Die Drohung des russischen Präsidenten war laut und unverhohlen. Russland wird den "New-Start-Vertrag" zunächst aussetzen. Schließlich seien die USA "voll" verantwortlich für die Kämpfe in der Ukraine, Russland habe zu Recht seine "Spezialoperation" begonnen.

Der "New-Start-Vertrag" ist die wohl wichtigste Abrüstungsvereinbarung nach Ende des Kalten Krieges, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Das Gespenst des Atomkrieges schien endgültig gebannt. Ohne Angst vor einem neuen Weltkrieg zu leben: Das war das Verdienst des heute in Russland zwiespältig gesehenen Michail Gorbatschow, der den Menschen in Ost und West diese Angst nahm.

In seiner Rede zur Lage der Nation attackierte er einmal mehr die USA: Russlands Präsident Wladimir Putin.
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Droht jetzt ein Atomkrieg, was laut einer neuen Umfrage 56 Prozent der Russen und viele auch im Westen befürchten? Nein, Russland wird keine strategischen Atomwaffen einsetzen, dafür gibt es zumindest keine Hinweise. Wladimir Putin hat immer dementiert, einen nuklearen Erstschlag zu planen. Aber es ist eine Drohung.

Russland soll wieder ernst genommen werden, meint Putin. Das Land soll wieder eine Großmacht sein, eine in der Welt gefürchtete und respektierte Atommacht. Keine bedeutungslose Regionalmacht, wie der damalige US-Präsident Barack Obama 2014 spottete.

Die erwartbaren Beschuldigungen in Richtung USA zielen auch auf die eigene Bevölkerung ab. "Russland ist ein offenes Land, aber gleichzeitig eine unverwechselbare Zivilisation. Es wurde uns von Vorfahren übergeben, und wir müssen es bewahren und an die Nachkommen weitergeben."

Sowjetunion 2.0

Wladimir Putin will die russische Gesellschaft in eine Art Sowjetunion 2.0 umbauen. Dabei geht es nicht nur um die Annexion von Territorien, die aus der Sicht des Kreml russisches Kernland sind. Putin geht es um eine umfassende Umgestaltung von Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur. Und er hat das Problem, dass rund 700.000 junge Russinnen und Russen das Land verlassen haben. Nicht nur aus Angst, zum Militär eingezogen zu werden. Diese Menschen, viele gut ausgebildet, fehlen nun auf dem Arbeitsmarkt.

"Der Westen hat eine wirtschaftliche Front gegen uns entwickelt. Aber nirgendwo hat er etwas erreicht und wird es nicht erreichen", sagt der russische Präsident. In diesem Punkt hat Putin recht.

Viele westliche Experten hatten wegen der Sanktionen einen dramatischen Einbruch der russischen Wirtschaft befürchtet. Sicher: Vieles ist teurer geworden. Offiziell liegt die Inflationsrate in Russland bei 11,9 Prozent. Sehr teuer sind Waren aus dem Westen, die wegen der Sanktionen über Drittstaaten wie Kasachstan oder die Türkei importiert werden müssen. Aber die Sanktionen zwingen Russland wirtschaftlich nicht in die Knie – auch wenn sie in manchen Bereichen spürbar sind.

Dialog und Diplomatie gefragt

Putins Rede am Dienstag, die Reden westlicher Politiker, allen voran die von US-Präsident Joe Biden: Auf beiden Seiten wird das Säbelrasseln lauter. Alle setzen auf einen Sieg auf dem Schlachtfeld. Doch der ist derzeit weder für Russland noch für die Ukraine in Sicht.

So schwierig es auch aussieht, sind doch Dialog und Diplomatie gefragt, müssen die Außenpolitiker ihren Job tun. Damit das Blutvergießen einmal zu Ende gehen kann, müssen beide Seiten zu gewissen Kompromissen bereit sein. So weh das auch tut. (Jo Angerer, 21.2.2023)