Saw Tun Moe war Mathematiklehrer in einem Dorf in Myanmars zentraler Region Magway. Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner sprechen gegenüber dem Online-Exilmedium "Irrawaddy" ehrfurchtsvoll von ihm. Er unterrichtete nicht nur 20 Jahre, sondern leistete auch aktiv Widerstand gegen die Militärjunta.

So trat der 46-Jährige wie hunderttausende Beamte und Staatsangestellte nach dem Putsch vom 1. Februar 2021 in einen unbefristeten Streik. Sie verweigerten in einer Kampagne des zivilen Ungehorsams, Civil Disobedient Movement (CDM) genannt, die Arbeit in Behörden, bei der Feuerwehr, in Banken, Krankenhäusern, Elektrizitäts- und Wasserwerken, Schulen und bei der Eisenbahn. Das bedeutet für die Streikenden nicht nur existenzielle Not, sondern oft Lebensgefahr.

Saw Tun Moe begann, für ganz wenig Geld an zwei Dorfschulen zu unterrichten, die nicht der Junta unterstanden, sondern der im April 2021 ausgerufenen Gegenregierung. Diese war von untergetauchten Parlamentsabgeordneten gegründet worden.

Brutales Morden

Mitte Oktober drangen laut der internationalen Nachrichtenagentur Associated Press 90 Soldaten in Lehrer Saw Tun Moes Dorf ein. Sie nahmen zwei Dutzend Bewohner und Bewohnerinnen gefangen, die sich in einem Feld versteckt hatten, und verschleppten den Lehrer. Am Folgetag wurde sein kopfloser Leichnam vor dem Tor der Schule gefunden. Ein Augenzeuge berichtete dem Oppositionsmedium "Myanmar Now", dass das Militär zudem die Schule in Brand steckte.

Brutale Abschreckungstaktik gegen Widerstand: Das Militär soll die Schule im Dorf Taung Myint in Brand gesteckt haben.
Foto: AP

"Saw Tun Moe war bewusst, dass er so enden könnte, wenn er der Junta in die Hände fällt", sagte ein Kollege der Onlineplattform "Irrawaddy". Er sei brutal umgebracht worden, "um Kinder, Lehrende und den ganzen Widerstand einzuschüchtern", kommentierte ein Dorfbewohner.

Das ist eine alte Taktik von Myanmars Militär, das seit der Unabhängigkeit Birmas 1946, wie das Land früher hieß, dort Jahrzehnte herrschte. Doch sie funktioniert nicht mehr. Niemand gab dem schlecht bewaffneten Widerstand zunächst eine Chance, aber inzwischen wird er von der Brutalität des Militärs befeuert.

Überrascht

Im April 2021 bildeten sich aus der friedlichen Protestbewegung bewaffnete Gruppen, genannt Volksverteidigungskräfte (PDFs), heraus. Diese schlossen Bündnisse mit den Milizen der seit Jahrzehnten um Selbstbestimmung kämpfenden ethnischen Minderheiten. Das Militär hatte mit deren Widerstand gerechnet.

Dass sich auch Angehörige der dominanten Bamar dem Kampf der neuen widerständischen Kräfte anschließen, überraschte das Regime allerdings.

Denn: Es ist jene Bevölkerungsgruppe, aus der das Militär traditionell seine Leute rekrutiert. Besonders in den bis dahin friedlichen Regionen Sagaing, Magway und Mandalay fordern die Armee jetzt Kämpferinnen und Kämpfer der eigenen Ethnie heraus. Es ist ein Mehrfrontenkrieg, der das Militär zu überfordern droht.

Demonstration in Rangun, März 2021.
Foto: AP

In den genannten Regionen kursieren Zahlen von bis zu 150.000 bewaffneten Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern.

Und die Gegenregierung spricht von über 21.000 getöteten und 7.000 verletzten Armeesoldaten allein bis September 2022 – die eigenen Verluste von nur 2.000 Kämpferinnen und Kämpfern wirken zu gering. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das Militär veröffentlicht keine eigenen Verlustzahlen, doch hat es offensichtlich nicht die volle Kontrolle über die Regionen.

Aber auch der Widerstand kann kaum "befreite" Gebiete für sich reklamieren. Angriffe mit improvisierten Drohnen bis hin zu koordinierten Operationen mehrerer Gruppen zeugen aber von einer steilen Lernkurve.

Das Militär setzt auf verbrannte Erde. Bis Ende Oktober wurden laut dem Institute for Strategy and Policy Myanmar (ISP-Myanmar), einem unabhängigen Thinktank, über 38.500 Gebäude in 81 Dörfern in Brand gesteckt. Zuletzt konnte das Militär vor allem durch Luftangriffe weitere Rückschläge verhindern.

Ayeyarwaddy-Delta, 2. Februar 2018: Kampfpiloten üben den Bombenabwurf.
Foto: AP/Lynn Bo Bo

Dabei nutzen die Generäle Waffen und Jets aus Russland. Dessen Regierung empfing Juntachef Min Aung Hlaing als einzige seit dem Putsch.

Waldiwostok, September 2022: Wladimir Putun begrüßt Min Aung Hlaing.
Foto: IMAGO/ITAR-TASS/Sergei Bobylev

Der Widerstand hingegen bekommt keinerlei Unterstützung von außen. Ihm fehlt zudem ein gemeinsames Kommando. Denn nicht alle Gruppen bekennen sich zur Gegenregierung. So könnte es später zu Machtkämpfen oder Abspaltungen ganzer Regionen kommen.

Millionen Geflüchtete

Der Putsch im Februar 2021 hat eine Wirtschaftskrise ausgelöst und zugleich die Zahl der Binnenflüchtlinge laut ISP-Myanmar inzwischen auf 1,6 Millionen steigen lassen. Darunter seien 520.000 Kinder, so die Hilfsorganisation Save the Children.

Dazu kommen rund eine Million nach Bangladesch geflohene Angehörige der ethnischen Gruppe der Rohingya.

Die Luftaufnahme zeigt niedergebrannte Häuser in Mingin.
Foto: APA/AFP/Chin Twin Chit Thuî

Bis Ende November zählte die lokale Menschenrechtsorganisation AAPPB mehr als 2.500 getötete und 13.000 inhaftierte Zivilistinnen und Zivilisten, 700 Gefangene starben laut ISP-Myanmar in den Foltergefängnissen der Junta.

Kein Zurück

Für August 2023 haben die Generäle Wahlen in den Raum gestellt. Oppositionsparteien werden dafür allerdings nicht vorgesehen. Der Militäranalyst Anthony Davis, Asien-Korrespondent des britischen Militärverlages Janes, sieht die Generäle "in einer politischen und militärischen Sackgasse". Es gehe nicht voran, doch gebe es auch kein Zurück mehr.

Das vom Militär gestürzte politische System war schon ein fragwürdiger Kompromiss, der den Generälen sehr viel Macht in die Hände gelegt hatte. Sollte es irgendwann Verhandlungen geben, dürfte für den Widerstand eine Rückkehr zum Status quo vor dem Putsch inakzeptabel sein.

Brandruinen im von Muslimen bewohnten Dorf Myo Thu Gyi.
Foto: APA/AFP

Doch aus dem militärischen Patt ist derzeit kein Ausweg zu sehen.

Für die Regierungen der Nachbarländer war das Militär einst Garant der Stabilität. Mittlerweile sind sie eher vom Gegenteil überzeugt. Die benachbarten Staaten des Verbandes Südostasiatischer Nationen (Asean) sind mit ihren vom Militär nicht gewollten Vermittlungsbemühungen gescheitert. Zugleich haben sie nicht den Mut, die Gegenregierung anzuerkennen.

Damit droht das menschliche Leid weiter zuzunehmen. Myanmar könnte zu einem "gescheiterten Staat" (Failed State) werden. (Sven Hansen, Südwind-Magazin, 22.2.2023)