grausamkeit, Gräueltaten und Ungerechtigkeit erlebt. Aber wir haben auch gelernt, zu überleben und unseren freiheitsliebenden Geist nicht zu verlieren. In diesem Kampf ist der Sieg auf unserer Seite. (Daniela Prugger, 21.2.2023)