Stylishe Raumanzüge, wiederverwendbare Raketen und kostengünstige Starts in den Orbit – mit diesen Errungenschaften hat das private Raumfahrtunternehmen Space X in den vergangenen Jahren den Weltraumsektor umgekrempelt. Innovative Technologien für die zivile Raumfahrt mit Fernziel Mars waren das sichtbarste Aushängeschild des US-amerikanischen Unternehmens von Tesla-Gründer Elon Musk. Bis zum Februar 2022: Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurde Space X zu einem gewichtigen Akteur in einem irdischen Konflikt.

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DER STANDARD

Aktuell betreibt Space X fast die Hälfte aller aktiven Satelliten im Erdorbit, mehr als 3300 Satelliten umfasst das "Starlink" genannte System derzeit. Erklärtes Ziel des Meganetzwerkes, das nach Plänen des Unternehmens eines Tages an die 40.000 Satelliten umfassen soll, ist eine weltweite Abdeckung mit Breitbandinternet aus dem All.

Mehr als 3300 aktive Satelliten umfasst das Starlink-System aktuell. Im Bild: Space-X-Satellitenstart in Cape Canaveral am 12. Februar 2023.
Foto: Imago / Malcolm Denemark

Erweiterte Konfliktzone

Schon bald nach Beginn des Krieges in der Ukraine wurde auch das militärische Potenzial des Systems offensichtlich: Indem Musk der Ukraine die kostenfreie Nutzung der Starlink-Satelliten ermöglichte, konnte nicht nur zivile Infrastruktur trotz gezielter russischer Angriffe aufrechterhalten werden. Für das ukrainische Militär wurde Starlink zu einem wichtigen Werkzeug der Landesverteidigung.

"Dass der Krieg nicht den Verlauf genommen hat, den manche zu Beginn im Auge hatten, dazu hat sicher auch die Raumfahrt einen wesentlichen Teil beigetragen", sagt Hermann Ludwig Moeller, Direktor des European Space Policy Institute (ESPI) in Wien. "Wir erleben zum ersten Mal einen Krieg, wo in der Öffentlichkeit erkennbar wird, wie viel Raumfahrt drinsteckt." Auch wenn Space X zuletzt Einschränkungen für militärische Anwendungen ankündigte und Musk damit drohte, das kostenfreie Angebot an die Ukraine zu beenden, sehen Fachleute eine unaufhaltbare Zeitenwende im Weltraum.

"Die Vernetzung zwischen militärischen und zivilen Fähigkeiten im All, wie wir sie bei Starlink erleben, hat es so vorher nicht gegeben", sagt Friedrich Teichmann, Leiter des Instituts für Militärisches Geowesen beim Österreichischen Bundesheer. Nicht nur die militärische Nutzung ziviler Systeme im All, zu denen auch private Erdbeobachtungssatelliten zählen, markiere eine neue Ära, betont Teichmann: "Im Weltraum haben wir bis vor kurzem einen kalten Krieg erlebt, aber der ist jetzt heiß geworden. Der Konflikt hat sich auch stärker nach oben verlegt."

Ein ukrainischer Soldat mit einem Starlink-Empfänger in Kramatorsk.
Foto: Reuters/SHANNON STAPLETON

Aufklärung und Vernetzung

Der Militärexperte sieht vor allem zwei Bereiche, in denen Weltraumtechnik inzwischen großen Einfluss auf das Kriegsgeschehen hat. "Für die Aufklärung liefern Satelliten heute Bilder von ungeahnter Auflösung und erlauben es, de facto alles anzuschauen. Die Aufklärungsfähigkeit durch neue Technologien ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen", sagt Teichmann. Bilder aus dem All seien es auch gewesen, die schon Wochen vor dem russischen Überfall von verlagerten Panzerkolonnen und großen Truppenbewegungen zeugten und Geheimdienste und Militärs in der Ukraine und im Westen in Alarmbereitschaft versetzten.

Nicht weniger bedeutsam sei die lückenlose Vernetzung: "Da geht es darum, zu möglichst jeder Zeit mit allen militärischen Elementen kommunizieren zu können und Informationen zeitnah dorthin zu bringen, wo sie benötigt werden", sagt Teichmann. Hier spiele die Satellitenkommunikation eine herausragende Rolle.

Das ist nicht neu, Militärs setzen schon lange auf Satellitentelefone. Welche Vorteile bietet also ein System wie Starlink? Teichmann: "Starlink hat eine sehr hohe Bandbreite, verglichen mit anderen Satellitentelefonen. Es ist relativ abhörsicher, ziemlich stabil und äußerst mobil." Hinzu kommt, dass Space X selbst bei Ausfällen oder Angriffen auf einzelne Satelliten dank seiner enormen Startkapazitäten Woche für Woche neue Satelliten in den Orbit schicken kann.

Russische Raketenstarts zur Internationalen Raumstation wie dieser im September 2022 zählen zu den letzten verbliebenen Kooperationen zwischen Russland und dem Westen im All.

Foto: AP / Dmitri Lovetsky

Meganetzwerk im niedrigen Erdorbit

Die meisten Kommunikationssatelliten befinden sich in einer geostationären Umlaufbahn rund 36.000 Kilometer über der Erde. Aus dieser Höhe kann ein einzelner Satellit zwar große Gebiete abdecken, stößt allerdings bei der Bandbreite schnell an seine Grenzen. Die Starlink-Satellitenflotte umkreist den Planeten viel niedriger – in nur rund 550 Kilometer Höhe. Deshalb braucht es zwar mehr Satelliten, um eine breitflächige Abdeckung zu ermöglichen. Da aber jeder einzelne Satellit nur ein kleines Areal versorgt, ist auch eine deutlich höhere Bandbreite pro Nutzer möglich. Die größere Erdnähe verkürzt auch die Signallaufzeit vom Boden zum Satelliten und zurück – für komplexe Anwendungen wie die Steuerung von Waffensystemen ein großer Vorteil.

Die hochgradige Vernetzung per Satelliten erlaubt auch eine bisher beispiellose Koordinierung. Wie der "Economist" berichtete, teilen ukrainische Soldaten Fotos von möglichen Zielen über Starlink verschlüsselt mit ihren Befehlshabern. Diese entscheiden dann, ob und von wo aus das Ziel beschossen werden soll. Auch bei der Steuerung und Koordinierung von Drohnen setzte das ukrainische Militär Starlink ein – eine Anwendung, die das Betreiberunternehmen Space X aber offenbar nicht weiter zulassen will. Starlink sei ein ziviles System und nie für den Einsatz militärischer Offensivoperationen gedacht gewesen, hieß es von Space X vor kurzem. Wie im Dezember bekannt wurde, arbeitet das Unternehmen allerdings längst auch an einer militärischen Version namens Starshield.

Mehr Unabhängigkeit gefordert

Die Rolle von Starlink in der Ukraine zeigt auch auf drastische Weise, wie problematisch es sein kann, in Sicherheitsfragen vom guten Willen und den Geschäftsinteressen eines Unternehmens abhängig zu sein. Militärexperte Teichmann rechnet damit, dass auch andere Anbieter und staatliche Akteure künftig mehr auf Satelliten im niedrigen Erdorbit setzen werden, die im Verbund mit geostationären Satelliten militärisch genutzt werden können. Hier sei es wichtig, dass Europa den Anschluss nicht verpasse und mehr in eine unabhängige Weltraumsicherheit investiere.

Auch ESPI-Direktor Moeller sieht großen Handlungsbedarf in Europa. Die aktuelle Zeitenwende im Weltraum spiele sich auf mehreren Ebenen ab, der Krieg in der Ukraine habe diesen Prozess noch verstärkt. "Noch nie gab es in der Raumfahrt so viel Momentum, das so viele neue Entwicklungen bringt, wie wir das heute erleben – nicht einmal in den 1960er-Jahren mit Apollo", sagt Moeller.

Keine Weltraummacht

Während der Wettlauf im All vor 60 Jahren vor allem vor dem Hintergrund geopolitischer Verwerfungen ausgetragen wurde, gebe es heute zusätzlich auch "eine kommerzielle Komponente, die ganz wesentlich ist", betont Moeller. Längst ist die Raumfahrt zu einem großen Wirtschaftszweig geworden, in den auch die öffentliche Hand kräftig investiert. Moeller beziffert das bekannte weltweite Volumen von öffentlichen Investitionen mit rund 100 Milliarden Euro jährlich. "Etwa die Hälfte davon wird im Bereich Sicherheit und Verteidigung investiert – Tendenz steigend."

Auffällig ist bei diesem enormen Investitionsvolumen aber, dass sich Europa trotz seiner großen Wirtschaftsleistung den Raumfahrtsektor vergleichsweise wenig kosten lässt: 15 Prozent der weltweiten Investitionen in die Raumfahrt kommen aus Europa, mit 60 Prozent sind nach wie vor die USA der dominanteste Akteur im All.

Strategische Bedeutung

"Das Erkennen der politischen und strategischen Bedeutung der Raumfahrt ist jetzt entscheidend", sagt Moeller. Für ihn erinnert die aktuelle Situation an die der frühen Dotcom-Ära: Damals habe Europa die Potenziale des Internets verschlafen, weswegen die größten Player wie Facebook oder Google US-amerikanische Konzerne seien. "Das Risiko, dass man hier in Europa wieder etwas verpasst, ist sehr groß. Umso wichtiger ist es, diese Debatte heute zu führen."

Verstärkte Investitionen in den Raumfahrtsektor seien unabdingbar. "Es geht letztlich auch um Autonomie, dafür muss man die öffentlichen Ausgaben wesentlich aufstocken, damit die für die Sicherheit kritischen Systeme unter Regierungskontrolle sind." Da, wo es der Markt erlaube, solle Raumfahrttechnologie kommerziell entwickelt werden, empfiehlt Moeller – aber eben nicht uneingeschränkt: "Es braucht eine Rechtsgrundlage für kommerzielle Anbieter, die konditioniert, was geht und was nicht."

Bei der letzten Ministerratskonferenz der Europäischen Weltraumorganisation Esa gab es eine Steigerung um 17 Prozent. Das sei zwar positiv zu bewerten, aber immer noch viel zu wenig, wenn Europa eine führende Rolle im Weltraumsektor einnehmen wolle, sagt Moeller. "Es ist eine Frage der politischen Entscheidung, das Thema Raumfahrt so anzugehen, wie es ihm eigentlich gebührt."

Europäisches Projekt

Ein kleiner Schritt in Richtung strategische Autonomie ist kürzlich immerhin gelungen: EU-Kommission, Mitgliedsstaaten und EU-Parlament einigten sich auf einen neuen Satellitendienst, der verschlüsselte Internetkommunikation ermöglichen soll. Bis 2027 soll der Aufbau des Iris2 genannten Projekts abgeschlossen sein, das die Internetverbindung in Europa im Katastrophenfall oder bei Cyberangriffen sicherstellen soll.

2,4 Mrd. Euro kommen dafür aus dem EU-Haushalt, 750 Mio. Euro sollen aus dem Budget der Esa beigesteuert werden, zu dem auch das österreichische Klimaministerium beiträgt. Mit Starlink und anderen Megasatellitenflotten wird es Iris2 aber nicht aufnehmen können: Das europäische Netzwerk soll "nur" aus 170 Kleinsatelliten bestehen. (David Rennert, 22.3.2023)