High-Energy-Disco und Kuschelpunk sind auf P!nks Balladen-Album "Trustfall" dünn gesät. Man wird das am 1. und 2. Juli im Wiener Ernst-Happel-Stadion trotzdem zu hören bekommen.

Ebru Yildiz

Den Begriff "Trustfall" kennen all jene Menschen sehr gut, die schon einmal beruflich bei einem Teambuilding-Seminar mitmachen durften. Es geht dabei darum, sich rückwärts von einem Podest fallen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass man von seinen Kollegen und Kolleginnen aufgefangen wird, bevor man mit dem Plutzer hart auf dem Boden aufschlägt. Am besten erledigt man diese Übung noch vor der ersten Einnahme eines gemeinsamen, die Stimmung auflockernden Freizeitgetränks. Vertrauen ist zwar gut, Kontrollverlust macht die Sache aber nicht besser.

Es ist noch nicht klar, ob sich US-Popsängerin Alecia Moore alias P!nk dieser Mutprobe auch bei ihren zwei anstehenden Shows am 1. und 2. Juli dieses Jahres im Wiener Ernst-Happel-Stadion unterziehen wird. Nicht wenige Motivationstrainer neigen aufgrund diesbezüglicher Unfälle in der Vergangenheit dazu, die Probe aufs Exempel lieber zu unterlassen. Vor allem dann, wenn die Luft im Büro ohnehin schon dick ist, kann man – bevor jemand weint – ja auch gemeinsam Limbotanzen oder zur Verbesserung der internen Kommunikation Stille Post spielen.

Amikales Betriebsklima

P!nk aber, so viel ist wiederum sicher, könnte sich dabei auf ihre stets auf die Bühne mitgebrachten und fröhlich tanzenden zwei Handvoll Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verlassen. Sie scheint eine gute Chefin abzugeben. Wenn in der Vergangenheit bei ihren Shows nicht gerade Lack und Leder oder das Andreaskreuz ausgepackt wurden, wirkt der Umgang in der Firma durchaus amikal.

P!nks aktuelle Single Trustfall (Vertrauensfall) mag zwar aufgrund der textlichen Überraschungslosigkeit etwas KI-mäßig daherkommen. Aber auch Chatbots haben heutzutage bekanntlich aus der Welt des Schlagers gespeiste Gefühle: "Spring mit mir, komm mit mir, brenn wie die Sonne / Wir werden reden, dann werden wir weinen / Dann werden wir lachen, bis wir fertig sind, oje / Es ist, als hätten wir den Verstand verloren." Gut erkannt! Ja, so laufen sie gewöhnlich ab, die Teambuilding-Seminare.

PinkVEVO

Musikalisch verlässt sich die 43-jährige Veteranin des kumpelhaften Beste-Freundinnen-Pop nach an die 140 Millionen verkauften Tonträgern auf ihrem aktuellen Hit Trustfall auf einen aus den 1980er-Jahren herübergeretteten, mit der Tür ins Haus und dann gleich in den Darkroom fallenden High-Energy-Disco-Sound. Warum der von P!nk mit gewohnt kräftiger Stimme vorgetragene Aufruf zum Durchhalten und Weitermachen allerdings unbedingt Richtung hochfrisierte Minnie-Mouse-Stimme gepitcht werden musste, ist wahrscheinlich ihrer auf zeitgenössische Hitparadenrelevanz schielenden Marketingabteilung zu verdanken. Bloß nicht aus der Zaunhecke hervorlugen. Wer rausschaut, wird gestutzt. So funktioniert heute der Algorithmuspop.

Deshalb ist wahrscheinlich für den auf dem ebenfalls Trustfall betitelten neuen Album enthaltenen Song Never Gonna Not Dance Again auch wieder einmal der schwedische Normcore-Produzent Max Martin verpflichtet worden. Die Arbeit des Mannes bürgt für verlässliche Ohrwürmer und Umsätze – von den Backstreet Boys und Every-body oder Britney Spears und …Baby One More Time herauf über Katy Perry bis zu The Weeknd und zuletzt Måneskin. Immerhin läuft Never Gonna Not Dance Again derzeit ja auch als nicht allzu drastisch ins Ohr stechender Stimmungsaufheller in Heidi Klums Bootcamp Germany's Next Topmodel.

Zirkusluft schnuppern

Individualität vom Diskonter geholt, dieses Programm wird auch auf den streng nach Bauplan designten anderen Stücken gefahren. Man hat diese Songs, darunter sehr viele schablonenhafte Balladen, schon ein Dutzend Mal anderswo und großteils auf höherem Niveau gehört. Da helfen auch Gäste wie das schwedische Folkduo First Aid Kit oder US-Countrystar Chris Stapleton nicht. Einzig ihre dem 2021 verstorbenen Vater gewidmete Eloge When I Get There sticht ein wenig heraus.

PinkVEVO

Dafür packt P!nk in Runaway den auch für ihre künftigen Liveauftritte bestens geeigneten Rocker im Stile unseres liebsten Kuschelpunks Billy Idol aus. Der sorgt für Bodenhaftung bei den wenigen Songs, die die sportliche Frau live auf dem Boden verbringt.

Schon seit Jahren sind ihre Shows dadurch gekennzeichnet, dass P!nk, so wie ihre Kollegin Helene Fischer, als Ein-Personen-Flugshow im Zeichen des Cirque du Soleil hoch über den Sportstadien dieser Welt in den Seilen hängt. Saltoschlagend rotiert sie dann, möglicherweise live singend (ist ja heute nicht mehr selbstverständlich), in alle vier Ecken. Dem Publikum wird dabei tief ins Glas geschaut. (Christian Schachinger, 17.2.2023)