Ein familiärer Notfall veränderte die Bedeutung der Songs seines neuen Albums. Die Lieder des Robert Forster erhielten so noch mehr Tiefe.

Foto: Stephen Booth

Robert Forster sitzt zu Hause auf seiner Veranda. Der Himmel im Hintergrund ist blau, die Büsche grün, ein Vogel zwitschert. Es ist ein warmer Sommerabend bei ihm in Brisbane, bei einer Tasse Tee gibt er über den Laptop Interviews in alle Welt. Während des Gesprächs wird es dunkel. "Haben wir so lange geredet?", fragt er am Ende. Der Australier ist ein alter Hase mit einem neuen Album.

Als Gründer der Band The Go-Betweens schrammte er in den 1980ern knapp an einer Weltkarriere vorbei. Die Folk-Pop-Band veröffentlichte großartige Alben, tourte mit R.E.M., aber der eine Hit, der sie ganz nach oben hätte bringen können, der blieb aus. Erschöpft lösten Forster, Grant McLennan und Co sich Ende der 1980er auf und hinterließen eine sich in Phantomschmerzen windende Fangemeinde, die The Go-Betweens nicht nur kokett als die beste Band der Welt gepriesen hat.

Tapete Records

Anfang der Nullerjahre kam es zur Wiedervereinigung der beiden Songwriter Forster und Grant McLennan, als Fans outeten sich so verschiedene Künstler wie PJ Harvey oder Coldplay, als Begleitcombo zu Beginn ihrer Wiedervereinigung fungierte die US-Band Sleater-Kinney.

Als die Diagnose kam

Diese zweite Karriere führte die Go-Betweens in neue Höhen, über den Einsatz in einer Mobilfunkwerbung verfingen sie mit dem Lied Finding You sogar in den heimischen Charts. Es waren künstlerisch und kommerziell gute Zeiten. Dann starb McLennan unerwartet mit 48 Jahren, seitdem ist Forster solo unterwegs. Eben hat er das Album The Candle and the Flame veröffentlicht, ein Album, das unter besonderen Umständen erstanden ist: "Ich hatte schon zehn Songs geschrieben, als die Diagnose kam."

Die Diagnose kam für seine Frau und lautete Eierstockkrebs. Die deutsche Musikerin Karin Bäumler, mit der Forster seit über 30 Jahren zusammen ist, nahm sich vor, zu kämpfen. Daraus formulierte Forster den Eröffnungssong des Albums: She’s a Fighter ist ein vergleichsweise aggressiver Song für Forster, Punk nachgerade, aber eher im Sinne eines Jonathan Richman – also nicht sehr.

Tapete Records

Der Titel fungiert als Refrain, ist Mantra und Durchhalteparole. "Noch knapper als ein Ramones-Song", sagt Forster und grinst auf der anderen Seite des Bildschirms. Eingespielt haben ihn die Forsters als Familie mit Karin Bäumler und den beiden Kindern Louis und Loretta.

Die Krebsdiagnose verlieh den Songs eine neue Dringlichkeit, eine tiefere Bedeutung im Lichte der schlimmen Nachricht. "Viele Zeilen wirkten plötzlich wie Anspielungen auf die Situation, selbst wenn sie anderes im Sinn hatten und vor der Diagnose entstanden waren. Für uns stellte sich dann die Frage: Wie sollen wir gegenüber der Öffentlichkeit mit der Situation umgehen?"

Ökonomie und Eloquenz

Forster veröffentlichte She’s a Fighter vorab mit einem Statement, das die Umstände erklärte. "Musik half Karin so sehr, machte sie stark, und das wollten wir nicht verschweigen. Außerdem konnten wir mit dem Statement zumindest am Beginn die Richtung kontrollieren. Denn es war klar, man kann keine Interviews geben und den Hintergrund des Albums verschweigen."

Ökonomie und Eloquenz waren stets Markenzeichen der Go-Betweens. Sie waren geschult an Vorbildern wie den Talking Heads, Television, The Velvet Underground oder Bob Dylan. Hinzu kamen Witz und Lakonie; Charakteristika, die dem 65-Jährigen geblieben sind: "I don’t do drugs, I do time", singt er und verhindert mit lockeren Songs, dass sich die Verzweiflung den Weg bahnt. Der ernste Hintergrund ist präsent, aber nicht dominant. So wirken Titel wie das grandiose Tender Years noch eindrücklicher. Es ist das vielleicht einnehmendste Liebeslied, das Forster je verfasst hat. Eine intime Midtempo-Ballade voller Zärtlichkeit und Optimismus.

Ein Bild in einem Rahmen

Krankheit plus Corona haben die Welt der Forsters auf das Häusliche und Familiäre reduziert. Nach Operation und Chemotherapie fand er noch Zeit, sich um die Neuauflagen zweier Soloalben aus den 1990ern und einer dritten Go-Betweens-Box zu widmen. Zudem finalisiert er gerade einen Roman, den er im März beim Verlag abgeben wird. Dann geht er auf Europatournee, die ihn am 1. April nach Wien ins Theater Akzent führt.

Robert Forster - Topic

Er jongliert auf diese Weise ständig die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Ein Umstand, der sich im Album spiegelt, wenn er im Lied When I Was a Young Man den Beginn seiner Karriere memoriert und nebenbei Vorbereitungen für Konzerte in ganz Europa organisiert.

Zugleich ist der Schlusssong des Albums ein Hinweis auf die Vergänglichkeit, jedoch ohne Bitterkeit, lediglich von der Überzeugung getragen, dass ein Album mit seiner speziellen Chronologie ein besonderes Ende braucht. "Eine LP ist für mich immer noch das beste Format. 40 Minuten Musik, ein Cover, Linernotes voller Geheimnisse und Informationen – perfekt! Für mich ist das so bahnbrechend, wie es die Idee war, ein Bild in einen Rahmen zu stecken. Ein Klassiker." Und in diesem Format erweist sich Robert Forster mit The Candle and the Flame einmal mehr als Meister. (Karl Fluch, 21.2.2023)